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Liedermacher übt sich im Brückenbau
Der Kubaner Silvio Rodríguez trifft sich mit jungen Regierungskritikern zum Dialog und Austausch
Der kubanische Liedermacher Silvio Rodríguez hielt Wort: »Ich weiß nicht, wie viele Gefangene es jetzt sind, sie sagen, Hunderte. Ich verlange das Gleiche (Freiheit) für diejenigen, die nicht gewalttätig waren«, schrieb er in seinem Blog Segunda Cita. Er forderte damit die Freilassung derjenigen, die während der Proteste vom 11. Juli verhaftet wurden und nicht an Gewalttaten beteiligt waren. Darum hatte ihn der regierungskritische Theaterdramaturg Yunior García bei einem Treffen zuvor gebeten.
Der 74-jährige Silvio Rodríguez ist ein bekennender Anhänger der kubanischen Revolution und der Regierung in Havanna. García dagegen gehörte zu jener Gruppe von rund 300 Kulturschaffenden, die am 27. November 2020 vor dem Kulturministerium für Kunst- und Meinungsfreiheit demonstrierten. Am 11. Juli wurde der 38-Jährige beim Protest vor dem kubanischen Rundfunk (ICRT) in Havanna festgenommen. Tags darauf wurde er freigelassen und steht seitdem unter Hausarrest. Polizisten in Zivil »zerrten und warfen mich in einen Müllwagen, als ob wir Säcke mit Schutt wären. Es war eine gewaltsame Repression«, erzählte García später der BBC.
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Der 26. Juli ist Feiertag in Kuba. Es wird dem Jahrestag des Sturms auf die Moncada 1953 gedacht. 2021 unter dem Eindruck der Proteste vom 11. Juli, die Kuba aufgewühlt haben. In mehreren Städten des Landes waren Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Lebensmittel- und Medikamentenknappheit zu protestieren und politische Veränderungen zu fordern. Schilderungen wie die von García befeuerten im Anschluss die Debatte um das harte Vorgehen der Polizei. Laut staatlichen Behörden gab es einen Toten. Offizielle Zahlen zu den Festnahmen fehlen; die Rede ist von 500.
Rodríguez schaltete sich per Blog in die Debatte ein. »Was die polizeilichen Exzesse angeht, erstens: Natürlich hat es polizeiliche Exzesse gegeben. Ich habe jedoch kein einziges Video gesehen, in dem eine friedliche Demonstration von der Polizei angegriffen wird. Es mag existieren, aber ich habe es nicht gesehen.« Rodríguez ist neben Pablo Milanés der berühmteste Vertreter der Nueva Trova. Musikalisch und politisch ein Symbol der lateinamerikanischen Linken, haben seine Worte auf und außerhalb der Insel Gewicht.
Rodríguez’ Äußerungen veranlassten García zu einem offenen Brief an den Liedermacher. »Wenn ich nach dem 11. Juli noch die geringste Hoffnung auf einen Dialog habe, dann möchte ich ihn mit Dir führen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du uns in einen Müllwagen werfen oder Geschäfte mit einem Knüppel in der Hand verteidigen würdest«, so García an Rodríguez, mit dessen Songs er aufgewachsen sei. »Gib uns die 15 Minuten, die sie uns im ICRT verweigert haben.«
In der vergangenen Woche dann trafen sich Rodríguez, García und Dayana Prieto, die ebenfalls zu den Protestierenden gehört. Aus 15 wurden 70 Minuten. »Bei dem heutigen Treffen ging es nicht darum, einen Sieger zu finden. Es ging um Kuba. Und ich glaube, dass wir mit der Gewissheit herauskommen, dass echte Veränderungen notwendig sind, vorangetrieben mit gewaltfreien Mitteln, ohne Einmischung von außen und bei denen sich kein Kubaner ausgeschlossen fühlt«, schrieb García danach auf Facebook. Man habe sich auf ein Projekt verständigt, das »als Beginn einer wirklich pluralistischen, inklusiven, bürgerlichen, respektvollen und breiten Debatte dienen könnte, die Konsens findet in der Vielfalt, die uns als Kubaner heute charakterisiert«.
Rodríguez nannte das Treffen brüderlich und respektvoll. Es sei um Missverständnisse zwischen den verschiedenen Altersstufen und Auffassungen gegangen. »Für mich war es am Schmerzlichsten zu hören, dass sie sich als Generation nicht mehr als Teil des kubanischen Prozesses fühlten«, so Rodríguez, der in jungen Jahren ebenfalls mit der Staatsmacht aneckte. Aber er habe sich nie außerhalb gefühlt. Denn als Generation unmittelbar nach der Revolution hätten sie die Motive der Eltern geerbt und »wie viel es gekostet hat, souverän und zudem sozialistisch zu sein«.
Rodríguez kennt diesen Generationenkonflikt wie viele Kubaner*innen aus der eigenen Familie. Einer der Söhne des heute 75-Jährigen, Silvito »El Libre«, lebt seit einigen Jahren in den USA und bezieht in seinen Songtexten und Statements immer wieder Position gegen die kubanische Regierung.
Die Jungen von heute sind mit den viel zitierten Errungenschaften der Revolution aufgewachsen, vor allem aber auch mit einer kontinuierlichen wirtschaftlichen Krise. Ein Teil von ihnen traut der Regierung die Lösung der Probleme nicht mehr zu. Und je weiter sie sich von der Revolution entfernen, desto weniger erreichen sie deren Parolen.
»Es muss mehr Brücken geben, es muss mehr Dialog geben, es muss weniger Vorurteile geben«, schrieb Rodríguez nach dem Treffen, »weniger Lust am Schlagen und mehr Lust an der Lösung des Berges anstehender wirtschaftlicher und politischer Fragen; weniger Gewohnheit, denen zuzuhören, die mit denselben Worten das Gleiche sagen, Jahrzehnt für Jahrzehnt, als ob die (nachfolgenden) Generationen nicht auch mit ihren eigenen Worten und Illusionen angetreten wären.«
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