Schnellstart soll Chipmangel lindern
Bosch eröffnet Halbleiterwerk in Dresden früher als geplant - 700 neue Arbeitsplätze in »Silicon Saxony«
Weltweit mangelt es an Chips in der Automobilindustrie. Das hat kuriose Folgen. Peugeot etwa baut im Kompaktwagen 308 seit Ende Mai keine digitalen Anzeigetafeln mehr ein, sondern kehrt zu analogen Tachometern zurück. Andere Hersteller legen Bänder zeitweise still und schicken ihre Belegschaften in Kurzarbeit. Die weltweiten Lieferengpässe würden wohl noch bis ins Jahr 2022 anhalten, glaubt Volkmar Denner. Er ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH - die dem Mangel ein wenig abhelfen will. Das Unternehmen eröffnete an diesem Montag eine Halbleiterfabrik in Dresden. Sie soll im Juni und damit sechs Monate früher als geplant, erste Chips für Werkzeuge liefern und ab September, ein Vierteljahr vorfristig, auch die Autobranche beliefern. Bosch werde »das Knappheitsproblem nicht lösen«, sagte Denner, lindern aber durchaus.
Chips spielen in Autos eine große und stetig wachsende Rolle. Sie lösen Airbags nach einem Aufprall aus, steuern Fahrassistenten und Navigationssysteme oder sorgen in E-Autos dafür, dass die Batterieladung optimal genutzt wird. Gleichzeitig sei der Einsatz in Fahrzeugen wegen großer Temperaturunterschiede und permanenter Vibrationen die »Königsdisziplin« beim Umgang mit Halbleitern, sagt Harald Kröger, der im Vorstand für die Sparte zuständig ist. Bosch ist dabei gut im Geschäft. Der Konzern ist weltweit die Nummer 6 im Chipgeschäft für Fahrzeuge. In jedem neu zugelassenen Auto hätten 2016 im Schnitt 9 Chips von Bosch gesteckt, 2019 waren es bereits 17 Chips.
Bisher wurde der Bedarf von einer Fabrik in Reutlingen gedeckt. Nun geht ein neues Werk in Dresden an den Start. Es verfügt über einen Reinstraum, der doppelt so groß ist wie in der Fabrik in Baden-Württemberg und in dem die Chips nicht mehr wie bisher auf Siliziumwafern von 150 oder 200, sondern von 300 Millimetern Durchmesser erzeugt werden. Damit vervielfacht sich die Produktionsmenge. Genaue Angaben zur Zahl der Chips oder Wafer, die nach dem vollständigen Hochlaufen der Produktion erreicht werden, wurden auf Nachfrage aber nicht genannt.
Für Bosch stellt die Fabrik, für die 2018 der Baustart erfolgte, die größte Einzelinvestition in der 130-jährigen Firmengeschichte dar. Insgesamt wurde eine Milliarde Euro investiert. Der Bund förderte die Ansiedlung mit 140 Millionen. Möglich wurde das auch aufgrund eines von der EU aufgelegten und insgesamt 1,75 Milliarden Euro schweren Förderinstruments, das »bedeutende Projekte im gemeinsamen europäischen Interesse« unterstützen soll. Es hilft Branchen wie der Mikroelektronik im Konkurrenzkampf mit Herstellern vor allem in Asien.
Der Neubau von Bosch ist eine erhebliche Stärkung für den Mikroelektronikstandort in Dresden. Die Region wird in Anspielung auf das kalifornische Silicon Valley als »Silicon Saxony« bezeichnet, hat ihre eigentlichen Ursprünge aber in der DDR-Mikroelektronik. Das Forschungszentrum ZMD arbeitete ab 1986 an der von der Staatsführung beschlossenen Entwicklung eines 1-Megabit-Speichers, für den 1988 die Pilotproduktion begann. In Serie ging der Chip nicht mehr. Die Fähigkeiten der Dresdner Ingenieure wurden aber nach 1989 vom Siemens-Konzern genutzt, der in Sachsen investierte. Heute gibt es drei Chipfabriken, deren größte von Infineon sowie dem US-Unternehmen AMD errichtet wurden. Letztere produziert heute unter dem Namen Globalfoundries. Rund um diese Werke ist ein Netzwerk anderer Hersteller und Ausrüster sowie von Forschungsinstituten und Hochschulen entstanden. Nach Angaben des sächsischen Wirtschaftsministeriums zählt die Branche in der Region mittlerweile rund 2500 Unternehmen mit 70 000 Beschäftigten.
Die Branche hat nicht immer floriert. Bei Globalfoundries gab es immer wieder Kurzarbeit und Jobabbau; der Tiefpunkt war erreicht, als im Januar 2009 die Chipfabrik der Infineon-Tochter Qimonda mit 3000 Beschäftigten Insolvenz anmelden musste. Inzwischen geht es wieder aufwärts, wie aktuell die Investition von Bosch belegt. Der Konzern habe sich nicht zuletzt angesichts der regionalen Firmen- und Forschungslandschaft »bewusst für die Region entschieden«, sagte Firmenchef Denner. Dresden sei der wichtigste Standort für die Chipproduktion in Europa und liefere ein Drittel der auf dem Kontinent hergestellten Halbleiter; weltweit sei die Region die Nummer fünf. Aktuell gibt es weiteren Zuwachs. Der Branchenverband Silicon Saxony verweist auf die Ankündigung von Jenoptik, seine Halbleiterproduktion in Dresden bis Ende 2022 ausbauen zu wollen, sowie die Entscheidung von Vodafone, ein Entwicklungszentrum für die 5G- und 6G-Mobilfunktechnik aufzubauen.
Bosch wird in der neuen Fabrik in Dresden nach dem vollständigen Hochfahren »in den nächsten Jahren« bis zu 700 Menschen beschäftigen. Derzeit seien es 250 Beschäftigte. Sie arbeiten in einer Fabrik, die nicht nur voll automatisiert ist, sondern in der künstliche Intelligenz auch dafür sorgen soll, dass sich Produktionsabläufe selbst optimieren. Störungen und Anomalien werden automatisch erkannt, Fehler abgestellt und Abläufe verbessert, sagte Denner. Im neuen Werk würden »Maschine und Mensch Hand in Hand arbeiten«, ergänzte Marek Jakowatz, technischer Leiter des Dresdner Werks.
Herzstück ist ein 10 000 Quadratmeter großer Reinstraum im vierten Stock, wo die von Zulieferern bezogenen Siliziumscheiben an rund 100 Anlagen etwa 700 Prozessschritte durchlaufen. Darunter und darüber sind Anlagen angeordnet, die für die Produktion nötige Gase und Chemikalien erzeugen und die Luft reinigen. Wie wenig Partikel sie enthalten darf, illustrierte Jakowatz mit einem Vergleich: »Erlaubt wäre ein einziger Kirschkern im Bodensee.« Gereinigt wird auch das benötigte Wasser. Den Bedarf bezifferte Bosch auf 100 bis 150 Kubikmeter - pro Stunde. Den Strombedarf vergleicht der örtliche Versorger mit dem einer Kleinstadt.
Vielleicht wird es irgendwann sogar noch mehr. Bosch hat erst die Hälfte seiner Fläche am nördlichen Dresdner Stadtrand bebaut. Es wäre Platz für eine identische Fabrik.
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