Songs über Arbeit und Erdbeerfelder

Maik Brüggemeyers neues Buch über die Beatles katapultiert Fans zurück in ihre Kinderzimmer

  • Axel Klingenberg
  • Lesedauer: 5 Min.

Ich weiß noch, wie es damals bei mir war, Mitte der 70er Jahre. Ich saß in dem Raum, den wir in unserer Familie »das braune Zimmer« nannten, weil er in eben dieser Farbe tapeziert war. Und ich hörte eine Platte der Beatles. Sie gehörte einer meiner älteren Schwestern. Diese LP - »die mit dem roten Rand«, eine Zusammenstellung ihrer frühen Hits von 1962 bis 1966 - kennen viele meiner Generation. Für mich bedeutete sie das erste wichtige Musikerlebnis jenseits des Schlagers und der Operettenmusik, die meine Eltern präferierten. Jüngst ist wieder ein Buch über die Beatles erschienen. Aber ist über die Band nicht schon alles gesagt worden?

»Schöner kann es gar nicht sein« heißt das Buch von Maik Brüggemeyer - seines Zeichens Redakteur bei der deutschen Ausgabe des »Rolling Stone«. Der Titel ist eine dilettantische Übersetzung einer Textzeile aus »She Loves You«. Den Song sollten die Beatles zu Beginn ihrer Karriere einsingen, was sie jedoch offenkundig nicht taten. Leider muss man fast sagen. Statt der coolen, lässigen, fast distanzierten Sätze »She says she loves you / And you know that can’t be bad« hätten sie schlagerhaft »Oh, ja sie liebt dich / Schöner kann es gar nicht sein« singen sollen.

Die Beatles also. Ihre Bedeutung kann kaum unterschätzt werden, da sie aus dem amerikanischen Rock ’n’ Roll die Blaupausen für die moderne Rock- und Popmusik lieferten. Ohne die Beatles gäbe es nicht nur keinen Britpop, sondern … eigentlich gar nichts. Namentlich beeinflussten sie die Byrds, Jerry Garcia, Bruce Springsteen, die Monkees und Noel Gallagher. Ja, sogar der große Muhammad Ali erwies ihnen in einem seiner Dissverse seine Referenz. Und natürlich auch Charles Manson, dessen »Family« die Schauspielerin Sharon Tate und vier weitere Menschen ermordete - und mit dem Blut ihrer Opfer »Helter Skelter« an die Wand schrieb, den Titel eines Beatles-Songs.

Auch heute klingen die Beatles immer noch erstaunlich frisch, auch wenn ich selbst mit den späteren Alben nie so recht warm geworden bin. Ich bevorzuge immer noch die jugendlichen Mersey-Beat-Musiker in ihren coolen Anzügen, die über Arbeit, Liebe und Spaß sangen - und nicht die langhaarigen Kiffer, die sich in ihren Songs über Walrösser und Erdbeerfelder ausließen.

Brüggemeyer begibt sich für sein Buch auf Spurensuche in Liverpool. Zu den Zielen seiner Ortsbegehungen zählen zum Beispiel das Haus von John Lennons Tante Mimi in der Menlove Ave sowie natürlich der Casbah Coffee Club und der Cavern Club. Zum Teil trifft sich der Musikjournalist auch mit seinen Helden, zum Beispiel mit Paul McCartney, den er am Liverpool Institute of Performing Arts aufsucht. Auch mit dem Musiker und Grafiker Klaus Voormann, der wegen seiner engen Beziehung zur Band auch »fünfter Beatle« genannt wird, hat er gesprochen.

Aus Brüggemeyers Texten aus dem »Rolling Stone« und Teilen eines (bisher) unvollendet gebliebenen biografischen Romanprojektes ist eine Text-Collage entstanden, die es Spaß macht zu lesen; die leichten Wiederholungen stören dabei kaum.

Es geht in dem Buch natürlich um die frühen Jahre mit den beiden fünften Beatles, die Grundausbildung im Hamburger Vergnügungsviertel, die ersten kommerziellen Erfolge und die Hippiephase (die mit der bis heute andauernden Verehrung eines indischen Yogis anscheinend immer noch nicht abgeschlossen ist) und ihre zunehmende Anerkennung als arrivierte Künstler, die mit diversen Soundeffekten experimentierten. Die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der einzelnen Alben »Revolver«, »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band«, »The Beatles«, »Abbey Road« und »Let it Be« nimmt dabei einen breiten Raum ein.

Natürlich werden auch einige der legendären Anekdoten erzählt: »Wenn die Leute auf den billigen Plätzen einfach in die Hände klatschen würden? Und der Rest von Ihnen - wenn Sie einfach mit Ihren Juwelen rasseln?«, sagte John Lennon zum Beispiel bei einem Auftritt vor der Queen. Anschließend spielten die Jungs aus Liverpool den klassenlosen Gassenhauer »Twist and Shout«.

Großartig auch ihre Weigerung, im Gator Bowl in Jacksonville aufzutreten, als sie erfuhren, dass dort weiße und schwarze Fans getrennte Bereiche hätten - die in den Südstaaten damals übliche Rassentrennung wurde für diesen Abend aufgehoben. Kein Wunder, dass Whoopi Goldberg über sie sagte, dass sie »(f)ür uns waren … nicht schwarz und nicht weiß (waren) - sie hatten keine Hautfarbe. Sie waren einfach die Beatles.«

Obwohl es der Untertitel »The Beatles von 1957 bis 1970« erst einmal nicht vermuten lässt, behandelt das Buch auch die Nachgeschichte der Beatles, mit einer Auflistung der besten Soloalben zum Beispiel. Und mit den niemals Wirklichkeit gewordenen Reunion-Plänen - bis es dann zu spät war.

Nicht zuletzt macht dieses Buch aber Lust, die Musik der Beatles wieder zu hören. Und das ist das Beste, was man über ein solches Werk sagen kann. Die wunderschönen Illustrationen von Karsten Weyershausen, die mehr oder weniger berühmten Fotos nachempfunden sind, tun ihr Übriges. Ich selbst war wieder für ein paar Stunden ein Kind im braunen Zimmer meines Elternhauses, staunend über diese unerhörten Klänge.

Maik Brüggemeyer: Schöner kann es gar nicht sein - The Beatles von 1957 bis 1970. Verlag Andreas Reiffer, 304 S., geb., 22 €.

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