• Politik
  • 5 Jahre Attentat von München

Jahrelang falsch eingestuft

Ein 18-Jähriger tötete 2016 in München neun Menschen, verletzte fünf weitere und erschoss sich selbst - Behörden wollten rassistische Motivation lange Zeit nicht nennen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Es waren grausame und erschütternde Stunden in München vor fünf Jahren, am Abend des 22. Juli 2016. Ein 18-Jähriger erschoss rund um das Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen, verletzte fünf weitere und tötete sich dann selbst. Alle Opfer waren Migranten oder gehörten einer Minderheit an, der Großteil von ihnen waren Jugendliche. Während der Attentate entstand Panik in mehreren Teilen der Stadt, auch dadurch kam es zu Verletzten.

Oberflächliche Verletzungen mögen mittlerweile wieder geheilt sein. Unklare oder widersprüchliche Einschätzungen der Behörden zur Motivation des Angreifers belasten derweil die Angehörigen der Ermordeten bis heute. Schon kurz nach der Tat ließen die bayerischen Sicherheitsbehörden verlauten, dass Mobbing-Erfahrungen des Täters »tatauslösend« gewesen sein sollen und nicht eine politische Motivation. Diese Bewertung wurde jedoch vielfach hinterfragt. Kritiker wiesen daraufhin, dass das Datum des Anschlags - es war der fünfte Jahrestag des extrem rechten Anschlags in Oslo und Utøya - sicher kein Zufall war.

Dazu hatten Ermittler ein »Manifest« des Attentäters sowie weitere Dokumente gefunden, in denen rassistische und menschenverachtende Äußerungen vorkommen. Der Angreifer vernetzte sich dazu in Chats auch mit anderen Rassisten und extremen Rechten. So sei er laut Berichten auf der Spiele-Plattform Steam etwa in einer Gruppe namens »Anti-Refugee Club« (Anti-Flüchtlingsclub) aktiv gewesen und hatte dort auch Kontakt mit einem Mann, der später in den USA ein rassistisches Attentat beging. Eine andere seiner Chatgruppen hieß »Fuck Turkey«.

Da die Diskussionen weitergingen, wurden verschiedene Gutachten in Auftrag gegeben. Die Stadt München ließ insgesamt drei erstellen. Alle kamen 2017 unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass der Täter rassistische Motive gehabt habe und es demnach auch eine politisch motivierte Tat gewesen sei. Speziell wurde darauf hingewiesen, dass sich eine psychische Erkrankung und eine politische Tatmotivation nicht ausschließen müssen. Eine Studie der Polizei kam 2018 dagegen zu dem Schluss, dass es sich um einen Amoklauf gehandelt habe, bei dem die »typischen breiten Hass- und Gewaltfantasien eines Amoktäters« vorgelegen hätten.

Erst 2018 stufte das Bundesamt für Justiz die Tat als »extremistisch« ein. Die bayerischen Sicherheitsbehörden zogen im Oktober 2019 nach und sprachen nun auch von einer politisch motivierten Tat. Die Inschrift am Denkmal des OEZ-Attentats wurde von der Stadt München 2020 entsprechend geändert. »In Erinnerung an alle Opfer des rassistischen Attentats vom 22.7.2016« steht nun dort geschrieben.

Eine politische Aufarbeitung kam ansonsten jedoch nicht in Fahrt. Da der Täter tot ist, wurde der Anschlag nicht vor Gericht verhandelt. Bestraft wurde lediglich der Waffenhändler, von dem der Attentäter seine Waffe über das Darknet gekauft hatte. Im Januar 2019 verurteilte ihn das Gericht rechtskräftig zu sieben Jahren Haft.

»Die langjährige Einstufung der Tat als Amoklauf führte dazu, dass kaum politische Konsequenzen gezogen wurden«, kritisierte der Mediendienst Integration in einer Stellungnahme. Anders als bei den Anschlägen in Hanau oder Halle habe es deswegen auch nur wenige öffentliche Debatten gegeben. Die Staatsregierung hatte einzig ihre Präventionsarbeit gegen Amokläufe verstärkt und ihr »Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus« überarbeitet. Sonst passierte nichts.

Das Zögern der Behörden beschäftigt die Familien der Todesopfer dabei bis heute. Vor allem am Jahrestag kämen die Erinnerungen wieder hoch, sagte Rechtsanwalt Onur Özata, der noch Kontakt zu einer der Familien hat, jüngst gegenüber Medien. Der Jurist hatte sie als Nebenklageanwalt vertreten, als dem Verkäufer der Tatwaffe in München der Prozess gemacht wurde. Es sei der Familie ein großes Anliegen, dass das Andenken an ihren Sohn, den damals 19-jährigen Giuliano-Josef, und die anderen nicht verschwinde. Zudem kämpften sie immer noch gegen den Alltagsrassismus, dem sie als Sinti-Familie regelmäßig ausgesetzt seien.

Dass die Tat so lange als unpolitischer Amoklauf galt, habe die Menschen verletzt, erklärte der Anwalt. Bei den Angehörigen entstehe das Gefühl, als schiebe man ihnen die Schuld zu - dass das Mobbing in ihrem Verhalten begründet und der eigentliche Grundstein der Taten sei.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wollen nun am Jahrestag zu einer Gedenkveranstaltung in die Landeshauptstadt kommen. Auch Familienangehörige der Ermordeten werden erwartet. Auf Selbstkritik der Behörden sollten sie jedoch besser nicht warten. Das Bayerische Innenministerium und das Bayerische Landeskriminalamt hatten bereits zuvor erklärt, dass sie alles richtig gemacht hatten.

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