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Kein Sonderrecht für Männer
Gericht: Frauen dürfen in Allgäuer Verein künftig mitfischen
Christiane Renz ist glücklich: »Die Schuhe stehen parat«, sagte die Allgäuerin mit Blick auf den nächsten Fischertag: »Dann wird pünktlich am Bach gestanden und reingejuckt.« Jahrelang war Renz das »Jucken«, das jährliche Ausfischen des Stadtbachs in Memmingen mit Tausenden Zuschauern vom eigenen Verein verwehrt worden - weil sie eine Frau ist. Am Mittwoch urteilte das Memminger Landgericht: Die Teilnahme darf nicht aus Tradition Männern vorbehalten bleiben.
Dieses »Sonderrecht« für männliche Mitglieder in der Satzung des Memminger Fischertagvereins sei »nicht mehr gerechtfertigt«, sagte der Vorsitzende Richter Konrad Beß. Vereine dürften zwar grundsätzlich Regeln frei festlegen. Doch wenn sie Mitglieder dabei unterschiedlich behandeln, müsse dies mit dem Zweck des Vereins begründbar sein. Das Brauchtumsfischen in Memmingen sei aber »keine absolut getreue Nachbildung« eines historischen Geschehens. Daher könnten Frauen teilnehmen, ohne dass das »Ziel der Heimatpflege« in Gefahr gerate.
Beim Fischertag springen die Teilnehmer jedes Jahr im Sommer in den Memminger Stadtbach und holen Forellen aus dem Wasser. Wer den größten Fisch fängt, wird Fischerkönig. Die Veranstaltung geht darauf zurück, dass der Bach früher einmal jährlich leergefischt wurde, um den Kanal zu reinigen. Diese Tradition ist nach Angaben des Vereins bis ins 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Frauen sind davon seit dem Jahr 1931 per Satzung ausgeschlossen. Dagegen hatte Christiane Renz zunächst vor dem Amtsgericht Memmingen geklagt und gewonnen. Der Verein hatte aber Berufung eingelegt.
Das Landgerichtsurteil könnte nun Auswirkungen auf andere Männertraditionen haben. Das Verfahren sei »über den Einzelfall hinaus für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung«, sagte Richter Beß. Der Erste Vorsitzende des Fischertagsvereins, Michael Ruppert, sprach von einem »Tag, der viele, viele Vereine in ganz Deutschland betreffen könnte«. Er finde es »schade, dass die Vereinsautonomie nicht im Vordergrund war«.
Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege mahnte nach dem Urteil zur Gelassenheit. Die Annahme, dass sich Bräuche nicht verändern dürften, sei ein historisches Missverständnis, sagte der Referent des Fachbereichs »Brauch, Tracht, Sprache«, Michael Ritter. Bräuche böten auch die Chance, Gesellschaft neu zu denken: »Wir müssen nur erkennen, dass in der Veränderung kein Verlust liegt, sondern ein Gewinn.«
Viele Männertraditionen in Deutschland sind indes, teils nach jahrelangen Debatten und Protesten, auch ohne Gerichtsurteil für Frauen geöffnet worden. So war das Bremer Eiswettfest im vergangenen Jahr erstmals keine reine Männerveranstaltung: Unter den 800 Gästen waren rund 30 Frauen. Auch beim »Blutritt«, einer Reiterprozession im oberschwäbischen Weingarten, dürfen seit November 2020 Frauen mitreiten. Zuvor war ein Antrag der Stadt, den »Blutritt« in die Liste des Immateriellen Kulturerbes aufzunehmen, an der fehlenden Offenheit für Frauen gescheitert.
Ob nun auch beim Fischertag in Memmingen Frauen gleichberechtigt teilnehmen dürfen, ist mit dem Urteil vom Mittwoch aber noch nicht endgültig entschieden. Das Landgericht ließ wegen der Bedeutung des Falls die Möglichkeit zur Revision am Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu. Der Fischertagsverein wollte nach eigenen Angaben bei einer Delegiertenversammlung am Donnerstag über diesen Schritt entscheiden. Memmingens Oberbürgermeister Manfred Schilder (CSU) betonte am Mittwoch, das Urteil des Landgerichts sei klar. »Es gilt jetzt, den Fischertag entsprechend auszurichten.« Das Heimatfest werde sich verändern. dpa
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