»Heilung« mit einem Kriegskirchturm?

Wolfram Adolphi findet die Argumente für den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam haarsträubend.

  • Wolfram Adolphi
  • Lesedauer: 4 Min.

In Potsdam wächst Ziegel um Ziegel ein monströses Bauwerk heran: die Kopie des Turms der Garnisonkirche aus dem 18. Jahrhundert. 44 Meter Höhe sind schon erreicht, es kommen noch zehn weitere Meter Gemauertes dazu, und dann soll es eine Turmhaube geben, die das alles auf knappe 90 Meter bringt. Weithin wird sie alles überragen, diese Kopie, und 20 Millionen Euro aus Steuermitteln hat, damit es klappt, die Bundesregierung schon zugeschossen, obwohl da einstmals versprochen ward, es werde alles aus privaten Spenden finanziert werden. Und weil niemand weiß, ob nicht noch mehr erbettelt werden muss, hat sich Wieland Eschenburg, Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, in der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« vom 17./18. Juli vorsorglich in einem ganzseitigen Interview noch einmal ausführlich über den tieferen Sinn des Vorhabens verbreitet.

»Wir wollen Bestandteil der Heilung sein«, heißt die Überschrift, und die ist von so falsch-schwammigem Pathos wie alles, was bisher über Zweck und Ziel des Turmbaus bekannt wurde. Um welche »Heilung«, bitte, geht es? Von einer »europäischen Topographie der Versöhnung« spricht Eschenburg, in die er die Turmkopie gestellt sehen möchte - aber was heißt denn das? Entscheidet neuerdings der Aggressor, der vielfache, wem er - und auf welche Weise - Versöhnung anzutragen bereit ist? Was für eine Umkehrung des Sittlichen! Das Gegenteil ist richtig: Der Aggressor kann bitten. Um Versöhnung. Die, die seinen Aggressionen und Vernichtungsfeldzügen ausgesetzt waren. Aber mit diesem Symbol? Dem Turm jener Kriegskirche, in der Preußens und Deutschlands Feldzüge ihre höchste Weihe empfingen?

Zur Person
Wolfram Adolphi ist Buchautor, lebt in Potsdam und hat im Rechenzentrum neben der Turmbaustelle ein Büro.

Keine Versöhnung mit der Stadtgesellschaft in ihrer Gesamtheit klingt aus dem Interview. Der unmittelbare Nachbar der Turmkopie, das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum in der Architektur der DDR-Moderne, kommt bei Eschenburg nicht vor und erlebt die »Heilung« als ständige existenzielle Bedrohung. Eschenburg zitiert zur Rechtfertigung der Turmkopie Günther Jauch: »Wo nichts ist, wird auch nach nichts gefragt.« Für die DDR-Moderne gilt das freilich nicht. Sie darf weiter in den Orkus - wie schon die Fachhochschule und der Theaterneubau dort, wo heute die Schlosskopie steht. Fachhochschule, Theater und Rechenzentrum seien Potsdam »von den SED-Ideologen aufgezwungen« worden - das muss weg, das ist mit »Heilung« nicht gemeint.

In Eschenburgs Text kommt ein einziges Mal »Barbarei« vor - aber nicht etwa in Bezug auf den Kaiser, der in der Garnisonkirche Zehntausende junge Männer für den sinnlosen Tod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges präparieren ließ (2000 Soldaten passten gleichzeitig rein ins Kriegskirchenschiff), und »natürlich« nicht in Bezug auf die Kriege des »großen« Friedrich, in die die jungen Männer hineingezwungen wurden in barbarischem Zusammentrieb, und auch der 21. März 1933, der »Tag von Potsdam« mit seiner Hitlerweihe durch Hindenburg, war nicht Barbarei - nein, Barbarei war bei Eschenburg einzig die Sprengung der Ruine 1968.

Aber warum war die Kirche Ruine geworden? Weil der in ihr 200 Jahre lang gepredigte Krieg auf sie zurückgefallen war! Und auf alle, die am 21. März zu Zehntausenden Spalier gestanden hatten. Und voller Hohn und Spott gewesen waren für die, die zuvor gerufen hatten »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt Krieg«. Das alles kommt bei Eschenburg nicht vor. Kritik an der Funktion der Garnisonkirche in der Geschichte weist er zurück mit dem Verweis darauf, dass es in Deutschland noch weitere 50 Garnisonkirchen gab. Na prima!

Bleibt noch zu sagen, dass Eschenburg selbstverständlich keinerlei Gefahr sieht, dass die Kopie durch die ganz Rechten vereinnahmt werden könnte. Da sitzt er ihr wieder auf - dieser eigenartigen Zerrissenheit im Barockkopiererdenken: Während alle DDR-Architektur wegmuss, weil sie einer bestimmten Gesellschaftsform und Ideologie entspricht, trifft das auf Schlösser und Kriegskirchen nicht zu. Sie sind dem gesellschaftlichen Zusammenhang entrissen, der Inhalt gänzlich unabhängig von der Form. Oder doch nicht? Und die Kopiersucht trifft sich mit einem bedenklichen Mangel an Zukunft?

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