Dem Absturz folgt der Aufstieg
Eva von Angern wird trotz Wahlniederlage zur alleinigen Linke-Fraktionschefin in Sachsen-Anhalt gewählt
Nicht immer ist Sarkasmus nötig, um Niederlagen etwas Positives abzugewinnen. Manchmal hilft auch Muße, Besinnung: Kristin Heiß, die in den vergangenen fünf Jahren für die Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt gesessen hatte, begab sich nach der Landtagswahl am 6. Juni auf eine Art Pilgerreise. Zu Fuß und per Kanu hatte sie sich auf den Weg von Magdeburg nach Angermünde gemacht, um ihre dort lebende Oma zu besuchen. In den sozialen Netzwerken berichtete die 37-Jährige von anstrengenden Wanderungen bei praller Sonne, von Magenkrämpfen und Durchfall. Aber auch von einem »Jakobsweg-Feeling«, das sie nach fünf kräftezehrenden und nervenaufreibenden Jahren im Magdeburger Parlament offenbar dringend nötig hatte.
Nun, das Ergebnis der Linken bei der Landtagswahl mochte ihr den nötigen Anschub für die etwas ungewöhnliche Reise gegeben haben. Die Partei kam am 6. Juni nur auf elf Prozent und stellte in der mehr als 30-jährigen Geschichte Sachsen-Anhalts einen neuen Negativrekord bei Landtagswahlen auf. Die bis dato 16-köpfige Linksfraktion reduziert sich nun auf zwölf Abgeordnete. Auch Kristin Heiß gehört nicht mehr dazu - denn sie stand auf der Landesliste nur auf Platz 15. Natürlich wäre sie gern im Landtag geblieben, aber: »In den letzten Jahren hatte ich wenig Zeit. Nun wollte ich einfach mal den Kopf freibekommen.«
So verpasste Heiß auch einen Termin am Dienstag und Mittwoch in Dessau, bei dem es deutlich kopflastiger zur Sache ging. Die neue Fraktion war zu einer Klausurtagung zusammengekommen. Es galt, die Gründe für das schwache Abschneiden herauszuarbeiten und die personellen und strategischen Weichen für die künftige Arbeit im Landtag zu stellen. Und ganz im Gegensatz zu ihrer ausgeschiedenen Finanzexpertin haben sich die Abgeordneten dazu entschlossen, neue Pfade zu meiden: Eva von Angern, die als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl angetreten war, bleibt trotz der deutlichen Wahlniederlage an der Fraktionsspitze.
Mehr noch: Sie führt die Fraktion künftig allein. Bei einer geheimen Wahl erhielt die 44-Jährige zehn Ja-Stimmen. Der bisherige Co-Fraktionschef Thomas Lippmann wird ihr Stellvertreter, ebenso Christina Buchheim. Auch diese beiden erhielten jeweils zehn Ja-Stimmen. Landeschef Stefan Gebhardt wurde mit elf Ja-Stimmen als Parlamentarischer Geschäftsführer bestätigt. »Ein Signal der Geschlossenheit«, sagte von Angern auf der anschließenden Pressekonferenz. Bereits kurz nach der Wahlniederlage hatte sie angekündigt, keine persönlichen Konsequenzen daraus ziehen zu wollen - nun darf sich trotz des Absturzes eines großen Rückhalts sicher sein. Auch die zwei Abweichler stimmen sie »nicht unruhig«.
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Aber ist das der richtige Umgang mit diesem Desaster? Kristin Heiß sagt, nach der Wahl sei auf inhaltlicher Ebene »wenig Selbstkritik« zu hören gewesen. In der Tat: Bisher hatten Gebhardt und von Angern in ihren Wahlanalysen vor allem auf externe Gründe für das schlechte Abschneiden verwiesen: einerseits der anhand von Vorwahlumfragen prognostizierte, letztlich aber nicht eingetretene Zweikampf zwischen Ministerpräsident Reiner Haseloff und der AfD, andererseits die Corona-Pandemie.
Nun versuchen die beiden, etwas andere Töne anzuschlagen. »Wir suchen die Gründe für die Niederlage vor allem bei uns«, machte Eva von Angern am Mittwoch deutlich. Man habe den Kontakt zu den Menschen vor Ort schleifen lassen, habe als Oppositionspartei »staatstragende Regierungsarbeit« geleistet, anstatt Visionen für die Zukunft zu entwickeln. Das klang schon selbstkritischer.
Bleibt die Frage, wie die Linke mit ihrem Personal umgeht. Kristin Heiß ist verärgert - auch mit Blick auf ihre eigene Rolle. »Ich bin unzufrieden über die Art und Weise, wie solche Landeslisten entstehen. Das nehme ich dem Landesvorstand auch übel«, kritisiert sie gegenüber »nd« und spricht von »Netzwerken und Klüngeleien«. Sie selbst habe in der abgelaufenen Legislaturperiode auf der fachlichen Ebene im Finanzbereich ihr »Ding durchgezogen« und sei »weniger Parteisoldatin« gewesen. Diese Haltung habe ihr, so ihre Vermutung, einen schlechteren Listenplatz beschert - möglicherweise mit direkten Folgen für die künftige Fraktionsarbeit: Die finanzpolitische Kompetenz der letzten Legislatur werde der Fraktion fehlen, glaubt Kristin Heiß: »Natürlich sind wir eine Partei, die sich für soziale Belange einsetzt. Aber es braucht auch Menschen, die sich um Finanzierung kümmern.« Neben Kristin Heiß ist mit Swen Knöchel auch der zweite Finanzpolitiker ausgeschieden.
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Auch Knöchel sieht seine Partei auf dem Holzweg: »Die Linke ist eine in sich erschöpfte Partei. Wir haben Politik gemacht wie eine Regierung im Wartestand, konnten aber nicht regieren.« Stattdessen solle sich die Linke nun weniger auf Wahlerfolge, sondern den konkreten Kampf für eine gerechte Gesellschaft konzentrieren: »Linke Politik findet in erster Linie außerhalb der Parlamente statt. Wir brauchen eine linke Vision von Gesellschaft, verbunden mit konkreten realpolitischen Ideen.« Zurzeit aber werde die Linke »geführt wie ein Wahlverein«.
Ein indirekter Vorwurf gegenüber Landeschef Stefan Gebhardt, der ohnehin nicht unumstritten ist: Der 47-Jährige wurde 2019 mit gerade einmal 69,5 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt. Will er an der Spitze bleiben? »Das ist noch nicht entschieden. Zuerst konzentrieren wir uns voll auf die Bundestagswahl.«
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