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  • »Wer wir sind und wer wir waren«

Wir waren schon hier zuvor

»Wer wir sind und wer wir waren« - ein Kammerspiel ohne große Gefühle

  • Isabella Caldart
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sag mir etwas Wahres«, fordert Grace zu Beginn des Films in einer versuchten Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann Edward. Schon lange haben sie kein echtes Gespräch mehr geführt. Auch dieses Mal wird es nicht dazu kommen, er reagiert kaum. »Ich bin müde. Ich will ins Bett«, antwortet Edward resigniert und verlässt die Küche. Kurzerhand wirft Grace den Küchentisch um. Es ist die lauteste Szene in »Wer wir sind und wer wir waren«, dem neuen Film des britischen Autors und Regisseurs William Nicholson (»Gladiator«, »Mandela - Der lange Weg zur Freiheit«). Was Grace, gespielt von Annette Benning, zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, nicht einmal annähernd ahnt: Den bevorstehenden 29. Hochzeitstag werden die beiden nicht mehr zusammen feiern. Edward (Bill Nighy) liebt sie nicht mehr. Er hat seit einem Jahr eine Affäre und wird am nächsten Tag endlich den Mut aufbringen, seine Frau zu verlassen.

Die Prämisse des Films, auf Englisch mit dem zweideutigen Titel »Hope Gap«, benannt nach dem eigentlichen Drama wie nach dem Kliff, in dessen Nähe Grace und Edward leben, ist keine außergewöhnliche. Ehen zerbrechen, in Filmen wie im echten Leben, regelmäßig. Das wird auch hier mehrfach thematisiert. Grace legt eine Anthologie mit Gedichten an, die sie nach Dante Gabriel Rossetti »Ich war schon hier zuvor« nennt. Sie sortiert sie nach alltäglichen Gefühlen, »Verzweiflung«, aber auch »Hoffnung«, um ihren zukünftigen Leser*innen - und vielleicht auch sich selbst - die Beruhigung zu verschaffen, dass andere vor ihnen vergleichbare Situationen durchgestanden haben.

Das Wissen, dass das Zerbrechen ihrer Ehe etwas ganz Gewöhnliches ist, hilft Grace aber nicht weiter. Auch nach 29 Jahren liebt sie ihren Edward, will, kann nicht akzeptieren, dass er es bei ihm anders ist. »Das ist ein Mord«, meint sie. »Er ermordet eine Ehe.«

Ein weiterer Leidtragender der Trennung von Edward und Grace ist ihr erwachsener Sohn Jamie (Josh O’Connor, als Prinz Charles in »The Crown«), der zugleich seiner Mutter beistehen, Verständnis für seinen Vater aufbringen und mit dem Ende der Ehe seiner Eltern irgendwie umgehen muss.

»Wer wir sind und wer wir waren« ähnelt einem Kammerspiel, neben Grace, Edward und Jamie gibt es kaum Interaktionen mit anderen Figuren. Fast könnte man meinen, der Film wäre während des Corona-Lockdowns gedreht worden, ist er aber nicht, allerdings musste der für 2020 geplante Kinostart pandemiebedingt verschoben werden.

Die Konzentration auf wenige Akteur*innen erlaubt eigentlich große Gefühle. »Wer wir sind und wer wir waren« jedoch fehlt Tiefe und Dringlichkeit. Der Film will ruhig sein, ist aber leider zu ruhig erzählt. Annette Benning ist eine hervorragende Schauspielerin, das scheint auch in diesem Streifen auf. Es liegt nicht an ihr, wenn in vielen Szenen die Emotionen von Grace nicht auf die Leinwand transportiert werden, sondern am arg zurückhaltenden Drehbuch. Den Zuschauer*innen bleiben alle Figuren etwas fremd.

So ist beispielsweise nicht wirklich nachzuvollziehen, warum Grace nach vielen Monaten der Trennung trotz eines für sie sehr guten Angebots (Edward will auf das gemeinsame Haus verzichten) die Scheidungspapiere nicht unterschreibt - obwohl sie sogar, begleitet von ihrem Sohn, in die Anwaltskanzlei fährt. Und Bill Nighy wiederum hat eine so durchschnittliche Rolle, dass es nicht viel darüber zu sagen gibt. Edward trottet durchs Bild, redet kaum, reagiert höchstens. Er dient Grace als Projektionsfläche, aber mehr auch nicht. Daran scheitert die Ehe. Und ebenso der Film.

»Wer wir sind und wer wir waren« zeigt, dass man selbst im reiferen Alter nicht davor gefeit ist, seine Gefühle nicht ausdrücken zu können, nicht genau zu wissen, wer der Gegenüber und wer man selbst ist. Dem Film gelingt es nicht, diesem großen Thema eine neue Facette zu verleihen - oder zumindest durchgehend eine Stunde und vierzig Minuten lang zu unterhalten. Am Ende lässt sich über den Streifen das Gleiche sagen wie über das Ende der Ehe: Das kennt man. Wir waren schon hier zuvor.

»Wer wir sind und wer wir waren«: Vereinigtes Königreich 2019. Regie und Drehbuch: William Nicholson. Mit: Annette Bening, Bill Nighy, Josh O'Connor, Aiysha Hart,101 Min. Start: 29.7.

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