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»Das ist mein Beitrag für die Revolution«
Im bürgerlichen Leben ist Xavier Montes de Oca Navarro Handelsvertreter. Doch sein Herz schlägt für solidarisches Miteinander. Deshalb arbeitet er so oft er kann in einer Bäckerei-Kooperative
Santa Coloma de Gramenet liegt im Nordwesten Barcelonas. Die Metropole ist längst an die 120 000-Einwohner-Stadt herangewachsen. Rings um das Rathaus und das Kulturzentrum Can Sistere lässt sich der einst kleinstädtische Charakter noch erahnen: Geschäft reiht sich an Geschäft, unter den Akazien der verkehrsberuhigten Straßen spielen ein paar Kinder. Xavier Montes de Oca Navarro arbeitet hier in der Bäckerei L’Obrador und macht Mittagspause in einem Café am Platz.
Was haben Sie denn da mitgebracht?
Das ist Pagès de Xeixa, ein Sauerteigbrot aus einer alten einheimischen Weichweizen-Art. Schnuppern Sie mal an der Kruste! So ein Brot, das gibt es nur bei uns.
Ich merke schon: Da spricht der Vollblutbäcker.
Ich stehe bisher vor allem hinter dem Tresen, aber irgendwann will ich das Backen richtig lernen. Im L’Obrador bin ich über Umwege gelandet. Juanjo, den Bäckermeister, kenne ich seit Langem. Er hat für eine Lebensmittel-Kooperative, bei der ich Mitglied bin, das Brot gebacken, zunächst bei sich zu Hause. Doch irgendwann wurde er darin so gut, dass wir ihn ermutigt haben, einen eigenen Laden zu eröffnen. Vor zwei Jahren hat Juanjo die Kooperative L’Obrador eröffnet. Eigentlich wollte er mich von Anfang an dabeihaben. Aber ich habe damals noch auf einem genossenschaftlich organisierten Bauernhof gearbeitet. Vor sechs Monaten war es dann Zeit für einen Wechsel und ich bin eingestiegen.
Sowohl als Konsument wie auch als Produzent ein überzeugter Genossenschafter: Warum?
In einem normalen Betrieb stutzt dich die Hierarchie zurecht: Du musst machen, was der Chef sagt. In einer Kooperative sind alle gleich. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, auch die Verantwortung dafür wird gemeinsam getragen. Dadurch wächst man, als Mensch. Das Gemeinsame ist für mich sehr wichtig. Denn Fortschritt gibt es nur, wenn alle zusammen mit anpacken. Es ist für mich die Grundlage für eine andere, für eine bessere Welt - sozusagen mein Beitrag für die Revolution. (lacht)
Unterscheidet sich die Arbeit in der Backstube sehr von der auf dem Bauernhof?
Hier wie da habe ich mich um das Kommerzielle gekümmert - und das ist im Prinzip sehr ähnlich. Wir verkaufen ein Produkt mit einem enormen Mehrwert: Lebensmittel, die nach ökologischen und sozial verantwortlichen Kriterien hergestellt wurden. Für mich ist das sehr erfüllend.
Allerdings muss so ein Projekt auch unternehmerisch gangbar sein. Ich muss davon leben können. Nein, ich muss davon gut leben können. So etwas zu sagen, gilt in Unternehmen, die wie wir nach sozialen Kriterien wirtschaften, fast als unanständig. Aber ich finde: Solange man niemanden ausbeutet, ist es nicht schlimm, gutes Geld zu verdienen.
Und klappt das?
Nein. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir es eines Tages schaffen werden.
Was wäre denn eine gute Bezahlung?
Wenn ich als Familienvater jeden Tag sieben Stunden arbeite und dafür 2000 Euro bekomme, dann fände ich das angemessen. Wenn die Arbeit erfüllend ist und man sich - wie bei uns - die Arbeitszeit einigermaßen frei einteilen kann, braucht man nicht mehr. Aber bisher bekomme ich als Neuling noch fast gar nichts. (lacht)
Das heißt, dass Sie Ihren Lebensunterhalt noch anderweitig verdienen?
Ja, und ich bin nicht der Einzige: Drei von uns vier Genossenschaftern haben nebenbei noch andere Berufe. Ich bin von Haus aus selbstständiger Handelsvertreter in der Textilbranche. Das mache ich immer noch, wenn ich nicht in der Bäckerei stehe. In dieser Welt gelten klassische, kapitalistische Regeln: Was zählt, ist der Gewinn. Die Kooperative dagegen ist die Welt, wie ich sie gerne hätte.
Ist dieses Wandeln zwischen den Welten nicht unheimlich anstrengend?
Und ob! Denn eigentlich verachte ich dieses merkantilistische System. Als ich jung war, hat mich zunächst die Aussicht auf Geld motiviert, dann die auf Urlaub. Aber weil die Arbeit unbefriedigend war, wurden die Urlaube immer länger. Ich musste mehr arbeiten, um mir längere Urlaube leisten zu können - absurd! Vor etwa zwanzig Jahren habe ich alles an den Nagel gehängt und mir mit meiner damaligen Freundin ein Stück Land gekauft.
Der Einstieg ins alternative Leben.
Genau. Ich habe Genossenschaften gegründet, Reisen nach Marokko organisiert, alles Mögliche. Dass wir damit kaum Geld verdient haben, war nicht schlimm. Aber inzwischen haben wir eine Tochter, ich muss eine Familie ernähren - und allein mit der Kooperative geht das leider nicht. Noch nicht.
Auch im Umgang mit den Kund*innen suchen Sie nach neuen Wegen. »Wir akzeptieren Grama« steht über dem Tresen. Das ist die Lokalwährung von Santa Coloma de Gramenet. Wie viele zahlen damit?
Es sind nicht besonders viele, aber diejenigen, die mit Grama zahlen, sind uns besonders treu. Llum, die Frau aus dem Kopierladen gegenüber, kauft hier jeden Tag ihr Brot. Die meisten Grama-Nutzer*innen sind Geschäftsleute, die das Geld in Umlauf bringen müssen.
Wie funktioniert das System?
Das Rathaus vergibt eine Subvention in Grama, zum Beispiel an einen Kulturverein. Der lässt damit vielleicht im Copyshop Plakate für eine Veranstaltung drucken. Die Copyshop-Besitzerin kauft von den Grama dann hier ihr Brot. Und wir geben die Grama zum Beispiel im Restaurant gegenüber in der Mittagspause aus. Eine prima Idee: Das Geld bleibt im Ort und die lokale Wirtschaft wird gestärkt. Auch in unserer Kooperative zahlen wir uns einen Teil des Lohns in Grama aus. Wie viel, das bestimmt jeder selbst - in der Regel sind es zwischen 10 und 20 Prozent. Aber eigentlich ist die Geschichte des Grama viel älter als das Projekt des Rathauses.
Inwiefern?
In der alternativen Szene von Santa Coloma de Gramenet haben wir bereits vor knapp 20 Jahren mit einer Lokalwährung gearbeitet, die auch Grama hieß. Wir wollten damals das Geld den Banken entziehen und den Menschen die Verfügungsgewalt darüber zurückgeben.
Ein ambitionierter Plan.
Auf jeden Fall! Die Idee war stark, allerdings hatten wir damals sehr viel weniger Ressourcen und eine sehr viel geringere Breitenwirkung als das Rathaus. Zu unserem Netzwerk gehörten fünf, sechs Vereine. Wir kamen nie über das »Hippie-Level« hinaus. (lacht) Aber dafür hatte unsere Währung eine sehr viel stärkere soziale Komponente: Ein Teil der Umsätze floss direkt in soziale Projekte. Daran könnte sich das Rathaus ein Beispiel nehmen.
Ärgert es Sie, dass sich das Rathaus nicht nur die Idee, sondern auch den Namen angeeignet hat?
Nein, im Gegenteil! Mich macht es stolz, dass die offizielle Lokalwährung jetzt unseren Namen trägt. Denn ich fühle mich Santa Coloma de Gramenet sehr verbunden.
Was macht den Ort aus?
Er liegt an der Peripherie. Was der Großstadt Barcelona automatisch zugestanden wurde, musste man sich hier in den 70er und 80er Jahren erkämpfen: asphaltierte Straßen und Ampeln ebenso wie ein Gesundheitszentrum oder die Schulen. Kein Tag verging, an dem nicht für etwas demonstriert oder gestreikt wurde. Das prägt den Charakter. Santa Coloma war berühmt für seine sozialen Initiativen, für seine lebendige Bewegungsszene. Doch jetzt sind viele demotiviert.
Dabei gäbe es gerade jetzt Gründe genug für Protest: Die Coronakrise hat viele hart gebeutelt. In vielen Geschäften sind die Rollläden heruntergelassen. Warum bleibt es so ruhig?
Mich wundert das auch. Vielleicht hat der Individualismus viele träge gemacht. Oder sie haben Angst vor der Polizei und ihren Gummigeschossen. Oder sie haben einfach keine Energie mehr für den Protest. Das merke ich ja auch an mir selbst.
Hier in der Nähe gibt es ein seit Jahren abgesperrtes Baugrundstück, auf dem die Anwohner eine Grünanlage errichten möchten. Das Rathaus unternimmt nichts. Also sind neulich ein paar Leute hin und haben in einem ersten Schritt die Zäune eingerissen. Normalerweise wäre ich bei so etwas dabei! Aber die Zeit und die Kraft reichen nicht: Ich arbeite ununterbrochen, und trotzdem wird das Geld am Monatsende knapp. Aber von der scheinbaren Lethargie sollte man sich nicht täuschen lassen: Irgendwann knallt es, da bin ich mir sicher.
Dass die Umstände, gegen die man ankämpfen will, einen genau an diesem Kampf hindern, ist ein klassisches Dilemma. Leiden Sie darunter?
Ja, natürlich. Ich würde gerne ganz nach meiner politischen Überzeugung leben können, durch die Arbeit im L’Obrador. Die Kooperative ist für mich ein Ort des Widerstands und ein Raum, in dem auch menschliche Beziehungen neu gestaltet werden können. Ich würde gerne viel mehr mit den anderen Genossenschaftern diskutieren, mich über das Grundsätzliche unterhalten - so, wie wir das gerade tun. Aber im Alltag rennt uns immer die Zeit davon.
Haben Sie überlegt, das Handtuch zu werfen?
(guckt auf die Uhr) Gleich ist es 17 Uhr und dann gehe ich wieder zurück in die Bäckerei. In der Sekunde, in der ich die Rollläden hochschiebe, ist aller Frust vergessen und ich bin wieder motiviert. Denn ich glaube an das, was ich tue - und weiß, dass es das Richtige ist. Trotz allem.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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