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Europa darf nicht nur Zuschauer sein
Ali Vaez spricht über die Präsidentschaftswahlen im Iran und die Chancen für das Atom-Abkommen
Am Freitag wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Einer der beiden reformorientierten Kandidaten tritt nicht mehr an. Was erwarten Sie von den Wahlen?
Meine Vermutung ist, dass das System im Iran versucht, eine möglichst homogene Kontrolle der Konservativen über alle Instrumente der Macht zu garantieren - im Vorfeld der Nachfolge des Obersten Führers, Ajatollah Ali Khamenei. Ich denke, sie wollen einen Präsidenten, der - im Gegensatz zu den vorherigen vier, die unter Khamenei gedient haben und ständig Reibungen hatten zwischen dem Amt des Präsidenten und dem Amt des Obersten Führers, in der Lage ist, mit ihm zu arbeiten und seine Autorität nicht herauszufordern, wie es seine Vorgänger taten. Deshalb denke ich, dass es eine sehr kontrollierte Wahl ist, und dieses Mal denke ich, dass die Wahlbeteiligung nicht der Hauptfaktor für die Wahl ist, sondern das Ergebnis.
Ali Vaez ist Direktor des Iran-Projekts des Thinktanks International Crisis Group (ICG). Er war maßgeblich daran beteiligt, die Kluft zwischen dem Iran und den Staaten P5+1 zu überbrücken, was zum Atom-Abkommen von 2015 führte. Zuvor war er tätig in der Abteilung für politische und friedensfördernde Angelegenheiten der UNO. Vaez ist außerordentlicher Professor an der Georgetown University. Mit ihm sprach Cyrus Salimi-Asl.
Wer wird Ihrer Ansicht nach gewinnen?
Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass wir einen konservativen Hardliner-Präsidenten kriegen, aber das ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht für den Westen. Denn wenn es ein homogeneres politisches Gefüge im Iran gibt, wird es weniger interne Machtkämpfe geben und ein geringeres Vertrauensdefizit seitens der iranischen Führung gegenüber den iranischen Unterhändlern bei den Verhandlungen über das Atom-Abkommen (JCPOA). Dann besteht sogar die Möglichkeit, dass die Art von Abkommen, die mit der Ruhani-Regierung nicht möglich war, mit einem Hardliner-Präsidenten im Iran möglich werden würde. Aber das erfordert eine Vereinbarung mit Vorteilen für beide Seiten. Die einzige Art von Vereinbarung, die funktioniert, ist diejenige, die zu einem »Besser für beide Seiten«-Abkommen führt, das auch die legitimen Sicherheitsbedenken des Irans berücksichtigt.
In Wien laufen die Gespräche über das Atom-Abkommen weiter. Die USA wollen, dass das Atom-Abkommen (JCPOA) ausgeweitet wird. Geht es voran?
Ja, die Gespräche machen Fortschritte, aber sie kommen nur sehr langsam voran. Der Grund dafür ist, dass es einige ernsthafte Differenzen gibt zwischen den beiden Seiten. Die wichtigste davon sind die unterschiedlichen Erwartungen in Bezug auf die Lockerung der Sanktionen: Die USA sind bereit, dem Iran sinnvolle Sanktionserleichterungen anzubieten, aber sie zögern, alle Sanktionen aufzuheben, die in den letzten Jahren seit der Umsetzung des JCPOA verhängt wurden. Denn man ist der Ansicht, dass diese Sanktionen mit dem Atomabkommen vereinbar sind. Die Iraner lehnen die Verhängung neuer Sanktionen kategorisch ab und wollen, dass die USA nicht nur alle Sanktionen aufheben, sondern dies zuerst tun und dem Iran eine drei- bis sechsmonatige Überprüfungsfrist einräumen, bevor der Iran seine eigenen Verpflichtungen wieder einhält. Und das ist für die Biden-Administration politisch einfach nicht möglich. Also müssen sie einen Mittelweg finden, und das erfordert zusätzliche Verhandlungsrunden. Aber beide Seiten wollen am Ende das Gleiche, nämlich die Wiederherstellung des JCPOA.
Was wäre die Alternative?
Die Alternative dazu ist für beide Seiten nicht wirklich attraktiv. Wenn der Iran sein Atomprogramm weiter ausbaut, eine Uran-Anreicherung von 60 Prozent vornimmt und eine fortgeschrittene Zentrifugenentwicklung betreibt, sind das ernste Gründe der Besorgnis für Washington. Und Sie wissen, die Politik des maximalen Drucks bleibt bestehen, die iranische Wirtschaft würde weiter leiden, was für die Führung in Teheran eine Quelle der Besorgnis ist. Ich bin also vorsichtig optimistisch, dass sie am Ende in der Lage sein werden, ihre Differenzen zu überwinden, keine der bestehenden Knackpunkte sind unüberwindbare Hindernisse.
Welche Position sollte der Westen in den Gesprächen einnehmen? Eher eine harte Haltung oder doch eher die flexible?
Die USA sind verantwortlich für den traurigen Zustand, in dem sich der Atomdeal im Moment befindet. Es ist also an den USA, mehr Flexibilität zu zeigen. Auch die Europäer haben trotz ihrer starken politischen Unterstützung für das JCPOA während der Trump-Regierung ihr wirtschaftliches Engagement gegenüber dem Iran nicht wirklich erfüllt. Daher hoffe ich, dass die Europäer den Weg zurück finden zum JCPOA, mehr als nur Zuschauer sein werden und sicherstellen, dass die Umsetzung ein Erfolg wird.
Haben die Europäer Fehler begangen?
Die Europäer können nicht sagen‚ JCPOA ist entscheidend für die nationale Sicherheit Europas, überlassen die Umsetzung des wirtschaftlichen Teils des Abkommens dann aber dem Privatsektor. Der öffentliche Sektor müsste den privaten Sektor unterstützen, der sich angesichts der Erfahrungen mit dem Rückzug der Trump-Regierung und der Wiedereinführung der Sanktionen sowie der Tatsache, dass sich die Welt derzeit in einer wirtschaftlichen Rezession befindet als Folge der Corona-Pandemie, davor hüten würde, den iranischen Markt wieder zu betreten. Die europäischen Länder müssten also pro-aktive Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass der Handel zwischen dem Iran und Europa wiederhergestellt wird und die Iraner wirklich vom Atom-Abkommen profitieren können. Denn das ist entscheidend für die Fähigkeit, ein Nachfolgeabkommen auszuhandeln. Was absolut notwendig ist, weil die Erfahrung in den letzten Jahren gezeigt hat, dass das Abkommen nicht stabil ist, und in Ermangelung einer für beide Seiten besseren Vereinbarung wird das Abkommen den Test der Zeit nicht überleben.
In den letzten Monaten ist Saudi-Arabien auf den Iran zugegangen, um die Beziehungen zu verbessern. Ist das ein glaubwürdiger Schritt für eine bessere Verständigung in der Golf-Region?
Die Gespräche zwischen Iran und Saudi-Arabien sind genauso glaubwürdig wie die Atomverhandlungen in Wien, aber auch genauso fragil. Es ist klar, dass die Saudis nach der Ära des maximalen Drucks und mit der Ankunft der Biden-Regierung erkannt haben, dass diese Lose-Lose-Dynamik, die die iranisch-saudischen Beziehungen in den letzten Jahren bestimmt hat, nicht haltbar ist. Und der Eindruck eines Rückzugs der USA aus der Region hat die Saudis dazu gebracht, nach Wegen zu suchen, die Spannungen mit dem Iran abzubauen. Es bleibt abzuwarten, ob beide Seiten eine echte Einigung finden können, die nicht nur ihre bilateralen Differenzen beseitigt, sondern auch eine Art regionales Sicherheitsarrangement schafft, mit dem alle Länder der Region leben können.
Sie sind sehr optimistisch.
Die Deeskalation zwischen dem Iran und Saudi-Arabien allein wird nicht unbedingt zu einer nachhaltigeren Situation in der Region führen, diese muss Teil eines größeren regionalen Prozesses sein. Mit der Wiederherstellung des JCPOA und der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien werden solche regionalen Verhandlungen möglich. Der Westen ist nicht in der Lage, diese Verhandlungen zu führen, da er sich meist auf eine Seite dieses Konflikts geschlagen hat, aber ein neutraler Akteur wie die Vereinten Nationen könnte solche Verhandlungen führen und der Westen könnte politische Unterstützung leisten.
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