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Die Rache der Dildos
Berlinale Wettbewerb: »Bad Luck Banging or Loony Porn« ist ein verrücktes Meisterwerk über die Obszönität des Menschseins
Unsere Existenz ist eine einzige Obszönität. Das, was sich Alltag nennt, ist dazu gemacht, das zu verdrängen, zu vergessen oder zu ignorieren, aber sich dem bewusst zu sein, dafür hat Radu Jude den Film »Bad Luck Banging or Loony Porn« gemacht, der bereits im März auf der Online-Berlinale fürs Fachpublikum lief und den Goldenen Bären gewann. Jude hebt die Schamlosigkeit, mit der wir uns alle im Großen und Kleinen jeden Tag lächerlich machen, aufs Tablett. Und niemand würde der Obszönität des Seins am Ende des Films noch widersprechen.
Schon der Anfang lässt keine Zweifel zu: Wir sehen - quasi als Epilog - konventionellen Heterosex. Wir sehen alles, ohne verschämte Schnitte, ohne Bettdecken da, wo garantiert nie Bettdecken sind. Es ist schlicht einvernehmlicher, verspielter und irgendwie bezaubernd belangloser Sex zwischen Eheleuten. Blasen, lecken, rein, raus, gut ist. Zwischendrin ruft eine Frau von draußen rein, ob sie noch was aus der Apotheke mitbringen soll. Muss man das so zeigen? Muss das gleich so losgehen? Ja, denn genau darum geht es: Da sieht man Leuten beim Sex zu, so wie er millionenfach jeden Tag stattfindet. Hoffentlich, denn die beiden haben Spaß. Der Mann lässt dabei die Kamera laufen, der Film landet im Internet, und hier geht diese Geschichte über Doppelmoral, Scheinheiligkeit, Posttotalitarismus und die normale Beschissenheit der Dinge erst los.
Wir verfolgen die Protagonistin des anfänglichen Amateurpornofilmchens Emi (Katia Pascariu) durch die Straßen Bukarests auf dem Weg zu ihrem Tribunal aus aufgebrachten Eltern. Emi ist Lehrerin an einer renommierten Schule. Die Eltern: Piloten, Pfarrer, Militärobere, Intellektuelle oder Intellektuellendarsteller, Menschen mit elektrischen Gewürzmühlen. Was sie wollen, ist klar: Die Lehrerin muss weg, aber vorher soll sie noch Rechenschaft über ihre unverschämte Verfehlung ablegen, ein lustvoller Mensch mit Empfindungen zu sein.
Allein durch diese schier endlose Stadtführung sehen wir die Menschheit im Spiegel: laut, feindselig, aufgehetzt, vulgär, geblendet, überreizt. Auf zugeparkte Gehwege folgt eine verbal-aggressive Auseinandersetzung, die einem Großstadtkrieg gleichkommt, im Supermarkt rastet eine Frau aus, weil es ihr nicht schnell genug geht, worauf die Angesprochene antwortet: »Ich kann mir gute Laune nicht leisten.« Alles ist zu einem sozialdarwinistischen Überlebenskampf geworden, geprägt von gegenseitiger Verachtung. Der Mensch, komplett empathiebefreit, dazu völlig unfähig zu irgendeiner Art von Humor. Das ist universell, auch wenn es viele Anspielungen auf das posttotalitäre Rumänien gibt. Der Film ist eine Parabel auf den Menschen im Anthropozän. Mit Sicherheit ist das alles keine revolutionäre Bestandsaufnahme, die Jude hier macht, aber die Mittel, mit denen er das Bild einer vollkommen runtergerockten und verkommenen Gesellschaft zeichnet, sind so effektiv wie schräg und entlarven uns als Menschheit, die irgendwo vor langer Zeit schon falsch abgebogen ist.
Da wäre die Collage im Mittelteil des Films, die mit »Ein kleines Wörterbuch der Anekdoten, Zeichen und Wunder« überschrieben ist. Wir sehen alles, was in den letzten Jahrhunderten schiefgelaufen ist, in sehr komprimierter und assoziativer Form und alphabetischer Reihenfolge: Kinder, die fanatisch Kriegslieder singen, Bilder kolonialrassistischer, sexistischer Gewalt, Bilder von Menschen, die wohl eher noch ein Video vom Untergang der Titanic gemacht hätten, bevor sie einen Rettungsring werfen, eine Vulva, deren vulgäre Bezeichnung gleichzeitig ein alltäglich gewordenes Schimpfwort ist. Das ist plakativ, das ist wenig subtil und steht als Prolog zum nahenden Elternabend. Wir ahnen, was da kommen wird: Auftritt der Doppelmoraljunta.
Der Elternabend wird zum Jüngsten Gericht, inszeniert als absurdes Theater. Die Erwachsenen steckt Jude in Schlingensiefscher Tradition in übertrieben beknackte Kostüme, die die ganze Bandbreite eines privilegierten Lebens abbilden. Von irgendwoher ruft ein Troll stets Nonsens rein, und clowneskes Lachen an unpassenden Stellen untermalt die Szenerie. Und natürlich sind sich die feinen Leute nicht zu schade, jedes noch so impertinente Quatschargument gegen die Lehrerin vorzubringen. Da wird die ganze Judenfeindlichkeit, der Rassismus und die Homophobie der (oberen) Mittelschicht unverdaut auf den Tisch gekotzt, bei gleichzeitiger moralischer Überlegenheit gegenüber der so schlüpfrigen Lehrerin, die man, wenn sie schon nicht mehr die Noten der Kinder bestimmt, auch mal »Nutte« nennen darf.
Da ist sie, die berühmte gefallene Maskerade des Bürgertums, wie wir sie auch schon in Roman Polańskis Romanverfilmung »Gott des Gemetzels« erlebt haben, nur frecher, anarchistischer und skurriler inszeniert. Am Schluss, drei Enden, bei denen eines doch in die Filmgeschichte übergehen dürfte und quasi mit dem Vorschlaghammer zeigt, woran es hapert: Emi haut der Doppelmoral ordentlich eins mit dem Dildo drüber.
»Bad Luck Banging or Loony Porn«. Rumänien/ Luxemburg/Tschechische Republik/Kroatien 2021. Regie: Radu Jude. Termine:
13.6., 22 Uhr, Arte Sommerkino
15.6., 22 Uhr, Frischluftkino@Studentendorf
18.6., 21.45 Uhr, Freiluftbühne Weißensee.
Und ab 8. Juli im Kino.
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