Das Schönste aus der Rockmusik

Plattenbau

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Rockmusik besticht im Jahre 2021 nicht mehr durch Sturm und Drang, das war spätestens Anfang der Achtziger durch. Also vor vierzig Jahren. Seitdem gab es hin und wieder ein kurzes Aufglimmen. Heute zählen für den Rockmusiker Beständigkeit und Ausdauer im Angesicht des Anachronismus, der man selbst ist. Weil der Genremythos aber sehr verbunden ist mit Virilitätsgetöse, droht nach wie vor - und nicht unbedingt erst mit zunehmenden Alter der Musiker - die Gefahr der unfreiwilligen Komik. Man schaue sich ein beliebiges Musikvideo, in dem Mick Jagger agiert, ohne Ton an. Oder eins der Foo Fighters. Anmut und Albernheit liegen hier nah beieinander. Generell war Mackertum zu Zeiten von Led Zeppelin noch ungebrochener zu vermitteln. Wer heute mit dicker Hose über die Bühne springt, wirkt inzwischen tendenziell eher verzweifelt.

Auch in 2020er-Jahren sind Möglichkeiten, irgendwie weiterzumachen, gegeben: ironische Brechung, Dekonstruktion, Retro-Ästhetik, die gar nichts anderes versucht, als die möglichst genaue Reproduktion von etwas Vergangenem. Motorpsycho sind in dieser Hinsicht etwas sehr Besonderes, vielleicht Einzigartiges. Sie umschiffen all das und gehören zu den wenigen Rockbands, die ohne Ironie und Bruch auskommen und »Rock« zum Ausgangspunkt für eine Musik nehmen, die seit inzwischen auch wieder über dreißig Jahren zum Schönsten gehört, was man aus und mit dem Genre machen kann.

Die Band aus Trondheim/Norwegen hat auf - je nach Zählweise - 24 bis über 30 Alben vorgeführt, wie man entgrenzten psychedelischen Hardrock so spielen kann, dass der Eindruck mitschwingt, in diesem wirklich ozeanischen Werk sei irgendwie fast alles enthalten oder zumindest berührt, was im Genre jemals stattgefunden hat. Von Metal, Stoner, Prog, Indierock, Postrock und so weiter, alles halt. Dass Motorpsycho dabei nie epigonal klingen, ist eigentlich unerklärlich.

»Kingdom of Oblivion« gehört zu den Motorpsycho-Alben, die wirken wie locker hingeworfen. Also in eine Reihe mit »Black Hole/Blank Canvas« (2006) und »Still Life with Eggplant« (2013), zumindest was die Herangehensweise betrifft. Nur dass Motorpsycho mit ihrem aktuellen Schlagzeuger Tomas Järmyr nach den Jahren mit dem Vorgänger Kenneth Kapstad, der alles spielen konnte und einige Songs auch gerade live eher zugrunde frickelte, wieder straighter agieren. Die Songs auf »Kingdom of Oblivion« sind Überbleibsel aus den Sessions zum Vorgänger »All is One«. Immer zugänglich und geradeaus gespielt, auch bei einem zehnminütigen progressiven Gebilde wie »The Transmutation Of Cosmoctopus Lurker«.

Diese Songs machen unendlichen Spaß und wirken unerschöpflich. Sie stehen in gewisser Weise für sich und kommen ohne Gesten oder Meta-Ebene aus. Es geht sozusagen nur ums Material, das ein halbes Jahrhundert Rockgeschichte dagelassen hat. Das wird dann schlicht weiter bearbeitet und nur in dem Sinne transformiert, dass auch die zwölf Stücke auf »Kingdom of Oblivion« wieder quasi alles, was an Rock so ätzend sein kann, schlicht wegschneiden. Auf dieser Basis gehen dann auch wieder Sachen, die sonst nur J Mascis und Neil Young können, ohne zu nerven, zum Beispiel minutenlanges Gitarrensologefudel. Übrig bleibt der Kern, also alles, was noch da ist, wenn man Posen und Gehampel wegschneidet: Spielfreude, schöne Melodien, Gitarrenwände, traumwandlerisches Zusammenspiel.

Motorpsycho: »Kingdom of Oblivion« (Stickman Records/Soulfood)

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