Werbung

Nukleare Aufrüstung trotz Abrüstung

Friedensforschungsinstitut Sipri kritisiert im Jahresbericht die weltweite Modernisierung von Atomwaffen

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Wettrüsten nimmt kein Ende, und die Aussicht auf die Zukunft verdüstert sich zunehmend - so lässt sich der Sipri-Jahresbericht lesen. Das schwedische Friedensforschungsinstitut zeigte zwar am Montag in Stockholm, dass sich die Anzahl nuklearer Sprengköpfe im vergangenen Jahr weiter verringert habe. Allerdings seien die neun Atommächte zugleich dabei, ihre Arsenale zu modernisieren und auszubauen. Vor allem die Anzahl der ständig in Bereitschaft gehaltenen Atomwaffen bereitet den Friedensforscher*innen Sorgen.

Zu Beginn dieses Jahres besaßen die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea nach Schätzung von Sipri 13 080 atomare Sprengköpfe. Damit sank die Anzahl der Atomwaffen im Vergleich zum Vorjahr um 320, dafür stieg die Anzahl der operativ einsetzbaren Nuklearsprengköpfe von 3720 auf 3825. Das Friedensforschungsinstitut geht davon aus, dass etwa 2000 davon auf hoher Alarmstufe bereitgehalten werden. Fast alle seien im Besitz Russlands oder der USA.

Sipri-Experte Matt Korda erklärte der dpa, dass die Gesamtzahl der Atomwaffen nur deshalb zurückgehe, weil die beiden größten Atommächte USA und Russland alte Sprengköpfe ausmusterten. »Wenn man nur auf die Gesamtzahl der Atomwaffen schaut, sieht das Abrüstungsbild viel besser aus, als es eigentlich ist.« Da würden die guten Nachrichten allerdings schon enden, denn »sowohl die USA und Russland als auch praktisch jeder andere atomar bewaffnete Staat sind mitten in teuren und umfangreichen nuklearen Modernisierungskampagnen«. Korda befürchtet, dass die atomare Aufrüstung anhalten wird: »Wir sehen gerade ein sehr klassisches Verhalten des Wettrüstens.«

Dass die Anzahl der Atomsprengköpfe formell verringert wird, liegt vor allem am bilateralen Abrüstungsvertrag »New Start« zwischen den USA und Russland aus dem Jahr 2010. Zusammen besitzen beide Länder mehr als 90 Prozent aller Nuklearwaffen. Kurz vor dem Auslaufen des Vertrags am 5. Februar wurde das Abkommen um fünf Jahre verlängert. Sipri-Atomwaffenforscher Hans M. Kristensen sieht in der Verlängerung von »New Start« allerdings keine Entwarnung. Zwar sei die Verlängerung des Abkommens in letzter Minute eine Erleichterung gewesen, aber die Aussichten auf eine zusätzliche bilaterale nukleare Rüstungskontrolle zwischen den atomaren Supermächten blieben schlecht. Allein den Anstieg operativ einsetzbarer Sprengköpfe nennt Kristensen »ein besorgniserregendes Zeichen«. Dazu kommen die Modernisierungsanstrengungen. Nicht nur die USA und Russland haben laufende Programme zur Weiterentwicklung nuklearer Waffensysteme wie Atomsprengköpfe, Raketen- und Flugzeugträgersysteme sowie von Produktionsstätten; auch die restlichen sieben Atommächte haben neue Waffensysteme entwickelt oder angekündigt, dies zu tun. Wohin das führen kann, zeigt sich an den sogenannten Mini-Nukes, wegen denen die USA schon seit längerem in der Kritik stehen. Diese Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft haben nicht das Ziel, ganze Städte auszulöschen, sondern »nur« bestimmte Gebiete.

Laut Sipri-Bericht steckt auch die Volksrepublik China mitten in einer erheblichen Modernisierung und dem Ausbau seines Atomarsenals. Mit geschätzten 350 Nuklearwaffen bleibt die Volksrepublik an dritter Stelle der Atommächte, gefolgt von Frankreich (290) und Großbritannien (225). Dahinter liegen Pakistan (165) und Indien (156), Israel bleibt bei geschätzt 90. Hinzu kommt Nordkorea. Dessen Bestand wird auf 40 bis 50 geschätzt, wegen Unsicherheiten aber nicht zur weltweiten Gesamtmenge gezählt. Sipri bezieht seine Daten aus öffentlichen Quellen.

Es sind aber nicht nur die Atommächte, die am nuklearen Wettrüsten teilnehmen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert die Aufrüstung: Mit erneuerten Atomwaffen werde nur eine »Scheinsicherheit« vorgegaukelt. Deutschland sei mit der geplanten Anschaffung von atomwaffenfähigen F-18-Kampfjets mitverantwortlich.

Miteinander reden, jetzt!
Alexander Isele über die Anzahl einsatzbereiter Atomwaffen

Laut der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) gaben die neun Nuklearwaffenstaaten im vergangenen Jahr 72,6 Milliarden US-Dollar (rund 60 Milliarden Euro) für den Ausbau ihrer Arsenale aus. Inflationsbereinigt waren das 1,4 Milliarden US-Dollar mehr als 2019.

Friedensnobelpreisträgerin Ican hatte das im Juli 2017 beschlossene UN-Abkommen zum Verbot atomarer Waffen begleitet. Im Januar trat es in Kraft. Die Atommächte sowie die Mitglieder des Nato-Militärbündnisses, zu dem die USA, Großbritannien und Frankreich ebenfalls gehören, lehnen die Vereinbarung bislang ab. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.