Linkes Vakuum

»Fehlender Mindestabstand«: Ein Rechercheteam hat die Verbindungen von »Corona-Leugnern« zum rechten Rand untersucht. Zu kurz kommt aber, warum sich bei Linken kaum Widerstand gegen die Maßnahmen regte

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 5 Min.

Kontakt »nur mit einer weiteren Person«, »Verweilverbote«, nächtliche Ausgangssperren schon ab dem frühen Abend: Die Beschneidung von Grundrechten während der Pandemie war nicht nur für Impfgegner, Esoterikerinnen oder rechte Hygienedemonstranten eine Zumutung. Doch in Talkshows und Sondersendungen kam dieses Thema selten zur Sprache, Entscheidungsträger und naturwissenschaftliche Experten erzeugten dort eine permanente Stimmung des Notstands. Der öffentliche Diskussionsraum auf Straßen und Plätzen sowie im Netz dagegen gehörte in den letzten 16 Monaten weitgehend Leuten, die die Zerstörung des Rechtsstaates anstreben.

Im Bundestag inszenierte sich ausgerechnet die AfD als Hüterin der Freiheit. Moderater formuliert und die Gefährlichkeit des Virus keineswegs leugnend kamen Bedenken sonst nur noch von der FDP. Die Sozialdemokraten begnügten sich mit ihrem notorischen Hiobsbotschafter Karl Lauterbach, die Grünen hielten verdächtig still, wohl auch um künftige Regierungsbündnisse nicht zu gefährden. Die Linkspartei verwies zwar regelmäßig auf die Folgen der Corona-Politik für sozial Benachteiligte, übte aber keine fundierte Kritik an fehlenden Daten, mangelhaften Wirkungsanalysen oder anderen Defiziten. Eine Debatte über die Legitimität der rigiden staatlichen Überwachungs- und Kontrollmethoden während der Pandemie findet im rot-rot-grünen Spektrum bis heute so gut wie nicht statt. Dieses Vakuum nutzten die Feinde der Demokratie.

Heike Kleffner und Matthias Meisner, beide journalistisch tätig, recherchieren seit Jahren zum Thema Rechtsextremismus. Sie haben einen lesenswerten Sammelband vorgelegt, der den »fehlenden Mindestabstand« von Teilen der bürgerlichen Mitte zu diesem Milieu dokumentiert. Rund 40 Beiträge inspizieren die einschlägige Szene im In- und Ausland, analysieren Rassismus, Verschwörungskonstrukte und Antisemitismus. Einen wichtigen Aspekt bildet dabei der Blick auf die Angegriffenen, die zu Zielscheiben von Morddrohungen, Beleidigungen und Hetzkampagnen wurden: vorrangig Mediziner und Politiker, aber auch (und bisher weniger beleuchtet) Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund, die schon allein wegen ihres Aussehens für eine »chinesische« Seuche verantwortlich gemacht wurden.

Die beteiligten Autorinnen und Autoren seien »keineswegs einer Meinung über die richtigen Schritte zur Bekämpfung des Virus«, betont das Herausgeberduo gleich im Vorwort: »Wir sind kein Bill-Gates-Fanclub, und kritische Berichterstattung über jedwedes Regierungshandeln gehört zu unserem Arbeitsalltag«. Einig aber sei man sich in der »Sorge um die Bedrohung der Demokratie auf der Straße und im Netz« und in der »Verzweiflung über um sich greifenden Hass«. Die »permanenten Grenzüberschreitungen« beschädigten den demokratischen Konsens, »normalisieren Menschenverachtung und werden durchlässig in Richtung eines neuen Terrorismus«.

Gates-Kritik von links

Die Zusammensetzung der Proteste gegen die Corona-Politik war vor allen Dingen zu Beginn der Pandemie sehr heterogen. Nicht alle Teilnehmenden konnte man pauschal dem rechten Umfeld zuordnen. Erste Aktionen initiierte zum Beispiel die linke Künstlerszene am Rosa-Luxemburg-Platz nahe der Berliner Volksbühne, diese wurden aber schon bald von rechts gekapert. Vor allem in Süddeutschland wirkten die Demonstrationen betont bürgerlich. »Warum ›Querdenken‹ eine Stuttgarter Vorwahl hat« heißt ein erhellender Buchbeitrag von Dietrich Krauss dazu. Der Redakteur bei der ZDF-Satiresendung »Die Anstalt« erklärt aus historischer Perspektive, warum anthroposophisches Gedankengut und Impfskepsis im grünen Milieu Baden-Württembergs weit verbreitet ist. Ein anderer interessanter Text beschäftigt sich mit den überdurchschnittlich hohen Inzidenzen während der zweiten Infektionswelle im vergangenen Winter in einigen ostdeutschen Regionen, etwa im Thüringer Wald oder im Erzgebirge. Der Autor Sebastian Leber vermutet einen Zusammenhang zu einer grundsätzlichen Trotzhaltung, die sich dort häufiger als anderswo beobachten lässt. Schon das Maskentragen und Abstandhalten wird aus Protest verweigert.

Das Buch beginnt mit einem warnenden Geleitwort von Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Den Antisemitismus charakterisieren Kleffner und Meisner als zentrales Ideologieelement der »Corona-Leugner«. Verschwörungserzählungen verknüpft mit Judenhass waren in der rechten Szene schon immer verbreitet, richteten sich etwa gegen den ungarnstämmigen früheren Börsenspekulanten und heutigen Mäzen George Soros. Als besonders perfide bewertet das Autorenteam zu Recht, dass sich Demonstrierende in Opferpose öffentlich mit Sophie Scholl verglichen und so die junge Münchner Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus für ihre Zwecke missbrauchten.

Ein anderes stimmiges Feindbild neben Soros ist der sich philanthropisch gebende US-Unternehmer Bill Gates, dem vor allem Impfgegner unterstellen, mit der Pandemie Geschäfte zu machen und sich persönlich zu bereichern. Gerade die rechten Angriffe auf den Microsoft-Gründer belegen eindrücklich die gravierenden Versäumnisse in den Pandemiedebatten der Linken. Denn dessen Stiftung agiert ja in der Tat wie eine Art weltweit vernetzte Ersatzregierung, die mit nahezu unbegrenzten finanziellen Ressourcen lockt und massiv Einfluss nimmt - und das ist äußerst kritikwürdig.

Dilemma der emanzipatorischen Linken

Während die juristische Bewertung der Corona-Politik im Sammelband handzahm und regierungskonform ausfällt (»Zur Sorge um den Bestand des liberalen Rechtsstaats besteht kein Anlass«), erörtert Andreas Wulf, ein bei Medico International engagierter Arzt, im Schlusskapitel immerhin die Causa Gates ausführlich. Die Auseinandersetzung mit der zweifelhaften Wohltätigkeit des Milliardärs müsse an dem von seiner Stiftung »verteidigten, kapitalistisch organisierten Forschungs- und Entwicklungsmodell ansetzen, das das notwendige Wissen und die Produktionskapazitäten für global wichtige Güter wie die aktuellen Covid-19-Impfstoffe mit geistigen Eigentumsrechten privatisiert, monopolisiert und in eine möglichst private Ware verwandelt«. Solche Hinweise, die das »Dilemma der emanzipatorischen Linken« thematisieren, beschränken sich in dem Buch leider auf wenige Seiten.

Heike Kleffner, Matthias Meisner (Hg.): Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde. Herder, 352 S., geb., 22 €.

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