»Uns ist viel versprochen worden«

Viele Iraner werden die Wahlen für einen neuen Präsidenten boykottieren - aus Unzufriedenheit mit einem starren politischen System der Unterdrückung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Hassan Ruhani das erste Mal zum Präsidenten gewählt wurde, herrschte im Iran Euphorie. Die ist nun tiefer Ernüchterung, gar Wut gewichen. »Uns ist so viel versprochen worden«, sagt Laila im Onlinechat, die wie alle anderen Gesprächspartner*innen nicht erkannt werden möchte und eigentlich anders heißt. Zu viele, die sich in den vergangenen Monaten kritisch geäußert haben, sind im Gefängnis gelandet oder wurden von den Revolutionsgarden zum Verhör einbestellt. »Statt mehr Freiheit haben wir heute weniger. Die Menschen werden immer ärmer und statt nach Lösungen zu suchen, erzählt man uns, wir müssten dem Westen die Stirn bieten, unsere Identität bewahren.«

Am Freitag wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Ruhani darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Und hätte auch wohl überhaupt keine Chance mehr. Stattdessen besteht das komplett männliche Kandidatenfeld fast ausschließlich aus sogenannten Prinziplisten, also Männern, die felsenfest hinter dem Konzept der Islamischen Revolution stehen und jegliche Öffnung nach innen und außen ablehnen. Nur Zentralbankchef Abdolnasser Hemmati zählt zu den Moderaten. Alle Kandidat*innen, die sich offen für Reformen einsetzen, wurden vom Wächterrat blockiert, was überhaupt nicht erstaunlich ist. Denn die Hälfte des zwölfköpfigen Wächterrats wird von Ajatollah Ali Khamenei ernannt, die andere Hälfte von Justizchef Ebrahim Raisi vorgeschlagen und vom Parlament bestätigt.

Und Raisi, der 1988 als Richter mindestens 5000 Todesurteile verhängte, kandidiert selbst für die Präsidentschaft, hat sich so selbst zum aussichtsreichsten Kandidaten gemacht. Bei der konservativen Bevölkerung in den Dörfern und Kleinstädten ist er populär. Während die westlich orientierte Jugend in den Städten über die Todesstrafe diskutiert, über Gleichberechtigung und gleichgeschlechtliche Liebe, wird das auf dem Land als Bedrohung für ein System gesehen, das nach der Revolution 1979 einen Lebensstil festschrieb. Vielfach wird auf Ägypten, Syrien, den Irak verwiesen, um die Ablehnung von Reformen zu begründen: Sie brächten Chaos. Raisi, der in den 80er Jahren maßgeblich an der Niederschlagung von Protesten beteiligt war und in den vergangenen Jahren Hunderte Urteile gegen junge Iraner*innen erwirkt hat, die gegen das Regime auf die Straße gegangen sind, wird als Garant dafür gesehen, dass alles so bleibt, wie es ist.

Raisi war bereits 2017 gegen Ruhani angetreten und hatte damals gerade einmal 38 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht. Dass seine Chancen nun besser stehen, liegt am farblosen Kandidatenfeld, aber vor allem daran, dass im Internet und auf Flugblättern zum Boykott der Wahl aufgerufen wird. Die wenigen zuverlässigen Umfragen, die es gibt, weisen auf eine historisch niedrige Wahlbeteiligung hin. Dies sei der einzige Weg, um die Führung rund um den alternden Ajatollah Khamenei auf den tiefsitzenden Frust aufmerksam zu machen. Denn auch wenn die Kritik an Ruhani nun groß ist, wird auch gleichzeitig stets dazu gesagt, dass der scheidende Präsident nicht für alles davon verantwortlich ist: Viele Initiativen, die auf mehr Frauenrechte, wirtschaftliche und soziale Reformen abzielten, sind im extrem komplizierten Regierungssystem versickert, in dem sich die verschiedenen Gremien, die Regierung und das Parlament oft gegenseitig blockieren. Auch die Beschaffung von Impfstoffen und die Bekämpfung der Corona-Pandemie wurden durch den Kurs von Ajatollah Khamenei und der Revolutionsgarden behindert. Trotz der immensen Herausforderungen im Inland sind die Revolutionsgarden nach wie vor in Syrien, im Irak und im Jemen aktiv, unterstützen dort Milizen. Und auch daran gibt es nun deutlichere Kritik, als dies sonst üblich ist. Die Arbeitslosigkeit ist enorm, ein Großteil der Bevölkerung lebt unter oder nahe der Armutsgrenze; »Niemand versteht, warum von unserem Geld Waffen für die Kriege anderer Leute gekauft werden«, sagt Laila.

Doch das Regime selbst verfolgt eine andere Logik: Khamenei wird in naher Zukunft aus Altersgründen abtreten müssen. Deutlich ist erkennbar, wie man sich in seinem Umfeld gegen die Erkenntnis verwehrt, dass die Institution des Ajatollahs längst kein einigender Faktor mehr ist, sondern den Respekt eines erheblichen Teils der Bevölkerung verloren hat. Statt sich daran anzupassen, wählt man den Weg der Isolation und der Repression. Die erneute Kandidatur Raisis ist dabei nur der erste Schritt: Es wird einhellig damit gerechnet, dass er die Nachfolge Khameneis im Blick hat.

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