- Politik
- Linke Wahlstrategie
Die politische »Kunst der Fuge«
Wie kann es der Linkspartei gelingen, bei Wahlen für mindestens das 50-Fache ihrer Mitgliedschaft überzeugend zu sein?
Bedenken wir eines: Bei Wahlen können zwar Revolutionär*innen gewählt werden, von diesen verlangen aber Wähler*innen, wenn es denn ausreichend viele sein sollen, nicht die Revolution für die Zeit der Wahlperiode. Auch links Wählende - und gerade links Wählende - wollen wissen, was die Gewählten für sie sozial, ökologisch, demokratiepolitisch, friedenspolitisch … in den nächsten Jahren durchsetzen wollen.
Für die Überwindung des Kapitalismus braucht man mehr als Wahlen, mehr als Parlamente und vor allem mehr Zeit als Legislaturperioden. Deshalb werden Linke Parteien und Projekte dann selten gewählt, wenn sie den Unterschied nicht deutlich machen oder machen können. Die Perspektive der sozialen Revolution ist am Wahltag für viele die Vertröstung auf das erwünschte, aber fern liegende (weil vielleicht auch verspielte) »Himmelreich auf Erden«. Dafür wählen uns nur die eingefleischten Sozialist*innen. Die haben keine andere Wahl - nie.
Das ist gut so, aber das verwies zum Beispiel in den ostdeutschen Ländern die PDS bzw. Die Linke 1990 und 2019 auf etwa zehn Prozent. Andere Dinge erschienen wichtiger als die linken Angebote:
- 1990 hatte die SED abgewirtschaftet. Sozialistische Alternativen zum Einigungsprozess waren diskriminiert, Die kompetente Gestaltung der »deutschen Einheit« mit Übernahme des westdeutschen politischen, administrativen und ökonomischen Systems wurde von Wahlsiegern erwartet.
- 2019 wurde die Verhinderung einer AfD-Mehrheit zum Hauptziel des Wahlausganges. Entsprechende Mehrheiten wurden jenseits der Stärkung der Linkspartei gesucht. Dass und wie es geht, zeigten schon die Bürgermeisterwahlen in Görlitz. Einer durchaus rechtslastigen CDU, vereint mit einem Korrektiv durch Bündnis 90/Grüne traute man den Verweis der AfD in die parlamentarische Machtlosigkeit zu.Gleiches ist jetzt in Sachsen-Anhalt passiert.
- In Thüringen verlief es 2019 deutlich anders. Das hing mit den anderswo verwehrten Möglichkeiten einer rot-rot-grünen Koalition und den agierenden Personen zusammen. Auch Berlin wäre ein - wenn auch besonderes und auch anders gelagertes - Beispiel dafür.
Am Wahltag fragt man nach der nächsten Zukunft der eigenen Arbeit, nach den Kosten des Wohnens, nach den nächsten guten Taten für die erfahrbare Umwelt, nach den Möglichkeiten, die eigene Gesundheit zu erhalten, nach den Perspektiven von Demokratie, nach den nächsten Jahren in Frieden, nach den Personen, die dahinter stehen usw. Aus der durchaus aktuell variierenden Schwerpunktsetzung bei der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich schließlich auch die aktuelle Wahlentscheidung.
Die ist nicht die Antwort auf die Systemfrage, sondern eine tagespolitisch begründete. Bis 2004 hatten die PDS bzw. die nachfolgende Linke gute Antworten auf diese Fragen. Sie blieben bis 2015 ausreichend überzeugend. Bis 2004 war die PDS auf einem Weg zu einer »Volkspartei neuen Typs«. Dann erschöpfte sich ihre Überzeugungskraft aber zunehmend, weil aus ihren Wahlerfolgen kaum reale Veränderungen abzuleiten waren. »Jetzt habe ich Dich drei Mal gewählt und was ist dabei herausgekommen?« - das war die immer öfter gestellte und nur unzulänglich zu beantwortende Frage.
Dialektisch Denkende und Planende müssen in allem eine Widersprüchlichkeit erkennen, die nicht einfach aufzulösen ist, sondern zu beachten und zu nutzen für das Bestehen bei einer Wahl, nach der möglichst vielen Menschen konkret geholfen werden kann und sich zugleich die Möglichkeiten für die letztlich notwendige Überwindung des Kapitalismus sowie die entsprechende Erkenntnis verbessern. Man sollte aber nie den zweiten Schritt vor dem ersten propagieren. Er wäre nicht möglich, ihn zu gehen. Dessen werden wir aber zumindest oft verdächtigt. Das gegenwärtige ökonomische, politische und meinungsbildende System würde sich als stärker erweisen und wir uns als schwächer.
Strategisch freilich muss man die widersprüchlichen Quellen der notwendigen Bewegung berücksichtigen. Versprechen wir bei Wahlen, was wir halten können und was die Bedingungen für linken Fortschritt verbessert. Vor allem aber dürfen wir nicht Parteiprogramm und Wahlprogramm verwechseln und nicht Parteiarbeit mit Fraktionsarbeit. Trennen wir sie, aber nicht bis zur unverbindlichen, unvergleichlichen und verwaschenen Verschiedenheit.
Freilich haben die einschlägigen Debatten vor allem um Wahlprogramme oft gezeigt, dass der notwendige Unterschied zum Parteiprogramm nicht ausreichend begriffen wurde. Das Wahlprogramm und die bisherige Arbeit der Fraktionen und politischen Amtsinhaber*innen muss für etwa das 50-Fache oder noch mehr an Wähler*innen für ihre Wahlentscheidung überzeugend sein, als wir Parteimitglieder haben. Dabei geht es nicht um Abstriche am Ziel der Partei, sondern um eine andere Qualität der Zielstellung.
Abgeleitet daraus bin ich zu folgender Überlegung zu Charakteristika der Partei Die Linke gelangt, die im Bundestagswahlkampf in die Öffentlichkeit getragen werden sollen. Sie lassen fast alle linken Forderungen zu und sind doch zugleich ein Konzentration auf notwendige, aktuell und im Alltag den Menschen auf den Nägeln brennende Probleme - zu verwandeln in Forderungen.
Die Bürde der Selbstzerfleischung - Über einen schweren Linke-Wahlkampf im Nordosten
Die Linke im Wahlkampf soll sein eine:
- Partei des Friedens (ohne Frieden ist alles nichts)
Wir sind davon überzeugt, dass Frieden nur möglich wird, wenn man ihn will, diesen Willen auch den anderen unterstellt und Verschiedenheit und sogar Differenz der Interessen akzeptiert. Das wollen wir zur Grundlage von Verhandlungen über eine europäische Friedensordnung machen.
- Partei des Kampfes gegen konkrete Ausbeutung
Wir wollen den Weg zu gerechten Löhnen gehen. Das heißt überall gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Wir erstreben Arbeitseinkommen, die ein menschengerechtes Leben und eine ausreichende Altersversorgung ermöglichen.
Unser Ziel ist die reale Gleichberechtigung von Frauen. Wir wollen vor allem den gender pay gap (geringere Bezahlung von Frauen für die gleiche Arbeit) und die Überlastung von Frauen durch unbezahlte Arbeit nicht mehr dulden.
Die Gesellschaft braucht Kunst, Kultur und Wissenschaft. Sie bekommt sie erst, wenn alle daran Beteiligten ohne große Sorge genug zu Essen, Trinken, Wohnen und sich Kleiden haben.
Unser Ziel sind gerechte Renten, für die von allen bezahlt wird.
Wir fordern die Sicherung von Mieten, die das Recht auf Wohnen nicht gefährden. Erreichen wollen wir das vor allem durch eine deutliche Erhöhung des Wohnungsbestandes in öffentlicher Hand und in genossenschaftlichem Eigentum.
Migrant*innen sind aus mehrfacher Ausbeutung zu befreien und als gleichgestellte Menschen zu behandeln.
Wir scheuen uns deshalb nicht zu zeigen, dass als logische Folge unserer Forderungen Kapitalismuskritik und Antikapitalismus nötige politische Zielstellungen sind. Wir scheuen uns auch nicht, die damit verbundenen Auseinandersetzungen zu führen.
- Oppositionspartei
Das braucht ein deutliches Bekenntnis zu parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition in ihrem wechselseitigen Zusammenwirken. Letztere ist durch das Recht, sich zur Durchsetzung politischer Ziele vielfältig zu organisieren und unter Verzicht auf jegliche Gewalt durch das Versammlungs- und Demonstrationsrecht grundgesetzlich garantiert und deshalb ein legitimes Mittel politischer Auseinandersetzung.
- Partei des Kampfes um gleiche Lebensverhältnisse
Wir sind eine Partei, die ihre politischen Forderungen auch der Unterschiedlichkeit der Regionen anpasst.
Wir sind eine Partei, die das Recht auf Verteidigung verschiedener sozialer und kultureller Identitäten anerkennt und durchzusetzen hilft.
Wir sind die Partei der Bildungsgerechtigkeit. Wissenserwerb und Bildung dürfen nicht von Einkommen und sozialen Privilegien abhängig sein.
- Partei der Menschenrechte
Jeder Mensch ist gleich geboren und hat das gleiche Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in angemessenem Wohlstand.
Gewaltlosigkeit, globale Klimagerechtigkeit, internationale Solidarität, Antifaschismus, Antirassismus sind für uns Selbstverständlichkeiten.
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