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Die neuen Nachbarn
Sonntagmorgen: Wie zwei Eichelhäher es sich im Hof für ihre sexuellen Spielchen bequem machten
Die neuen Nachbarn waren wählerisch. Die neuen Nachbarn waren zwei Eichelhäher. Sie hatten unseren Hof mehrfach besichtigt, sich dann ein paar Tage zurückgezogen, um noch mal über die Immobilienangebote nachzudenken, und als ich schon sicher war, sie hätten auf dem Berliner Nistmarkt ein Laubbaum-Dachgeschoss oder ein traditionelles Bionest in einer Friedhofsfichte bezogen, kehrten sie zurück. Aber sie waren halt Vögel, sie blieben picky und konnten sich nicht entscheiden, ob sie Fensternische Vorderhaus Erstbezug präferierten oder lieber zur Untermiete mein Badezimmerfenster beziehen wollten. Jedenfalls lagen draußen auf beiden Simsen bald kleine Zweige, und im An- und Abflug herrschte reges Treiben.
Das architektonische Problem war, dass ein leicht geneigtes Zinkblech kein wirklich guter Baugrund für ein Nest ist, wenn man als einziges Werkzeug nur einen Schnabel und zwei Füße hat und die Nische nur so breit ist wie man selbst lang. Für jeden herbeigeschafften Zweig fiel ein anderer vom Sims. Am Ende einer Tagschicht mit durchgehend reger Bautätigkeit lag nur dieselbe Zahl an Stöckchen auf den Simsen wie zu Beginn. Dafür knirschte es im Hof unter den Schuhen. Kein Zweifel: Ihre Effektivität wies die beiden Vögel als Berliner Bauarbeiter aus, auf diese Weise wurde ja einst der BER hochgezogen: viel Gewusel ohne Baufortschritt.
Zwischendurch machte einer der beiden Vögel komische Dinge in der Fensternische: plusterte sich auf, drückte sich verrenkt an die Badezimmerscheibe … Moooment! Längst vergessen geglaubtes Wissen aus dem Biologieunterricht, 8. Klasse, flatterte zurück in mein Hirn. Wenn Vögel Sex haben, pressen sie ihre Kloaken aufeinander, das Männchen steigt dazu auf das hingeduckte Weibchen … - Übte der Vogel da etwa für seine Paarung?! Trieb er es mit seinem Spiegelbild? Oder masturbierte da gerade ein Eichelhäher in meinem Badezimmerfenster? Nach dieser Aktion war der Sims jedenfalls wieder leergefegt.
Ach, es hatte schon tragische Züge, wie die armen Vögel mit dem Sterz einrissen, was sie mit dem Schnabel gerade erbaut hatten. Ich beschloss, ihnen etwas unter die Flügel zu greifen. Nachts klebte ich eines der Stöckchen mit Heftpflaster fest. So geht aktive Wohnungsbauförderung!
Am nächsten Morgen wurde ich vom nervtötenden Gurren von zwei Tauben geweckt. Aber das kam nun gar nicht in die Tüte! Mein Badezimmerfenster war doch kein Stundenhotel für vögelnde Vögel, schon gar nicht für Stadttauben!
Ich verscheuchte die Tauben, aber die Eichelhäher kehrten nicht zurück. Hatten sie die Unfriedenstauben vertrieben? Weggentrifiziert durch die fliegende Mehrheit?
»Nee«, erklärte mir dann ein vogelkundiger Bekannter. »Vermutlich waren das nur Spielnester.«
»Spielnester?« - »Ja, ein bisschen zur Übung, manchmal auch zur Paarung. Gebrütet wird dann woanders.« - »Du meinst: Mein Fenstersims war quasi ihr Playroom?« - »Ja, vielleicht standen deine Eichelhäher auf Sex an ungewöhnlichen Orten.«
Aber wieso auch nicht? Es sind halt Berliner Vögel.
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