Ein Torres kommt selten allein
Zirkus Europa
Fernando Torres hat neulich für ein wenig Aufregung gesorgt. Via Instagram - wie auch sonst in diesen Social-media-beseelten Zeiten - ließ er verlauten, die Zeit sei reif für ein Comeback auf dem Fußballplatz. Mit 37 Jahren, gut 21 Monate, nachdem er bei einem japanischen Klub mit dem schönen Namen Sagan Tosu zum vermeintlich letzten Mal gegen den Ball getreten hat. Die Fans zwischen Madrid, Barcelona und Sevilla drehten für ein paar Tage frei, denn Fernando Torres ist nicht irgendeiner, sondern eine Hauptfigur der erfolgreichsten und aufregendsten Epoche des spanischen Fußballs. Europameister, Weltmeister, Europameister - dieses Triple zwischen den Jahren 2008 und 2012 dürfte noch lange unerreicht bleiben.
Ihren letzten große Abend erlebte La Furia Roja im Sommer 2012 in Kiew. Im Finale der in Polen und der Ukraine ausgespielten Europameisterschaft gegen Italien, also jene Mannschaft, die den Spaniern neun Jahre später am Dienstag im Halbfinale von Wembley den Weg zurück auf den Gipfel versperren will. 2012 in Kiew trieben Andres Iniesta, Xavi Hernandez, Cesc Fabregas und David Silva die Italiener beim atemberaubenden 4:0-Sieg mit ihrem Kurzpassspiel namens Tiki-Taka zur Verzweiflung. Die Passfolgen der Spanier waren auch aus einiger Entfernung von der Tribüne aus schwer nachzuvollziehen. Wie musste es da erst den armen Italienern ergangen sein?
Fernando Torres spielte bei der Europameisterschaft im Osten des Kontinents nur eine untergeordnete Rolle, wenn überhaupt. Trainer Vicente del Bosque stellte ihn gerade zweimal in die Startaufstellung: beim 4:0 über die nicht konkurrenzfähigen Iren, als ihm zwei Tore gelangen, und beim 1:0 gegen Kroatien. Viermal wurde Torres eingewechselt, im Finale gegen die Italiener eine Viertelstunde vor Schluss, aber weil der grandiose Xavi einen seiner grandiosen Momente für Torres aufgespart hatte, reichte es noch zu einem unspektakulären Tor, seinem dritten im Turnier. Auf diese Bilanz kamen auch eine Reihe anderer Stürmer, aber keiner von ihnen hatte so wenig Einsatzzeit wie Torres, es waren gerade 189 von 570 für ihn möglichen Minuten. Diese interessante Bilanz machte den Ersatzspieler Fernando Torres zum Torschützenkönig des Turniers und nebenbei zum erfolgreichsten Spieler der Saison. Ein paar Wochen zuvor hatte er auch schon im siegreichen Champions-League-Finale des FC Chelsea gegen Bayern München ein paar Minuten mitmachen dürfen.
Seit 2012 ist Spanien auf der großen Bühne bei Welt- und Europameisterschaften nicht mehr viel gelungen. Bei den folgenden Turnieren in Brasilien, Frankreich und Russland war spätestens im Achtelfinale Schluss. Im 2021 paneuropäisch ausgespielten Zirkus mühten sich die Spanier im Achtfinale von Kopenhagen gegen Kroatien bis in die Verlängerung und im Sankt Petersburger Viertelfinale gegen die Schweiz sogar ins Elfmeterschießen. Daraus lässt sich für das Halbfinale in Wembley gegen Italien schwerlich eine Favoritenrolle für den dreimaligen Europameister ableiten.
Der Verteidiger Jordi Alba und Mittelfeldmann Sergio Busquets sind den Spaniern als verbindendes Element zur Mannschaft von 2012 geblieben. Vorne schießt immer noch Torres die Tore, es handelt sich dabei um den bei Manchester City angestellten Flügelstürmer Ferran Torres. Nicht verwandt, aber immerhin namensverschwägert mit jenem Mann, dessen angekündigte Rückkehr auf den Fußballplatz neulich für so viel Aufregung sorgte. Eine Woche lang hofften die spanischen Fans, dann löste Fernando Torres das Rätsel um seinen kommenden Klub auf. Es gibt keinen. Zu verkünden war allein eine Werbepartnerschaft, ein kommerzielles Comeback in Diensten eines Spieleherstellers.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.