»Ich träume in mehreren Sprachen«

Der Schauspieler Merab Ninidze im Gespräch über seine Rolle als Spion, Landesverrat und Mehrsprachigkeit

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 5 Min.

In »Der Spion« beeindrucken Sie als sowjetischer Funktionär im Kalten Krieg, der für die CIA spioniert und zwischen widersprüchlichen Gefühlen wie innerer Überzeugung, Angst und Verdrängung schwankt. Haben Sie zu der authentischen Figur des Oleg Penkowski viel recherchiert, oder reicht Ihnen für die Interpretation Ihrer Rollen das Drehbuch?

Generell reicht mir das Drehbuch. Und in diesem Drehbuch war die Rolle so toll beschrieben, dass ich ihr schon nach zwei Seiten nicht widerstehen konnte. Ich fand es unglaublich spannend, so eine gespaltene Figur spielen zu dürfen. Doch die Frage war auch, ob Oleg Penkowski tatsächlich so ein Mensch war wie im Drehbuch und solche Gefühle überhaupt gehabt hat. Also habe ich recherchiert, auf Erzählungen von noch lebenden Zeitgenossen zurückgegriffen und Dokus geschaut. US-Dokus stellen ihn als Helden dar, während man ihn in sowjetischen Dokumentationen als größten Verräter aller Zeiten und als Schande für das Land bezeichnete.

Wie würden Sie seine Beziehung zu dem britischen Geschäftsmann und späteren Spion Greville Wynne beschreiben?

Im Film wird Penkowski sehr menschlich dargestellt. Da liegt der Akzent sehr auf der Freundschaft zwischen den beiden und darauf, wie Penkowski den Briten zum Spion schult. Beide haben Dinge getan, die normalerweise in der Welt der Spionage tabu sind: Sie haben ihre Familienmitglieder mit hineingezogen, sich mit ihren echten Namen angesprochen, sich angefreundet und viel Spaß miteinander gehabt. Das war sehr unprofessionell - und trotzdem gilt ihre Beziehung als eine der größten Spionage-Geschichten des letzten Jahrhunderts.

Andererseits gibt es auch viele weiße Flecke in Penkowskis Biografie …

Von Penkowski gibt es eigentlich nur ein gefilmtes Statement vor Gericht, als er sich beim sowjetischen Volk und seiner Regierung entschuldigt und ihnen seine Dienste gegen die CIA und den MI6 anbietet. Aber da war es zu spät - die Sowjets richteten ihn acht Monate nach seiner Verhaftung hin. Er wusste auch, dass es schiefgehen konnte und dass er sein Leben aufs Spiel setzte. Es gibt keine Beweise, ob Penkowski von höchsten Regierungskreisen grünes Licht für seine Aktivitäten bekommen hat. Er wurde unterstützt, aber nirgendwo tauchen Namen auf. Die Ironie der Geschichte will es, dass seine Tochter später offenbar ihr Leben lang für den KGB gearbeitet hat.

Gibt es für Sie so etwas wie Landesverrat? Oder sollte man nur seinem Gewissen verpflichtet sein?

Aus welcher Motivation heraus gibt man die Geheimnisse eines Staates weiter? Penkowski hatte im Zweiten Weltkrieg Großartiges geleistet, war ein Held gewesen. Aber nach dem Krieg lebte er den Alltag eines Funktionärs. Menschen seiner Generation überkam die Enttäuschung, sie sagten sich: Erst war die Revolution, dann haben wir die Sowjetunion aufgebaut, dann den Krieg gewonnen. Doch das bessere Leben, das man ihnen versprochen hatte, kam nicht. Wo waren ihre Ideale geblieben, wofür hatten sie gekämpft? Also mag Penkowski sich gesagt haben: Ich mache jetzt etwas, was kein Mensch je gemacht hat, und man wird mich nie vergessen. Das ist ihm gelungen. Einige Menschen denken einfach größer.

Man sieht Sie in Fernsehen und Kino oft in spannenden Stoffen wie »McMafia«, »Homeland« oder »Berlin Station«. Haben Sie eine besondere Affinität zu dem Genre Spionage und Spannung?

Ja, schon seit meiner Kindheit. Meine Oma hat Musicals geliebt und mich dazu immer ins Kino mitgenommen. Aber meine Leidenschaft waren spannende Filme. In Tbilissi, wo ich aufgewachsen bin, schaute ich viele französische Filme, zum Beispiel »Der Teufel mit der weißen Weste« mit dem jungen Belmondo. Außerdem war ich immer ein großer Fan von James Bond. Aber in der Sowjetunion liefen diese Filme nicht im Kino. Also schauten wir die James-Bond-Filme mit Sean Connery in den 80er Jahren auf illegalen Videokassetten. Und da dachte ich: »Das sieht aber gut aus, diese Autos und die Frauen … Alles, was die da machen, ist so perfekt, da will ich auch hin.« (lacht)

Haben diese Filme Sie schon damals dazu inspiriert, Schauspieler zu werden, oder kam das eher durch Ihren familiären Hintergrund?

Das kam eher durch meine Familie. Mein Großvater war Theaterregisseur, und ich durfte immer nach der Schule zur Probe vorbeikommen. Ich saß im leeren Theatersaal und schaute zu, wie er Regie führte und was die Schauspieler taten. Nach der Probe saßen alle zusammen in der Kantine. Das war ein Teil meiner Bildung. Dabei war mein Opa eigentlich dagegen, dass ich Schauspieler werde; er sagte immer: »Nein, das ist kein Beruf für einen Mann.« (lacht) Als 17-Jähriger meinte ich dann: »Ich will das auch machen.« Und er sagte: »Oh, mein Gott, warum habe ich dich immer ins Theater gesteckt?« Aber es war zu spät! (lacht) Für mich gab es keine Alternative.

Sie sind mehrsprachig, haben bereits auf Georgisch, Russisch, Deutsch und Englisch gedreht. Beeinflusst eine Fremd- oder Muttersprache Ihr Spiel?

Meine ersten Filme habe ich auf Georgisch gedreht. Als ich in den 90er Jahren nach Österreich kam, konnte ich kein Deutsch. Aber ich durfte Rollen spielen, in denen die Figuren auch kein Deutsch sprechen. Das passte in die damalige Zeit, als ausländische Figuren in Filmgeschichten integriert wurden. In dem Film »Hasenjagd« sprach ich nur zwei Sätze auf Deutsch, der Rest war stumm.

Danach musste ich Deutsch lernen, um im Beruf zu überleben. Ich habe ungefähr sieben bis acht Jahre gebraucht, um mich in der deutschen Sprache frei zu fühlen. Auf Russisch zu spielen, war nie ein Problem. Auch Englisch kam ganz selbstverständlich, weil ich das mein Leben lang gesprochen hatte.

Also sehen Sie die Mehrsprachigkeit beim Drehen eher pragmatisch?

Es ist viel Arbeit. Aber wenn es selbstverständlich rüberkommt und man einem die Mühe nicht anmerkt, die man in der Vorbereitung hatte, ist alles gut. Dann kann man die Sprache einfach fließen lassen. Ich träume auch in mehreren Sprachen. In der TV-Serie »Doktor Ballouz« spiele ich einen Klinikchef in der Uckermark. Da habe ich drei Monate jeden Tag auf Deutsch gespielt und auch viele medizinische Ausdrücke verwendet. Das war eine ganz große Übung. Und nun wache ich manchmal auf und fange an, mit mir selbst Deutsch zu sprechen. Das ist etwas Neues.

»Der Spion«: UK, 2020. Regie: Dominic Cooke. Mit: Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Rachel Brosnahan, Jessie Buckley. 112 Min. Start: 1. Juli.
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