- Wirtschaft und Umwelt
- Tourismus
Start unter Protest
Die krisengeschüttelte Kreuzfahrtbranche stolpert gerade in die neue Saison
Die Hoffnung auf ein »Nicht-einfach-weiter-so« nach der Pandemie hat sich bereits zerschlagen. Vor einem Jahr hatte eines der beliebtesten Reiseziele der Welt, Venedig, angekündigt, seine historischen Kanäle für Kreuzfahrtschiffe zu sperren. Nun sind sie wieder da. Unter lautstarkem Protest legte Anfang Juni die 294 Meter lange »MSC Orchestra« in Venedig an. In kleinen Booten passten Demonstranten den Kreuzer ab. »Große Schiffe raus aus der Lagune«, skandierten die Aktivisten der Bewegung »No Grandi Navi« (Keine großen Schiffe).
Auch in Kiel kam es zu Protesten, als am Pfingstwochenende Aida und TUI mit Kurztrips die Kreuzfahrtsaison in Deutschland eröffneten. Den fröhlichen Reisenden, einer glücklichen Crew und »einer lächelnden Aida« standen Mitglieder der Gruppe »Smash Cruiseshit« gegenüber, berichteten die »Kieler Nachrichten«. Mit einem Transparent protestierten die Aktivisten gegen Schiffsreisen und prangern deren verheerende Folgen für das Klima an. Die »Aida Sol« startete dann mit 900 Passagieren und 600 Crewmitglieder an Bord. Innerhalb weniger Stunden sei die Reise ausgebucht gewesen, teilte die Reederei mit. Aida Cruise ist eine Rostocker Zweigniederlassung der britisch-US-amerikanischen Carnival Corporation, dem größten Kreuzfahrtunternehmen der Welt.
Ganz so wie vor Corona ist das Leben auf den Luxuslinern allerdings (noch) nicht. So gehörten zum Trip etwa PCR-Tests vor der Anreise und am Terminal genauso dazu wie das Vorzeigen des Tickets. In anderen Häfen genügt hingegen bereits ein simpler Antigen-Schnelltest. Etwa in Schweden und am Mittelmeer dürfen Gäste auch wieder an Land.
Auf dem Schiff selbst sehen die Hygienemaßnahmen eine Maskenpflicht in Innenräumen und Kontaktnachverfolgung vor. Auch am Buffet heißt es: Abstand halten. Wegeleitsysteme an Bord sollen Kontakte minimieren. In allen Kabinen und öffentlichen Bereichen wird kontinuierlich Frischluft zugeführt. Zudem schippert die »Aida Sol« nur mit halber Auslastung über die Ostsee. Das rentiert sich zunächst selbstverständlich nicht. Ein bisschen Skepsis aufgrund der Corona-Pandemie dürfte daher auf der »Reklametour« mitreisen.
Rund 300 »Cruise Ships« kreuzen demnächst wieder wie vor der Pandemie über die Weltmeere. Das hört sich nach einer kleinen Zahl an. Doch die Traumschiffe beförderten 2019 laut internationalem Kreuzfahrtverband CLIA rund 30 Millionen Passagiere - doppelt so viele wie erst zehn Jahre zuvor.
Nach der Verdrängung der Ozeanliner durch den Luftverkehr hatte es bis zum späten 20. Jahrhundert gedauert, bis die Branche wieder Fahrt aufnahm - zunächst in der Karibik. In Europa dauerte es länger. In Hamburg, mittlerweile Deutschlands größter Kreuzfahrthafen, legte das erste Schiff dieser Art erst im Jahr 2005 an. Seither boomt die Branche, vor allem dank Billigreiseangeboten. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie war sie der am schnellsten wachsende Tourismusmarkt.
Nach Hamburg hatten 2019 noch 210 einlaufende Schiffe rund 810 000 Passagiere gebracht. Nun sollte es eigentlich am 11. Juni wieder losgehen. Doch kurzfristig wurde der Saisonstart verschoben. Die Passagiere der »Mein Schiff 6« starten ihre Reise nun stattdessen in Kiel. »Um unseren Gästen auf den Kurzreisen noch mehr Vielfalt entlang der Fahrtroute zu bieten, haben wir uns kurzfristig dazu entschlossen, alle ab Hamburg geplanten Reisen nach Kiel zu verlegen«, begründet der Reisekonzern Tui seine Planänderung.
Auch die neue Landstromanlage in Rostock-Warnemünde wartet noch auf Gäste. Bislang hat lediglich ein Aida-Schiff am neuen Cruise Center 8 festgemacht. In den nächsten Wochen sollen »alle logistischen Vorbereitungen wie Servicearbeiten und die Proviantierung für die kommenden Kreuzfahrten« durchgeführt werden, teilt Aida Cruises mit. Am 10. Juli soll das Schiff in Kiel starten.
Die Reedereien hoffen, dass das Geschäft nach dem Lockdown gut anläuft und sie bald wieder an den langjährigen Kreuzfahrtboom anknüpfen können. So hat Tui angekündigt, das Geschäft nach der Coronakrise sogar weiter ausbauen zu wollen.
Auch die Industrie ist optimistisch. Der geplante Jobabbau bei der Meyer-Werft hat daher auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf den Plan gerufen. Den Weltmarkt dominieren drei europäische Werften: STX in Frankreich, Fincantieri in Italien und eben die Meyer-Werft im niedersächsischen Papenburg. Die Auftragsbücher waren auf viele Jahre voll. Ob die MV-Werften, die zum Unternehmen Genting Hong Kong gehören, in diesen Kreis vorstoßen können, ist trotz staatlicher Millionenhilfen fraglich. In der Vergangenheit waren sogar japanische Werften an der Komplexität solcher Neubauten gescheitert.
»Mit dem Ende der Abstandsregeln erwarten wir eine Normalisierung«, sagte kürzlich Martin Johannsmann. Der Geschäftsführer von SKF in Schweinfurt leitet die Marinesparte des Maschinenbauverbandes VDMA. Dessen Mitglieder leisten den größten Teil der Wertschöpfung beim Bau von Kreuzfahrtschiffen.
Teneriffa im Wartemodus. Über Kreuzfahrtriesen vor den Kanarischen Inseln als Symbol für die Corona-Krise in der Tourismusbranche
Die Industrie würde die Schiffe auch gerne umweltfreundlicher machen. Doch den großen Reedereien fehlt nach Einschätzung des Naturschutzbundes NABU eine Strategie, um in absehbarer Zeit ohne klimaschädliche Emissionen unterwegs zu sein. Der Kreuzfahrtverband CLIA verweist dagegen auf Milliardeninvestitionen, die trotz Coronakrise von den Reedereien in Umwelttechnologien getätigt wurden oder werden. Ein »Einfach-Weiter-So« werde es nicht geben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.