- Berlin
- Abwasserwärmetauscher-Projekt
Kanalisation macht Büros behaglich
Im früheren Galeria-Kaufhaus am Ostbahnhof startet Berlins größtes Abwasserwärmetauscher-Projekt
Wie von einem fremden Stern scheint das exotische, großzügig verglaste Gebäude in das räudige Hinterland des Berliner Ostbahnhofs gefallen zu sein. Nichts erinnert hier mehr an den mit bunten Keramik-Elementen verkleideten Vorgängerbau aus den 1970er Jahren, das einstige Centrum-Warenhaus - damals ein Vorzeigetempel der DDR-Verkaufskultur. Der Immobilieninvestor Signa hat das für Ostberliner Verhältnisse durchaus ungewöhnliche und moderne Gebäude in den vergangenen vier Jahren komplett entkernt und umgebaut.
Zuletzt kämpfte eine Galeria Kaufhof-Filiale in der Koppenstraße bis zur endgültigen Schließung des Hauses im Juni 2017 mit immer weiter einbrechenden Umsätzen. Jetzt ist dort ein modernes Bürogebäude mit 50.000 Quadratmetern Fläche entstanden. «Up! Berlin» heißt der Komplex - quasi ein Neubau -, dessen Hauptmieter Zalando Platz für seine Zentrale mit 2500 Mitarbeitern beansprucht. Neben Büros soll das Haus auch Läden und Gastronomie beherbergen.
Doch darüber hinaus geht mit dem «Up! Berlin» auch das größte Kanalwärmetauscher-Projekt der Stadt in Betrieb. Denn ab sofort wird es auch nachhaltig mit Wärme und Kälte aus Abwasser versorgt. Drüber informierten am Montag Vertreter des Energieversorgers Eon, des Immobilienentwicklers Signa Real Estate und der Berliner Wasserbetriebe auf einer Online-Pressekonferenz. Möglich mache dies ein 200 Meter langer Wärmetauscher im Abwasserkanal neben dem Gebäude, teilten die Unternehmen mit.
«So decken wir nachhaltig etwa 50 Prozent des Wärme- und Kältebedarfs des Gebäudes und sparen rund 400 Tonnen CO2 ein», sagt Nikolaus Meyer, Head of Solution Development bei Eon. Diese Energieanlage mitten in Berlin sei ein Paradebeispiel für die effiziente Nutzung lokaler Energiequellen.
Abwasser habe eine ganzjährig konstante Temperatur von bis zu 20 Grad, argumentieren die Unternehmen. Werde diese Wärme bislang meist ungenutzt ins umgebende Erdreich abgegeben, nutze man in der Koppenstraße für die Wärme- und Kälteversorgung des Bürogebäudes einen 100 Jahre alten Freispiegelkanal mit einem Durchmesser von zwei Metern. Ein Edelstahlwärmetauscher entziehe dem Abwasser die vorhandene Wärme. Über eine Großwärmepumpe werde die Temperatur der gewonnenen Wärme erhöht und das Gebäude beheizt. Im Sommer werde das Prinzip umgekehrt, und so könne der Kanal als effiziente Kältequelle genutzt werden. Darüber hinaus werden ein Blockheizkraftwerk zur hocheffizienten und günstigen Versorgung mit Strom, eine Kälteanlage sowie ein Gasbrennwertkessel eingesetzt.
«Abwasserwärme ist ein Baustein der Energiewende im Wärmesektor in Berlin», erklärte Alexander Schitkowsky, Projektleiter der Berliner Wasserbetriebe. Zwischen zehn und 14 Prozent könne eine Stadt wie Berlin aus der Rückgewinnung von Wärme aus dem Abwasser gewinnen. Der innovative Potenzialatlas der Wasserbetriebe zeige, dass 586 Kilometer des Kanal- und Abwasserdruckleitungsnetzes in Berlin geeignet seien, diese Technik zu nutzen. «Diesen Schatz wollen wir heben und gemeinsam mit Partnern wie Eon und Signa entwickeln», so Schitkowsky.
Als Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und geplant im Hinblick auf ökologische Nachhaltigkeit wollte denn auch Signa-Chefentwickler Reiner Müller das Projekt verstehen. «Durch die Beibehaltung der Bestandsstruktur und den Einsatz modernster Wärme- und Kühltechnik erreichen wir beim ›Up!‹ eine hervorragende CO2-Bilanz.»
Die Wärmeversorgung von Städten ist ein zentraler Hebel zur Erreichung der Klimaziele und damit für eine gelungene Energiewende. Allein in Deutschland könnte aus Abwasser gewonnene Energie rechnerisch 14 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor abdecken und für die Kühlung gleichermaßen genutzt werden«, heißt es in der Mitteilung der drei Unternehmen.
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