Kreationist soll Nordirland führen
Die Unionisten rücken weiter nach rechts und wollen einen Evangelikalen zum Regierungschef machen
Der erste Auslandsbesuch des neuen US-Präsidenten Joe Biden führt ihn ausgerechnet nach Großbritannien. Durch den Brexit sind die Beziehungen zwischen ihm und Boris Johnson angespannt: Biden positionierte sich seit seinem Wahlsieg aufseiten der EU, in der Frage Nordirlands unterstützt er Dublin.
Während Biden beim G7-Gipfel in Wales weilt, führen die langen Nachwehen des Brexits zu einer Regierungsumbildung in Belfast. An diesem Freitag wird die bisherige Vorsitzende der unionistischen Partei Democratic Unionist Party (DUP) und Regierungschefin, Arlene Foster, am Rande eines Treffens des Britisch-Irischen Rates ihren offiziellen Rücktritt bekannt geben. Foster wurde im April durch ein Misstrauensvotum als DUP-Vorsitzende absägt. Für viele Brexit-Hardliner trat sie nicht entschieden genug gegen das von vielen Unionisten verhasste Nordirland-Protokoll auf. Für den erzkonservativen Flügel um ihren Nachfolger als Parteivorsitzenden, Edwin Poots, machte sie dem Koalitionspartner, der republikanischen Sinn Féin, auch zu viele Zugeständnisse in der Frage der irischen Sprache und einer sanften Liberalisierung der äußerst restriktiven Abtreibungsregelungen.
In einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz setzte sich im Mai Poots vom rechten, evangelikalen Rand gegen den gemäßigteren Kandidaten Jeffrey Donaldson durch. Seither steht die Partei vor einer Zerrreißprobe. Mehrere Unterstützer von Donaldson haben die Partei verlassen. Poots war der Kandidat der paramilitärischen Ulster Defence Association (UDA). Die UDA soll im Vorfeld der Abstimmung Donaldson-Unterstützer eingeschüchtert haben.
Poots soll Foster allerdings nicht auch auf den Posten des Regierungschefs folgen. Dies soll sein enger Vertrauter werden, der 39-jährige Paul Givan, der seit 2010 Abgeordneter ist für den Wahlkreis Lagan Valley - demselben Wahlkreis wie von Poots. Bei dem begann Givan seine politische Laufbahn als 18-jähriger Praktikant. Givan schloss sich der DUP an, nachdem er als 16-Jähriger eine Rede des Parteigründers und rechten Demagogen Ian Paisley gegen das Karfreitagsabkommen, das den Nordirlandkonflikt beendete, hörte. Er ist ein strenggläubiger Kreationist. Als Stadtratsabgeordneter wies er alle Grundschulen in der Region an, »alternative Erklärungsmodelle« wie Kreationismus und »Intelligent design« anstelle der Evolutionslehre zu unterrichten. 2016 wurde er kurzzeitig Kulturminister und setzte finanzielle Kürzungen durch.
Innerhalb von sieben Tagen muss das nordirische Parlament nun einen neuen Regierungschef ernennen. Poots erwartet einen »problemlosen« Prozess. Auch zwei Minister werden neu bestellt. Die beiden abgelösten Minister waren beide aus dem Lager des Poots-Gegenkandidaten Donaldson. Poots selbst wird Landwirtschaftsminister bleiben.
Eine offizielle Stellungnahme von Sinn Féin steht noch aus. Nach drei Jahren ohne Selbstverwaltung hatte sich 2020 die unionistische DUP mit der republikanischen Sinn Féin auf eine gemeinsame Regierung verständigt. Die stellvertretende Regierungschefin Michelle O’Neill von Sinn Féin betonte vor Medienvertretern, sie erwarte, dass die DUP weiterhin ihre Versprechen einhalte und die irische Sprache unterstütze. Ein Sinn-Féin-Mitarbeiter erklärte der Belfaster Irish News, dass die Partei alles daransetzt, dass die Parteivorsitzende Mary Lou MacDonald bei möglichen Neuwahlen in der Republik Irland die »neue Regierungschefin in Dublin wird - und eine Regierungskrise in Nordirland soll diesem Vorhaben nicht schaden«.
2022 wird sowohl in der Republik Irland als auch Nordirland gewählt, in einem durch den Brexit deutlich verschärften Klima. Durch die UDA-Unterstützung und die Krawalle im April wird die DUP nun noch näher an die Paramilitärs heranrücken. Am Mittwoch goss Poots weiter Öl ins Feuer: »Die Zeit für Gespräche über das Brexit-Protokoll ist zu Ende - es ist an der Zeit, Taten zu setzen.«
Während Givan und Poots nach rechts schielen, zerbröselt der gemäßigte Parteiflügel. Eine Zersplitterung des unionistischen Lagers würde Sinn Féin helfen. Die Partei könnte bei Wahlen 2022 sowohl in Belfast als auch in Dublin als stärkste Partei hervorgehen.
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