Sozialdemokratische Abschottung

Dänemark will Flüchtlinge selbst bei einem positiven Asylbescheid nicht ins Land lassen

  • Philip Franzén
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das europäische Asylsystem ist kaputt«, sagte der dänische Migrationsminister, Mattias Tesfaye, vergangene Woche in Kopenhagen. Eine Aussage, die auch mit Blick auf die zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni veröffentlichten Zahlen Sorge bereitet: Mehr als 82 Millionen Menschen sind aufgrund von Konflikten und Verfolgung weltweit zur Flucht gezwungen, so der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR). Das Flüchtlingskommissariat ruft daher Regierungen und Gesellschaft dazu auf, Geflüchtete an allen Lebensbereichen teilhaben zu lassen. Doch Dänemark hat ganz andere Pläne: Anfang Juni hat das »Folketing«, das dänische Parlament, ein Gesetz beschlossen, nach dem die ohnehin schon restriktive Flüchtlingspolitik des Landes weiter verschärft werden soll: Zukünftig sollen Asylsuchende in Drittländern auf die Bearbeitung ihres Antrags warten.

Konkret sieht das Gesetz vor, dass Asylsuchende nach ihrer Registrierung an der dänischen Grenze in ein Aufnahmezentrum außerhalb der Europäische Union geflogen werden. Dort sollen sie auf ihren Asylbescheid warten. Fällt dieser negativ aus, muss das Drittland verlassen werden. Doch auch bei einem positiven Asylbescheid würden die Menschen nicht nach Dänemark einreisen dürfen, sondern müssten dauerhaft in dem entsprechenden Drittland bleiben, dort in die Gesellschaft integriert werden oder in einem der UN-Flüchtlingslager unterkommen. Damit lagert Dänemark seine Asylprozesse aus und trägt lediglich die Verfahrenskosten. Den restlichen Prozess übernimmt das Drittland.

Gespräche mit Ruanda

Bisher ist jedoch nicht klar, welche Länder das sein könnten. Man sei in Gesprächen mit fünf bis zehn Ländern, erklärte die Regierung, hielt sich ansonsten aber bedeckt. In dänischen Medien war die Rede von Ägypten, Tunesien und Äthiopien, aber vor allem mit Ruanda scheinen die Verhandlungen bereits fortgeschritten zu sein.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren das geplante Verfahren als gefährlich. Schließlich müssen Asylsuchende auch weiterhin den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen, um zunächst nach Dänemark zu gelangen. Nicht zuletzt die mangelnde Rechtssicherheit in den als Partnerländern diskutierten Staaten mache das Vorhaben unvereinbar mit internationalem Recht und den Prinzipien der Flüchtlingszusammenarbeit.

Die dänische Regierung hingegen spricht von abschreckenden Maßnahmen: »Es ist ein neues System, das dazu beitragen wird, dass weniger Menschen Asyl in Dänemark suchen, weniger Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer ertrinken und weniger Menschen auf Migrationsrouten missbraucht werden«, erklärte Tesfaye im Frühjahr.

Im Jahr 2020 haben 1547 Menschen in Dänemark Asyl beantragt, lediglich 600 Anträge wurden positiv beschieden - der niedrigste Wert seit 1992. Aber nicht niedrig genug, findet die sozialdemokratische Premierministerin Mette Frederiksen, die Anfang des Jahres eine Nullvision für die dänische Flüchtlingsaufnahme formulierte. Langfristig wolle man in Dänemark nur noch Flüchtlinge entsprechend einer Quote der Vereinten Nationen aufnehmen. Der nun genehmigte Gesetzentwurf ist ein Schritt dahin.

»Rechte rechts überholt«

Bereits 2018 legten die Sozialdemokraten den Vorschlag vor, der damit zum Auftakt für den Wahlkampf im Jahr 2019 wurde. Damals nahmen die Sozialdemokraten eine deutlich einwanderungskritischere Haltung ein als zuvor, um Wählerinnen und Wähler der rechtsnationalistischen Dansk Folkeparti zu gewinnen. Die Strategie hatte Erfolg: Die Sozialdemokraten gewannen die Wahl und konnten die liberal-konservative Regierung ablösen.

Seitdem fällt Dänemark immer wieder mit einer restriktiven Migrationspolitik auf. Anfang des Frühjahrs wurde syrischen Flüchtlingen aus der Region Damaskus die Aufenthaltsgenehmigungen entzogen, weil die Behörden das Gebiet mittlerweile als sicher einstufen. Migranten, die sich bereits in Dänemark niedergelassen hatten, wurden zur Rückkehr gezwungen. Dänemark war das erste Land in Europa, das diese Entscheidung getroffen hat, und nicht nur das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Amnesty International übten Kritik daran.

»Diese Gesetzinitiative ist deutlich radikaler als alles, was die dänischen Rechtpopulisten vorgeschlagen haben«, sagte etwa der Migrationsexperte Martin Lemberg-Pedersen von der Universität Kopenhagen dem Magazin »Spiegel«. »Die Sozialdemokraten haben die Rechten rechts überholt.« Henrik Nordentoft von UN-Flüchtlingskommissariat nennt das dänische Gesetz »unvereinbar mit den Prinzipien der internationalen Flüchtlingszusammenarbeit«.

Auch die EU steht der dänischen Zusammenarbeit mit afrikanischen Drittstaaten kritisch gegenüber. Das Gesetz könne die Grundlagen des internationalen Flüchtlingsschutzsystems untergraben, erklärte die Europäische Kommission. Sie hat auch darauf hingewiesen, dass der Vorschlag nicht mit geltenden EU-Vorschriften über die Aufnahme von Flüchtlingen vereinbar ist. Allerdings gelten für Dänemark schwer durchschaubare Ausnahmen vom europäischen Asyl- und Migrationsrecht, womit das Land mehr rechtlichen Spielraum hat als andere EU-Staaten. Man wolle daher die Rechtslage untersuchen, bevor weitere Schritte im Umgang mit dem dänischen Vorstoß vorgenommen werden.

Aber nicht nur Kritiker verschaffen sich Gehör. In Österreich hat die dänische Initiative positive Reaktionen ausgelöst. Kurz nach Annahme des Vorschlags besuchte Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) Kopenhagen, um sich mit Dänemarks Migrationsminister Mattias Tesfaye zu treffen. Es liegt auf der Hand, dass die Regierungen Dänemarks und Österreichs die Ansichten zu Flüchtlings- und Migrationsfragen weitgehend teilen. Und sicher werden sich noch weitere einwanderungskritische Parteien Europas von Dänemark inspirieren lassen.

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