Kalte Strategen im schmelzenden Eis

Moskaus Arktis-Kampfverbände und die Interessen der USA passen nicht zusammen. Nun mischt auch noch China mit

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Das arktische Meereis schmilzt immer schneller. Es klingt absurd, doch gerade das kann zur Ursache für einen möglichen neuen Kalten Krieg werden. Beides, die Schmelze wie das zunehmende Interesse großer Mächte, beeinflusst daher jegliches Klima auf der Erde.

Groß ist die Gier vieler Staaten und Konzerne. Unter dem Eis lagern ungeahnte Reichtümer. Rund 30 Prozent der weltweiten Erdgasreserven werden rings um den Nordpol vermutet. Auch Öl, Kohle und manch wertvolle Edelmetalle vermuten Geologen in der nördlichen Region. Weniger Eis, das bedeutet, man kommt leichter an all das heran. Zugleich ergeben sich neue Chancen für den Handel. Die jüngste Sperrung des Suezkanals durch ein gestrandetes Containerschiff hat Visionen von einer ständig schiffbaren Nordostpassage aufleben lassen. In den letzten Jahren nutzten mehrere Dutzend ausländische Schiffe, genehmigt von russischen Behörden und begleitet von russischen Eisbrechern, diesen kurzen Seeweg. Während 1986 zu Sowjetzeiten nur 6,5 Millionen Tonnen darüber transportiert wurden, waren es 2020 fast 33 Millionen Tonnen.

Solche strategischen Entwicklungen in einem nur scheinbar herrenlosen und unwirtlichen Stück der Welt sind immer deutlicher verknüpft mit territorialen Ansprüchen und entsprechenden militärischen Planungen. Der US-Außenminister sprach im Mai bei der Sitzung des Arktischen Rats - neben den USA sind Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Russland und Schweden Mitglied - eine deutliche Warnung aus. Man habe beobachtet, so Anthony Blinken, dass Russland mit unrechtmäßigen maritimen Ansprüchen voranschreitet, besonders bei seiner Regulierung der Durchfahrt von ausländischen Schiffen auf der nördlichen Seeroute. Das widerspreche internationalem Recht. Sollte die Regierung in Moskau nicht von solchen »rücksichtlosen oder aggressiven Maßnahmen gegen unsere Interessen oder die unserer Verbündeten« ablassen, würden die USA reagieren.

Sergej Lawrow, der Moskaus Außenpolitik verantwortet, betonte nur scheinbar versöhnlicher, es gehe doch wohl vor allem um die friedliche Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Klimakatastrophe. Keinen Zweifel ließ er jedoch daran, dass Russland sein selbst definiertes Territorium schützen werde. Es wäre daher gut, so Lawrow, im Arktischen Rat den Dialog über militärische Fragen wiederzubeleben.

Dialoge zur Entspannung der militärischen Konfrontation und für Rüstungsbegrenzung sind derzeit nicht in Mode. Noch unter Präsident Donald Trump kündigten die USA zahlreiche Verträge, so den über die Begrenzung bodengebundener Mittelstreckenraketen oder das zur Vertrauensbildung gedachte Abkommen Open Skies. Die Nato konzentriert seit Jahren immer mehr Truppen an den russischen Grenzen und Moskau reagiert mit komplexen Großmanövern. Dazu hält Russlands Präsident Wladimir Putin so gar nicht hinterm Berg, was die Entwicklung und Einführung neuer Waffensysteme betrifft, die eine militärische Überlegenheit versprechen.

Wie es scheint, haben die USA die sicherheitspolitische Entwicklung in der nördlichen Hemisphäre lange verschlafen. Dabei hat Russlands Regierung schon seit einiger Zeit deutlich sichtbar die kleinen weißen Männchen der Arktis-Kampfverbände mitsamt ihrer neuen Technik über den Roten Platz paradieren lassen. Im Dezember 2014 wurde ein Kommando Nord gebildet, das sich inzwischen zum fünften Militärbezirk der Russischen Föderation gemausert hat. Man baute den Abwehrschirm gegen Raketen und Flugzeuge aus, stellte eigene Batterien auf und reaktivierte ex-sowjetische Flugplätze, auf denen nun atomar bestückbare Jets startbereit sind. Auch die russische Flotte zeigt Aktivitäten. Im März tauchten plötzlich aus dem Eis drei Atom-U-Schiffe auf. Gewiss hat man in den USA rasch verstanden, wie knapp so die Reaktionszeiten auf anfliegende Raketen sein würden.

Aus solchen wie vielen anderen Gründen stellte die US-Navy im Januar 2021 einen strategischen Aktionsplan für die Arktis vor, der die Schaffung einer neuen Flotte sowie permanente und mit anderen Teilen der US-Streitkräfte koordinierte Übungen vorsieht. Nato-Verbündete werden eingespannt. Wobei die Möglichkeiten von Kanada, Norwegen oder Dänemark vergleichsweise gering sind.

Wenn Moskau und Washington sich streiten, lacht Peking. Nachdem China 2012 mit Island das erste Freihandelsabkommen mit einem europäischen Land geschlossen hatte, schlug man in Reykjavík urplötzlich vor, China könne doch nun auch Mitglied des Arktischen Rates werden. Denn: Die Arktis habe alles Regionale verloren und sei zum globalen Thema geworden. Ebenso sei die Gründung einer neuen Organisation für arktische Angelegenheiten denkbar, sagt Peking, wo man derzeit eine Art nördliche Seidenstraße plant und sich gar sehr für die Ausbeutung dortiger Öl- und Gasfelder interessiert.

Chinas Generäle denken gleichfalls strategisch. Jüngst wollten sie sogar einen Militärflughafen in Nordfinnland mieten. Fürs Erste ging das schief, doch ein altes chinesische Sprichwort sagt: Wenn du schnell sein willst, geh langsam.

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