Auf Kuba macht sich Unmut breit

Straßenproteste in vielen Landesteilen gegen den Mangel bringen Regierung in Zugzwang

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Sonntagnachmittag unterbrach das kubanische Fernsehen die Liveübertragung des EM-Finals für eine außerordentliche Ansprache von Präsident Miguel Díaz-Canel. Auch alle anderen Sender unterbrachen das laufende Programm. Dass sich der kubanische Staatschef außerplanmäßig an das Volk wendet, ist ungewöhnlich und in der Regel besonderen Ereignissen geschuldet.

In mehreren Städten des Landes waren am Sonntag Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Lebensmittel- und Medikamentenknappheit zu protestieren. Dabei skandierten sie zum Teil regierungsfeindliche Slogans. Es waren die größten Proteste auf Kuba seit dem sogenannten »Maleconazo«, als im August 1994, auf dem Höhepunkt der Spezialperiode, Hunderte Menschen auf Havannas Uferpromenade demonstrierten. Auch an diesem Wochenende versammelten sich am Malecón Demonstranten, ebenso vor dem Kapitol.

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Schnell machten in den sozialen Netzwerken Videos von Straßenprotesten in San Antonio de los Baños, Palma Soriano, Holguín, Camagüey, Santiago de Cuba und anderen Orten die Runde. Ein solcher Ausbruch sozialer Unzufriedenheit ist ungewöhnlich für den Karibikstaat und rief dementsprechend viel Aufmerksamkeit auch im Ausland hervor. Aus Miami kamen schnell Solidaritätsbekundungen und Rufe nach einer »Intervention«.

Teilnehmer und Augenzeugen berichteten, die Polizei habe die Proteste zum Teil gewaltsam unterdrückt. Andere sprechen eher von Handgemengen. Auch gab es wohl mehrere Festnahmen. Beides ließ sich zunächst nicht unabhängig bestätigen. Das hängt auch mit der insgesamt unübersichtlichen Lage zusammen, da die Proteste in mehreren Städten stattfanden und das mobile Internet am Sonntagnachmittag abgeschaltet wurde. In einigen Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Gruppen von Leuten Schaufenster einschlagen und Devisengeschäfte plündern.

Begonnen hatten die Proteste am Sonntagmittag in San Antonio de los Baños, einer Kleinstadt unweit von Havanna. Zumindest hier scheint es sich nicht um eine spontane Demonstration zu handeln. Eine Teilnehmerin erklärte gegenüber der BBC, der Protest sei am Samstag über soziale Netzwerke für Sonntag um 11.30 Uhr organisiert worden. Hunderte Menschen gingen wegen der langen Stromausfälle auf die Straße, aber auch, um »Freiheit« und politische Veränderungen zu fordern. Der Protest wurde live per Facebook übertragen und löste in den Netzwerken Aufrufe zu weiteren Demonstrationen aus. Präsident Díaz-Canel fuhr am Mittag nach San Antonio de los Baños und machte einen Rundgang durch die Stadt, sprach über die schwierige epidemiologische Situation im Land und die Bemühungen der Regierung, diese zu bewältigen.

In seiner Fernsehansprache am Nachmittag ging er auf die Unzufriedenheit ein und gestand zahlreiche Probleme ein; erinnerte aber zugleich an die Verschärfung der Blockade durch den inzwischen abgewählten US-Präsidenten Donald Trump. Der Präsident machte die Vereinigten Staaten und ihre Blockadepolitik für die sich verschlimmernde wirtschaftliche Situation und die Anstachelung der Proteste verantwortlich. Er forderte, die Revolution auf der Straße zu verteidigen: »Wir rufen alle Revolutionäre, alle Kommunisten auf, auf die Straße zu gehen und sich an die Orte zu begeben, an denen diese Provokationen stattfinden.« Man werde diese nicht zulassen, so Díaz-Canel und bemühte ein berühmtes Zitat von Fidel Castro: »Die Straße gehört den Revolutionären.«

Im Parque de la Fraternidad in der Nähe des Capitolios, versammelten sich in Havanna mehrere Tausend Menschen: Demonstranten, Schaulustige und Verteidiger der Revolution. An mehreren Orten in der Hauptstadt kamen Unterstützer der Regierung zusammen. Poster von Fidel Castro wurden in hochgehalten, kubanische Flaggen geschwenkt, Hochrufe auf die Revolution skandiert. In Centro Habana und der Altstadt waren am Nachmittag und Abend zahlreiche Spezialeinheiten und schnelle Eingreiftrupps der Polizei unterwegs, das Kapitol wurde weiträumig abgesperrt. Am frühen Abend hatte sich die Lage weitestgehend beruhigt.

Auslöser der Proteste ist die schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise in Kuba. Der Einbruch des Tourismus durch die Corona-Pandemie hat das Land von wichtigen Deviseneinahmen abgeschnitten und den Spielraum der Regierung drastisch verengt. Hinzu kommt die Verschärfung der US-Sanktionen. Die Menschen stehen jeden Tag stundenlang Schlange, um Grundnahrungsmittel zu kaufen. Außerhalb Havannas kommt es teils stundenlangen Stromausfällen.

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Zudem hat sich die Pandemiesituation zuletzt verschärft. Monatelang war es Kuba gelungen, die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen und die Zahl der Infektionen bei nur einigen Dutzend von Fällen pro Tag zu halten. Aber in den vergangenen Wochen stieg sie stark an: Zuerst waren es Hunderte Fälle pro Tag, und in den vergangenen Tagen sogar Tausende. Vor allem in der Provinz Matanzas ist die Situation sehr angespannt und das Gesundheitssystem am Rande seiner Kapazitäten. Die Regierung schickte medizinisches Personal der Henry-Reeve-Brigade zu Hilfe, die Kuba normalerweise bei humanitären Katastrophen ins Ausland entsendet. Sie war noch nie innerhalb des Landes eingesetzt worden.

Die Pandemie, die katastrophale Versorgungslage, die Sanktionen, die Warteschlangen, Stromabschaltungen, Inflation – es hat sich viel aufgestaut in den vergangenen Monaten. Die Unzufriedenheit ist greifbar und wird nicht ohne Weiteres verschwinden.

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