Wer wählt wie? Aufs Alter kommt es an

Bei welcher Partei man sein Kreuzchen macht, hat damit zu tun, wann man wo aufgewachsen ist und in welcher Lebensphase man sich befindet

  • Horst Kahrs
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Alter der Wählerinnen und Wähler scheint für das Abschneiden von Parteien eine wichtige Rolle zu spielen. So stimmten 2017 nur 25 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die CDU/CSU, aber fast 45 Prozent der über 70-Jährigen; ähnlich bei der SPD. Der Linkspartei, heißt es, sterben mehr und mehr die Wählerinnen weg. Für die Grünen votierten 2017 dagegen 15 Prozent der jüngsten, aber nicht einmal 4 Prozent der ältesten Wählerinnen und Wähler. Die AfD-Wählerschaft besteht überdurchschnittlich aus 30- bis 60-Jährigen, von Männern dieses Alters erhielt sie bei Landtagswahlen teilweise ein Drittel der Stimmen. Was bedeutet das für die Zukunft?

Die bundesdeutsche Gesellschaft wird in den kommenden beiden Jahrzehnten älter. 1990 waren noch 23 Prozent der Wahlberechtigten jünger als 30, 2017 nicht einmal mehr 15 Prozent. Über 36 Prozent waren dagegen 60 Jahre und älter. Ihr Anteil wird, so die amtlichen Bevölkerungsprognosen, auf deutlich über 40 Prozent anwachsen. Damit verändert sich, unter Fortschreibung der heutigen Trends, das politische Bild der älteren Wählerinnen und Wähler. Union, SPD, Linke würden demografisch bedingt deutlich schwächer, AfD, Grüne und FDP deutlich stärker.

Die Lebensumstände sind entscheidend

Der Zusammenhang zwischen Alter und Wahlverhalten ist selbstredend kein biologischer, sondern ein sozialer. Bedeutsam sind regionale Unterschiede: In ländlich geprägten Regionen macht sich die älter werdende Gesellschaft stärker bemerkbar als in städtisch geprägten, im Osten ist sie bereits jetzt spürbarer als im Westen. Bereits hier wird klar: Nicht das bloße Alter, sondern die Lebensumstände bestimmen den Blick auf Gesellschaft und Zukunft.

Das »Lebensphasen-Modell« unterstellt verschiedene Phasen, in denen sich die Sicht auf die eigene Stellung in der Gesellschaft, auf sozialen und kulturellen Wandel, auf die Zukunft, auf wichtig und unwichtig verändert. Jüngere (bis 30 Jahre) suchen und kämpfen um ihren Platz in der sozialen Arbeitsteilung, stellen Strukturen, die ihnen Zugänge und Zukünfte versperren, eher infrage, sind aufgeschlossen gegenüber Neuem. 10 bis 20 Prozent von ihnen wählen seit 20 Jahren kleinere »sonstige Parteien«, worunter im Westen oft auch die Linke fällt. Wenn die kleine Partei absehbar den Durchbruch nicht schafft, wählen sie eine etablierte. In der ersten Hälfte der mittleren Generationen wirken sich Familiengründung, Kinder, Aufbau von Sicherheiten gegen die Wechselfälle des Lebens, vor allem aber auch Zeitknappheit stärker aus. In der zweiten Hälfte der mittleren Lebensphase, wenn die Kinder »aus dem Haus« sind, verändern sich mit den Zeitbudgets auch die Möglichkeiten der Alltagsgestaltung, aber auch die Sorge, wie man in den Ruhestand kommt. Bei den über 60-Jährigen, den Rentnerinnen und Pensionären, spielen dann die Stabilität der Verhältnisse, die die Alterseinkommen sichern, aber auch die Sorge um die Zukunft der Enkel eine Rolle. »Bewahren« wird wesentlich, weshalb die Union unter Älteren meist stärkste Partei wird.

Das »Generationen-Modell« fragt nach prägenden sozialen und kulturellen Verhältnissen, in denen eine Altersgruppe sozialisiert wurde. Interessant sind dabei meistens die ersten 15 bis 25 Lebensjahre, die Jahre, in denen sich ein Verständnis, eine Deutung der Gesellschaft herausbildet, in der man zurechtkommen muss, eine Einstellung zu Werten und Normen und eine affektive Nähe bzw. Distanz zu einzelnen Parteien.

Wer in den 50er und 60er Jahren in der DDR oder BRD aufwuchs, wuchs unter anderen sozialen und kulturellen Umständen auf als die nach 1970 oder die nach 1990 Geborenen: Die Rolle des Sozialstaates, die Arbeitswelt oder das, was als normale Qualifikation gilt, haben sich gewandelt. Wer 1956 geboren wurde, konnte mit einem Hauptschulabschluss noch regelmäßig eine Facharbeiterinnen-Karriere machen; wer 1990 geboren wurde, findet sich in einer Welt wieder, in der die Hochschulreife »normal« ist. Es können feste Bindungen zwischen Parteien und unterschiedlichen sozialen Milieus entstehen.

SPD-Wähler wurden mit der Partei alt

Die PDS erhielt bereits 1990 überdurchschnittliche Zustimmung unter Angehörigen der »ersten Generation« der DDR, unter den von 1945 bis 1965 geborenen Männern und Frauen, die heute knapp 60 und älter sind. Im Westen wählten Gleichaltrige, aufgewachsen unter den Bedingungen zunehmenden Wohlstands und sozialer Öffnung für Angehörige der Arbeiterklasse, bei der Wahl 1980 mit knapp 50 Prozent weit stärker als andere Generationen die SPD. Sie bilden bis heute den Kern der sozialdemokratischen Wählerschaft, aber in weit geringerem Maße.

Ein Teil von ihnen wechselte zur Linken. 2009 erzielte die Linkspartei unter den damals 45- bis 59-Jährigen, den Geburtsjahrgängen 1950 bis 1964, 15,2 Prozent. Im Westen konnten diese Wähler allerdings nicht längerfristig gebunden werden. Bei den jüngsten Verlusten in ostdeutschen Landtagswahlen waren es nun gerade Angehörige dieser Generation, die der Partei überdurchschnittlich - minus 7 Prozentpunkte in Sachsen-Anhalt - den Rücken kehrten. Bleibt es dabei und bei der Schwäche in der folgenden Generation, dann rücken auch im Osten Wahlergebnisse von deutlich über 10 Prozent - von politischen Ausnahmesituationen abgesehen - in weite Ferne.

Denn die Geburtsjahrgänge 1946 bis 1960/64 waren 2005 und 2009 unter den Linke-Wählern deutlich stärker vertreten als unter allen Wählern. Sie zählten 2017 mehrheitlich zu den über 60-Jährigen - die nun mit knapp 34 Prozent, trotz der Verluste unter der Nachkriegsgeneration, immer noch die größte Altersgruppe in der Linke-Wählerschaft stellten. Obwohl 2017 erstmals der Anteil der unter 35-Jährigen in der Wählerschaft der Linken mit gut 23 Prozent größer als in der gesamten Wählerschaft (20 Prozent) war, konnten sie die Verluste nicht ausgleichen. Zudem sind die Jüngeren politisch wechselfreudiger, Milieubindungen kaum entstanden. Und: Die mittlere Generation der ab Mitte der 60er bis Mitte der 80er Jahre geborenen Wahlberechtigten ist in der Wählerschaft der Linkspartei nun deutlich unterdurchschnittlich vertreten.

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Gegenwärtig scheint es nur zwei Parteien mit einer relativ starken Bindung an - unterschiedliche - soziale Milieus zu geben, die auf absehbare Zeit einen stabilen Kern ihrer jeweiligen Wählerschaft bilden können. Die Wähler und Wählerinnen der Grünen sind in der Summe relativ jung. Lediglich 21 Prozent waren 2017 60 Jahre und älter, alle Altersgruppen unter 60 sind bei den Grünen bereits 2017 überdurchschnittlich vertreten. Die Partei ist fest in akademischen, neu-bürgerlichen sozialen Milieus verankert, deren Wurzeln bis in die Alternativ-Ökonomie der 80er Jahre reichen.

Ähnlich verhält es sich bei der AfD. Deren Kernwählerschaft bilden die 35- bis 60-Jährigen, die Geburtsjahrgänge von Mitte der 60er bis Anfang der 80er Jahre. Vor allem im Osten gilt, dass sie über Jahrzehnte hinweg aufwuchs: Die einstigen Wähler von DVU und NPD zählten damals, ab 1998, zur jüngsten, jetzt zur mittleren Generation, in lokalen Alltagswelten präsent, oft prägend. Gleichzeitig repräsentieren viele Kandidaten der AfD authentisch die sozialen Wertemilieus, die sie wählen.

Die einstige Stärke linker Parteien gründete auf einer stabilen sozialen und ideologischen Bindung an die Nachkriegsgeneration und die »Baby-Boomer«. Diese Bindung hat sich arg gelockert. Eine entsprechende Bindung zu der Generation, deren »mittlere Lebensphasen« nach 1990 und unter den Bedingungen des flexiblen Kapitalismus begannen, ist nicht entstanden und die Fähigkeit zur politischen Repräsentation sozialer Kern- bzw. Leitmilieus der Gesellschaft geschwunden. Die Frage wäre also: Wie kann und soll eine Erneuerung der Kernwählerschaft aussehen?

Horst Kahrs ist Referent des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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