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Entertainer ohne klares Ziel
Bei den bulgarischen Parlamentswahlen könnte der Moderator Slawi Trifonow Sieger werden
Seit der Parlamentswahl im April ist Bulgariens Parlament handlungsunfähig: Zwar wurde die Gerb-Partei von Premierminister Bojko Borissow mit rund 26 Prozent der Stimmen zur stärksten Kraft. Doch fast keine der fünf weiteren politischen Kräfte, die es noch in die Nationalversammlung schafften, wollte mit Borissow regieren. Koalitionsverhandlungen scheiterten. Präsident Rumen Radew setzte daraufhin eine Übergangsregierung aus Experten ein - und ordnete Neuwahlen für den 11. Juli an.
Beobachter sprechen von einer Wahl zwischen altem Trott und Neuanfang: Die Gerb-Partei und Bojko Borissow, der das Land seit 2009 fast durchgehend als Ministerpräsident regiert, stehen dabei für ein politisches Weiter-so, Korruption und Skandale.
Ihnen gegenüber steht der Entertainer, Moderator und Sänger Slawi Trifonow mit seiner populären Neugründung »Es gibt so ein Volk«, die bei den Wahlen im April aus dem Nichts auf den zweiten Platz kam.
Beide Parteien lieferten sich in den vergangenen Wochen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Laut einer Umfrage des bulgarischen Umfrageinstituts Alpha Research liegt »Es gibt so ein Volk« derzeit mit 21,8 Prozent vorn - nur 0,3 Prozentpunkte vor der Gerbpartei. Auch bei einer Umfrage der Meinungsforschungsagentur Market Links ist der Abstand zwischen beiden Kräften gering. Allerdings sieht sie die Gerb-Partei mit 19,7 Prozent in Führung. Trifonows Partei könnte auf 18,8 Prozent der Stimmen rechnen.
Allerdings ist weitgehend unklar, wofür »Es gibt so ein Volk« überhaupt steht. Bis auf einige populistische Forderungen, beispielsweise nach dem Ende der staatlichen Parteienfinanzierung, ist über Slawi Trifonows politische Vorstellungen bisher wenig bekannt. Der 54-Jährige, der nach Selbstauskunft gar kein öffentliches Amt übernehmen will, tritt öffentlich nur wenig in Erscheinung. Stattdessen beschränkt sich der Parteichef weitgehend auf Auftritte bei Facebook. Zur Einsetzung der Übergangsregierung im April erschien der Chef von Bulgariens zweitstärkster Kraft nicht mal im Parlament.
Auch ein vielbeachtetes Interview mit Trifonow, das die französische Zeitung »Le Monde« vor einige Tagen veröffentlichte, brachte nur wenig Klarheit. In diesem fordert Trifonow eine grundlegende Reform des korrupten Justizsystems und macht sich für eine Absetzung des umstrittenen Chefanklägers Iwan Geschew stark, der in zahlreiche Korruptionsaffären mit Oligarchen verstrickt sein soll. Außerdem positionierte sich Trifonow als proeuropäisch und kritisiert das ungarische Anti-LGTB-Gesetz. Gleichzeitig lehnte er jedoch eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen als »nicht essenziell für unsere Gesellschaft« ab.
Diffus, aber beliebt
Trifonows diffuses Profil hat indes keinen spürbaren Einfluss auf seine Beliebtheit. Diese basiert anscheinend auf seiner klaren Verurteilung von Premier Borissow während der Massenproteste gegen dessen Regierung im Sommer 2020. Die Empörung über Borissow ist seitdem nur noch gewachsen. Dazu beigetragen haben vor allem Ermittlungen der Übergangsregierung, welche immer mehr Korruptionsskandale aus seiner Regierungszeit ans Tageslicht befördert. Vorgeworfen wird dem Ex-Premier unter anderem, in den vergangen drei Jahren 40 Prozent der öffentlichen Gelder für Infrastrukturprojekte ohne Ausschreibungen zwielichtigen Unternehmern zugeschachert zu haben. Darüber hinaus legt sie Borissow Einschüchterung und Abhören politischer Gegner sowie schwerwiegende Versäumnisse im Umgang mit der Coronaepidemie zur Last.
Unterstützt wurde die Übergangsregierung bei ihren Enthüllungen von unerwarteter Seite: Das US-Finanzministerium verhängte Anfang Juni im Rahmen des Magnitsky-Gesetzes zur Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen umfangreiche Sanktionen gegen drei bulgarische Oligarchen und mehr als 60 Unternehmen, welche mit der Borissow-Regierung in Verbindung gestanden haben sollen. Die Maßnahmen seien die größten Einzelanwendungen des Magnitsky-Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption in einem Land, schreibt das amerikanische Magazin »Politico«.
Ob Borissows Epoche an diesem Sonntag endet, hängt auch von den Stimmen der im Ausland arbeitenden Bulgaren ab. Um ihnen die Stimmenabgabe zu ermöglichen, hat die Übergangsregierung die Rekordzahl von 791 Auslandswahlstationen durchgesetzt. Dies könnte vor allem Slawi Trifonow nutzen: Die Diaspora stimmt traditionell gegen Borissows konservative Gerb-Partei.
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