Keine pauschale Aufnahmezusage

Afghanische Ortskräfte müssen ihre Gefährdung weiterhin bürokratisch korrekt belegen.

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein Antrag der Grünen, der am Donnerstag um 20:45 Uhr von Vizepräsidentin Dagmar Ziegler (SPD) im Bundestag vor kaum besetzten Reihen aufgerufen und schlicht abgearbeitet wird. Immerhin eine Aussprache von 30 Minuten ist angesetzt. Das Ergebnis: absehbar. Zwischenfragen soll es nicht geben – der Sitzungstag war lang und nicht zuletzt läuft auch bald das Länderspiel. »Wir reden von Pflicht, Verantwortung und Schuld«, sagt SPD-Politiker Helge Lindh während die deutsche Nationalhymne in München abgespielt wird. Seine Fraktion wird den Antrag jedoch ablehnen.

Bereits im April 2019 hatten Abgeordnete der Grünen den Antrag »Verantwortung anerkennen – Gruppenverfahren zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte einführen« auf den Weg gebracht. Im Kern wollten die Grünen eine Beweislastumkehr erreichen: Bislang verlangt die Bundesregierung, dass afghanische Ortskräfte, die im Land und insbesondere bei den Taliban als Kollaborateur*innen der internationalen Truppen gelten, ihre Gefährdung nachweisen. Eine ehemalige, oft Jahre zurückliegende Tätigkeit für internationale Sicherheitskräfte ist derzeit kein alleiniges Kriterium für eine Aufnahme in Deutschland. Die Zeit drängt – bereits in weniger als zwei Wochen wird der deutsche Einsatz enden.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Ulla Jelpke (Linke) betonte, dass es jetzt dringend ein einfaches Verfahren für eine schnelle und unbürokratische Aufnahme brauche. Das solle auch für diejenigen Ortskräfte gelten, die nicht direkt bei deutschen Ministerien, sondern bei Subunternehmen beschäftigt waren. »Die Verantwortung hört nicht bei den Ortskräften auf«, sagt Jelpke. Die Bundesregierung müsse dafür sorgen, dass der Familiennachzug der Angehörigen vereinfacht und beschleunigt werde. Anträge auf Familienzusammenführung könnten derzeit nur in Indien und Pakistan gestellt werden. »Die Wartezeiten an den dortigen Visastellen betragen zurzeit über ein Jahr«, sagt Jelpke. Daran änderten auch die eilig eingerichteten Büros in Kabul und in Masar-e-Sharif nichts, die es laut Luise Amtsberg (Grüne) »bis heute noch nicht gibt«.

Minderjährige Kinder seien über Jahre von ihren Eltern getrennt, berichtet Jelpke aus Gesprächen mit Betroffenen. Auch müssten die Abschiebungen nach Afghanistan eingestellt werden: »Wir brauchen sofort einen bundesweiten Abschiebestopp, denn niemand darf in extreme Gewalt und existenzgefährdendes Elend abgeschoben werden«.

Die Vertreter der Unionsfraktionen sehen sich geradezu gezwungen, den Antrag abzulehnen. Getreu der seit Jahren kritisierten Logik der Bundesregierung, die in Afghanistan auch sichere Bezirke erkennen will und dorthin abschiebt, seien auch Ortskräfte nicht überall gleichermaßen gefährdet. Unterdessen fordert Peter Heidt (FDP), die Ortskräfte müssten schnellstmöglich und mit Bundeswehr-Flugzeugen ausgeflogen werden. Dem Antrag enthält sich die FDP-Fraktion dann aber doch.

781 Ortskräfte seien bis April aufgenommen, 520 Gefährdungsanzeigen lägen vor und die Anträge von zu 2500 Personen müssten parallel zum Abzug Bundeswehr bearbeitet werden, heißt es aus der Union im Duktus, man handele kompetent und verantwortungsbewusst. »Deutschland wird seinen Verpflichtungen gerecht«, tönte Thorsten Frei (CDU). »Geeignet und großzügig« sei das jetzige Verfahren laut Unionskollege Josef Oster, der dann in Polemik verfällt und den Grünen vorhält, ihr Antrag würde bedeuten »das quasi jeder, der mal einem deutschen Soldaten begegnet ist, Anspruch auf Aufnahme in Deutschland hätte«.

Dass es längst nicht nur um Bundeswehr-Übersetzer geht, macht Luise Amtsberg (Grüne) klar. Auch die deutsche Polizei, die seit 2002 im Einsatz war, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), das Auswärtige Amt und zahlreiche Subunternehmen der Bundeswehr haben Afghan*innen eingestellt. Wer dort beschäftigt war, darf weiterhin nur dann einen Antrag stellen, wenn die Tätigkeit weniger als zwei Jahre zurückliegt. »Den Terroristen sind die Verträge, die hinter den Campmauern gemacht wurden, doch egal«, so Amtsberg. Mit den Stimmen von AfD, CDU/CSU und SPD wurde die geforderte Vereinfachung bei Enthaltung der FDP dann schlussendlich abgelehnt.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.