- Politik
- Bauernproteste in Indien
Didi soll es richten
Mit der Unterstützung der indischen Bauern könnte die Oppositionspolitikerin Mamata Banerjee Premier Narendra Modi ernsthaft herausfordern
Neben der Corona-Pandemie ist der Kampf indischer Bauern gegen die unpopuläre Agrarreform die größte Herausforderung für die Regierung von Indiens Premierminister Narendra Modi. Seit mehr als einem halben Jahr sind die Proteste der aufgebrachten Landwirte nicht zum Erliegen gekommen. 40 Bauernorganisationen haben nun eine Kampagne zur Abwahl der seit sieben Jahren agierenden Regierung gestartet, die bis zu den nächsten Wahlen zum indischen Unterhaus 2024 fortgesetzt werden soll.
Drei Gesetze der Agrarreform, die während des Lockdowns hastig durch Unter- und Oberhaus gepeitscht wurden, haben zunächst eine Protestwelle und nun diese Kampagne ausgelöst. Modis Bharatiya Janata Partei(BJP) besteht darauf, dass die Gesetze notwendig sind, um das veraltete System der landwirtschaftlichen Produktion zu modernisieren. Die Landwirte widersprechen. Sie sehen vor allem den Abbau von Vorschriften, Preiskontrollen und des öffentlichen Einkaufs- und Verteilungssystems von Grundnahrungsmitteln als Bedrohung ihrer Existenzgrundlage.
Seit Ende November 2020 kampieren Hunderttausende von Bauern, hauptsächlich aus den Bundesstaaten Punjab, Haryana und dem westlichen Uttar Pradesh, in den Außenbezirken der Hauptstadt Delhi und blockieren die großen Einfallstraßen der Metropole. Die Protestierenden fordern nicht mehr und nicht weniger als die vollständige Aufhebung der neuen Agrargesetze. Zurzeit ist deren Umsetzung lediglich durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs im Januar vorübergehend ausgesetzt.
Seit März läuft nun die Kampagne »Besiegt die BJP«. Vorgestellt wurde sie erstmals anlässlich der Wahlen im Bundesstaat Westbengalen im Presseklub von Kolkata. »Wir haben beschlossen, die Staaten zu besuchen, in denen Wahlen stattfinden, und den Bauern sowie dem einfachen Volk zu sagen, dass die Politik der Modi-Regierung dieses Land zerstören wird«, so Balbir Singh Rajewal von der Bhartiya Kisan Union, der größten Bauernvereinigung Indiens. »Wir sind nicht hier, um irgendeine politische Partei zu unterstützen. Unsere bescheidene Bitte ist: Wählt eine Partei eurer Wahl, aber nicht die BJP, bitte erteilen Sie der BJP eine Lektion.« Rajewal wirft der Modi-Regierung auch die unzulängliche Bekämpfung der Corona-Pandemie vor und macht sie für die vielen Corona-Toten verantwortlich.
Freilich konnte während des Lockdowns die Mobilisierung zur Kampagne noch nicht so anlaufen, wie es sich die Bauern vorgestellt haben - in Westbengalen gab es weniger als zehn Versammlungen. Ähnlich gering war die Anzahl der öffentlichen Auftritte in den Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu, die ebenfalls im Frühjahr gewählt hatten. Entsprechend hat die Kampagne noch nicht überall Fahrt aufgenommen. In Westbengalen konnte die BJP ihre Sitze im Parlament des Bundesstaates sogar vervielfachen: von 3 auf 77. Trotzdem musste sich die BJP der amtierenden Ministerpräsidentin Mamata Banerjee mit ihrer Partei Trinamool Congress geschlagen geben. In Kerala verlor die BJP ihren einzigen Sitz, in Tamil Nadu hat das oppositionelle Parteibündnis DMK gegen die Parteienkoalition unter Beteiligung der BJP deutlich gewonnen und einen Machtwechsel herbeigeführt.
Nächste Etappe: Uttar Pradesh
Aber nun soll die Kampagne auf Hochtouren kommen. Im Frühjahr nächsten Jahres wird in Uttar Pradesh gewählt. Für die Kampagne ist es die wichtigste Etappe vor 2024. Der mit 200 Millionen Einwohnern größte Bundesstaat Indiens wird von Yogi Adityanath regiert, einem BJP-Hardliner, der als Modi-Nachfolger im Gespräch ist. Im Zentrum der Kampagne stehen auch hier die Agrargesetze und der Ausverkauf des öffentlichen Sektors, ebenso die unzulängliche Bekämpfung der Corona-Pandemie und das schlechte Gesundheitssystem.
Die Bilder von Menschen, die an Covid-19 starben und deren Leichen in Uttar Pradesh im Ganges schwammen, gingen im Mai rund um die Welt. Seitdem sind die offiziellen Infektionszahlen zwar gesunken, aber sie gelten als wenig vertrauenswürdig. Das Magazin »The Wire« hat mehrere Fälle aufgelistet, in denen die Bundesstaatsregierung vor allem die Anzahl der Toten erheblich heruntergespielt hat.
Das gilt auch für den akuten Mangel bei den Geräten zur Sauerstoffversorgung für schwer erkrankte Covid-19-Patienten. Regierungschef Yogi Adityanath brachte die Bevölkerung nicht nur gegen sich auf, weil er diese Tatsache schlicht leugnete. Er ging sogar so weit, dass er jedem, der über den Sauerstoffmangel sprach, mit einer Verhaftung nach dem National Security Act drohte. »Niemand ist wegen Sauerstoffmangels gestorben«, behauptete er kurz und knapp. Er weigerte sich auch, den Mangel an Betten in Krankenhäusern zuzugeben.
Besonders ungeschickt verhält sich die Regierung des Bundesstaates zu den neuen Agrargesetzen. Im Februar dieses Jahres besuchte der Regierungsvertreter Sanjeev Balyan ein Dorf im westlichen Distrikt Shamli, in dem ein Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt. Der Minister für Tierhaltung wollte die Bauern dort über die Vorteile der neuen Gesetze »aufklären«. Aber die protestierten gegen den Besuch und vertrieben den Minister und seine Begleiter, kaum dass sie dort angekommen waren.
Der BJP-Politiker Sanjeev Balyan wird auch beschuldigt, bei den Unruhen von Muzaffarnagar 2013 eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Sie zogen sich über mehrere Wochen, es gab 62 Tote, darunter 20 Hindus. Die Hauptleidtragenden waren Muslime, mehr als 50 000 wurden vertrieben. Danach war Sanjeev Balyans Popularität gestiegen. Nun sinkt sie - wegen der Wut der Bauern über die neuen Gesetze. Das betrifft sogar die Gemeinschaft der Jat, höherkastige, einflussreiche Hindus aus dem westlichen Uttar Pradesh, die bisher eine sichere Bank für die BJP waren. Laut dem Magazin »The Wire« werden sie nun wegen der Agrargesetze voraussichtlich mehrheitlich für die Oppositionspartei Rashtriya Lok Dal (RJD) stimmen.
Hannan Mollah, Generalsekretär der All India Kisan Sabha, einer weiteren indienweiten Bauernorganisation, kündigt die Ausweitung der Kampagne »Besiegt die BJP« auch in anderen Bundesstaaten an, in denen 2022 gewählt wird: Uttarkhand, Punjab und Himachal Pradesh.
Ob bis 2024 jedoch eine indienweite Koalition zustande kommt, die Modi und seine BJP bei den Wahlen zum indischen Unterhaus herausfordern könnte, ist noch offen. Mamata Banerjee, die amtierende Ministerpräsidentin Westbengalens, wird von vielen indischen Medien als mögliche Architektin für ein solches Bündnis ins Spiel gebracht.
Erfolgskandidatin Mamata Banerjee
»Didi« ist ihr Spitzname in Indien, auf Bengalisch bedeutet das »ältere Schwester«. Die 67-Jährige ist das Aushängeschild des Trinamool Congress und vor einigen Wochen zum dritten Mal in Folge als Ministerpräsidentin des indischen Bundesstaates Westbengalen wiedergewählt worden. Am 2. Mai gewann ihre Partei die Regionalwahlen im drittgrößten indischen Bundesstaat mit einer absoluten Mehrheit.
Mamata Banerjee gehört zur höchsten hinduistischen Kaste der Brahmanen, gilt als nicht korrupt und furchtlos. International bekannt wurde sie 2008, als sie die Proteste gegen die Enteignung von mehr als vier Quadratkilometern Ackerland für eine Produktionsstätte des Tata-Konzerns anführte, der im westbengalischen Singur den Nano, den billigsten Kleinwagen der Welt, herstellen lassen wollte.
Das Projekt stieß auf massiven Widerstand der Bauern. Damals noch Oppositionsführerin in Westbengalen, rief Mamata Banerjee die »Save Farmland«-Bewegung ins Leben. Banerjee ging sogar für 25 Tage in den Hungerstreik, was ihr viel Beachtung durch internationale Menschenrechtsorganisationen einbrachte, und tatsächlich waren die Proteste erfolgreich. Obwohl die damalige linke Regierung in Kalkutta massive Gewalt einsetzte, wurde die Nano-Fabrik nicht errichtet. Ratan Tata, der damalige Kopf des Megakonzerns, erklärte Ende 2008, seine Nano-Produktionsstätte von Westbengalen nach Gujarat zu verlegen. Dort regierte damals Narendra Modi als Ministerpräsident und hatte ihm großzügige Konditionen angeboten, darunter kostenloses Land und Steuerbefreiungen. Anschließend unterstützten auch die traditionell liberalen Tatas den Hindunationalisten Modi als Kandidat für das Amt des Premierministers.
Einige Argumente sprechen für Banerjee als Herausfordererin Modis. Bislang gibt es in Indien keine aussichtsreichen Konkurrenten. Und es ist ihr schon mehrfach gelungen, andere Parteien, die in Opposition zur BJP stehen, an einen Tisch zu bringen. Die muslimische Minderheit in Westbengalen - immerhin ein Viertel der Bevölkerung - ist ihr weitgehend wohlgesonnen, bei Wahlkampfveranstaltungen tritt Banerjee regelmäßig mit muslimischen Geistlichen auf. Das könnte sich allerdings auch negativ auswirken: Denn die BJP hat viel dafür getan, bei der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit den Hass auf den Islam zu schüren.
Banerjee mag eine politische Größe in ihrem Bundesstaat sein, das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch in Delhi erfolgreich sein muss. Es sind schon andere Politiker gescheitert, die den Sprung in die Zentralregierung nicht geschafft haben. Letztlich bleibt auch das schwierige Verhältnis zur stolzen Congress-Partei, die aus der indischen Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangen war. Die Partei befindet sich seit einigen Jahren in einer Krise, und ihr droht ein Niedergang, sie behauptet aber dennoch einen Führungsanspruch und wird kaum bereit sein, sich in einem Parteienbündnis Banerjee unterzuordnen.
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