Visiten ohne Glanz und Gloria

Auf internationaler Bühne verstand sich Angela Merkel eher als Krisenmanagerin

  • Peter Richter
  • Lesedauer: 5 Min.

»Auf dem Höhepunkt soll man abtreten«, lautet ein kluger Spruch aus der Sportwelt, und Angela Merkel hat ihn offensichtlich beherzigt. Sie wollte nicht wie das »alte Schlachtross« Helmut Kohl vom Wähler aus dem Amt gejagt werden, sondern erhobenen Hauptes gehen. Deshalb zog sie aus den empfindlichen CDU- und CSU-Verlusten bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Oktober 2018 die Konsequenz und kündigte die Aufgabe des CDU-Vorsitzes an, was zugleich den Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur bedeutete. Seither regiert sie weitgehend unbeeindruckt vom Parteiengezänk in quasi präsidialer Manier.

Das erlaubt es ihr nun auch, als Amtsträgerin Abschied von all den Größen der internationalen Politik zu nehmen, mit denen sie fast 16 Jahre lang die Geschicke der Welt zu bestimmen suchte. Dabei kann man schöne Bilder produzieren, viel mehr aber auch nicht, denn als scheidende Kanzlerin vermag Angela Merkel kaum mehr Substanzielles zu vereinbaren. Wie ihre Gesprächspartner weiß sie, dass eine künftige Bundesregierung sich an Beschlossenes nicht gebunden fühlen muss. Den Bildern fehlt es zudem an Glanz und Gloria, denn die Bilanz von Merkels außenpolitischem Handeln ist außerordentlich mager.

Das zeigte - fast symbolisch - schon der erste Abschiedsbesuch. Er führte Anfang Juli in die Hauptstadt eines Abtrünnigen: Großbritannien ist aus dem Club der Europäer, den zusammenzuhalten stets eines der ersten Anliegen bundesdeutscher Außenpolitik ist, ausgetreten - und die EU samt ihrer starken deutschen Stütze konnte dies weder verhindern noch einvernehmlich gestalten. Im Grunde stehen die deutsch-britischen Beziehungen vor einem Neustart, und die Bundesrepublik kann dabei letztlich nur so weit gehen, wie es die Union der in unterschiedliche Richtungen strebenden Europäer zulässt.

Dass die Zerstrittenheit der EU inzwischen zu einem ihrer Markenzeichen geworden ist, hat gewiss viele Ursachen. Ohne Zweifel trug dazu aber die von Angela Merkel auch im Auswärtigen betriebene Politik der Unbestimmtheit nicht unwesentlich bei. Visionäres Denken liegt ihr fern, Außenpolitik ist für sie vor allen klassische Diplomatie, eigentlich das Geschäft von Außenministern. Hierin war sie denn auch erfolgreich und erwarb sich schnell einen Ruf als ehrliche Maklerin und hartnäckige Verhandlerin. Das schließt jedoch ein, den Kompromiss eher zu würdigen als zu neuen Ufern zu streben. Merkel hatte das Mögliche im Blick, was in einer EU, in der die nationalen Interessen das Gemeinschaftsdenken immer mehr überlagern, zu einem immer kleineren Nenner führt - inzwischen so klein, dass grundlegende Prinzipien auf dem Spiel stehen.

Das beschämendste Beispiel dafür ist die Migrationspolitik, bei der Europa einen Kurs brutaler Abschottung verfolgt, der allen stets wortreich beschworenen Werten der Gemeinschaft widerspricht. Hier hat sich Merkel, einst als »Engel der Geflüchteten« gefeiert, nicht nur der Ignoranz der meisten EU-Länder gebeugt, sondern mit dem Abkommen mit der Türkei selbst einen Baustein geliefert, der ihr beinahe jede Kritik am undemokratisch-autoritären Vorgehen des türkischen Präsidenten Erdogan unmöglich und zugleich die Brandmarkung von Menschenrechtsverletzungen anderswo unglaubwürdig macht. Das Übel jedoch an der Wurzel zu packen und sich entschlossen für ein partnerschaftliches Verhältnis des reichen Nordens zum arm gehaltenen Süden dieser Erde vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zu engagieren - dazu fehlte der politische Wille.

Ähnliches gilt in anderer Weise für die Beziehungen zu Russland. Hier hat sich Angela Merkel noch am ehesten um eine ausgleichende Politik, zumindest aber um die Erhaltung des Gesprächsfadens bemüht, jüngst zum Beispiel mit dem Vorschlag, nach dem Treffen des neuen US-Präsidenten Biden mit Putin ein solches Spitzengespräch auch seitens der EU anzustreben. Als ihr aber scharfer Gegenwind aus Polen und dem Baltikum entgegenwehte, reihte sie sich flott wieder in die Sanktionsfront der EU ein. Wenig nachhaltig auch ihr Einsatz für die Deeskalation des Ostukraine-Konfliktes, zu der sie zwar durch das Minsker Abkommen zunächst wesentlich beitrug, dessen Einhaltung sie aber nie konsequent von beiden Seiten forderte. Trotz der Parteinahme für Kiew ist das Verhältnis zur Ukraine abgekühlt, weil deren Präsident Wolodymyr Selenskyi mehr erwartet, vor allem die Aufgabe der Gaspipeline Nord Stream 2. Vergleichbare Ambivalenzen bestimmen auch das Verhältnis zu China, das man für weiteres Wachstum der heimischen Wirtschaft braucht, zugleich aber mit Kritik an dessen Innenpolitik verärgert.

Aus Merkels Scheu, Neues zu wagen und sich damit zufriedenzugeben, dass »der Laden zusammengehalten« wird, resultiert letztlich der vielfach beklagte geringe außenpolitische Einfluss der Bundesrepublik, der zugleich die EU als Ganzes lähmt. Frankreich versuchte immer wieder, das Vakuum zu füllen, vor allem während der Amtszeit von Donald Trump, doch in der Bundesregierung fand es dabei keinen hilfreichen Partner. Bei aller Abneigung der Kanzlerin gegen den erratischen einstigen US-Präsidenten waren ihr die transatlantischen Beziehungen als zweite Säule bundesdeutscher Außenpolitik stets heilig. Nachdem sie, die einst vehement den Krieg der USA gegen den Irak befürwortet hatte, später vorsichtiger mit derartigen Solidaritätsbekundungen umging, muss beim bevorstehenden Treffen mit Biden der Draht nach Washington neu aktiviert werden.

Nicht jeder ist jedoch mit der marginalen Rolle der Bundesrepublik im internationalen Geschäft unzufrieden, gerade wegen Merkels Unbestimmtheit und ihrer Neigung, um einer imaginären EU-Einheit willen nationalistischen Einzelinteressen nachzugeben. Hinzu kommt, dass Rufe an die Bundesregierung, »mehr Verantwortung zu übernehmen«, in der Regel auf ein verstärktes militärisches Engagement abzielen. Doch schon jetzt ist Deutschland der viertgrößte Waffenhändler der Welt. Allein 2020 wurden Kriegsgüter im Wert von 6,2 Milliarden Euro exportiert. Und auch der NATO-Forderung, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für s Militär auszugeben, nähert man sich in schnellen Schritten: 1,57 Prozent sind schon erreicht. Da liegt es - auch aus historischen Gründen - nahe, deutschen Höhenflügen in der Außenpolitik grundsätzlich zu misstrauen; schließlich offenbaren selbst die Grünen eine bellizistische Ader.

Was die Welt braucht, sind Initiativen zu ziviler Streitschlichtung in internationalen Konflikten, verbunden mit Hilfsmaßnahmen, die die soziale Lage in Kriegsgebieten verbessern. Hierfür hätte sich Angela Merkel mit dem ökonomischen Potenzial Deutschlands und ihren diplomatischen Fähigkeiten möglicherweise positiv einbringen können. Das aber ließen weder ihre Funktion noch ihr Naturell zu.

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