Feuerpause für die Ernte

Martin Ling über die einseitige Waffenruhe in Tigray

Einsicht eröffnet den Weg zur Besserung. Äthiopiens Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed hat dem Ersuchen der von ihm eingesetzten Lokalregierung in Tigray stattgegeben und einen einseitigen Waffenstillstand verhängt – im bewaffneten Konflikt mit der Tigrayischen Befreiungsfront (TPLF), die von 1991 bis 2018 in Äthiopien und bis November 2020 in Tigray an den Schalthebeln der Macht saß.
Die spärlichen Nachrichten aus Tigray lassen Abiys Einlenken mehr als geboten erscheinen. Rund 350 000 Menschen sind laut der UN dort von einer Hungersnot bedroht. In acht Monaten Krieg wurden Tausende Menschen getötet, rund 1,6 Millionen vertrieben. Viele Bauern wurden von der Aussaat abgehalten, um Hunger als Waffe einzusetzen, Hilfsorganisationen hatten nur begrenzt Zugang und mussten ihren Einsatz, wie zuletzt drei Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, mit dem Leben bezahlen.
Der Waffenstillstand bis zur Ernte im September verschafft eine Atempause, selbst wenn die TPLF ihm nicht zustimmen sollte und stattdessen die Chance nützt, verlorenes Terrain wieder gutzumachen. Denn am Hunger der eigenen Bevölkerung kann die TPLF kein Interesse haben. Im besten Falle eröffnet sich gar ein Fenster zum Dialog, so Äthiopiens Regierung nicht wieder einen Rückzieher macht.

Abiy ist mit seiner im Grunde sympathischen Vision eines panäthiopischen Zentralstaates, der die ethnischen Kategorien im Vielvölkerstaat überwinden soll, bisher an den regionalen Interessen gescheitert. Die TPLF hatte nach ihrer Entmachtung im Zentralstaat 2018 mit dem Aufbau eines Staates im Staate in Tigray reagiert. Abiys Antwort war militärisch. Gelöst wurde so nichts, sondern neue Wunden wurden gerissen. Zu einem Dialog gibt es keine vernünftige Alternative.

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