Macron verweigert das Pardon

Frankreichs Präsident räumt lediglich Schuld Frankreichs an den Atomversuchen in Polynesien ein

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Zuerst kam Japan, dann Polynesien. Im Anschluss an eine kurze Visite aus Anlass der Eröffnung der Olympischen Spiele verschlug es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ins französische Überseeterritorium Polynesien. Dort informierte er sich zuerst ausführlich über die wirtschaftliche und soziale Lage sowie über die Folgen der Corona-Pandemie. Er sagte weitere Hilfe seiner Regierung zu und tauschte sich mit den örtlichen Politikern über die Zukunft des Archipels aus.

Mit besonderer Spannung war erwartet worden, was er zum brisanten Thema der Atomversuche sagen würde. Hier wurden über und unter den Atollen Mururoa und Fangataufa zwischen Juli 1966 und Januar 1996 nahezu 200 Atombombenversuche durchgeführt. Diese Nuklearladungen, von denen zunächst 46 in der Atmosphäre und später 147 unterirdisch gezündet wurden, hatten verheerende Folgen für die Gesundheit der uninformierten und ungeschützten Einwohner sowie für die Umwelt. Dabei hatte allein einer der Versuche, der vom August 1968 mit einer 2,6 Megatonnen großen Wasserstoffbombe, eine 170-mal so große Wirkung wie die Bombe auf Hiroshima.

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Zunächst gab es in Polynesien wenig Proteste gegen diese Versuche, zumal Frankreich zur selben Zeit die Verkehrsinfrastrukturen sowie das Bildungs- und Gesundheitssystem spürbar ausgebaut hat. Doch der Unmut wuchs in dem Maße, wie Einwohner mit rätselhaften, bis dahin unbekannten Symptomen erkrankten und etliche an Krebs starben. Nirgends in der Welt gab es so viele Fälle von Schilddrüsenkrebs pro Einwohner wie in Französisch-Polynesien. Den Zusammenhang mit den Atomversuchen haben die Militärs lange abgestritten oder verharmlost. Nach ersten Protestdemonstrationen von Einwohnern 1973 wurden die folgenden Versuche unterirdisch gezündet, aber auch dabei gab es Wolken mit nuklear verseuchten Schwebeteilchen, die von Menschen und Tieren eingeatmet wurden oder auf Pflanzen fielen.

1992 stoppte Präsident François Mitterrand die Versuche, doch sein 1995 gewählter Amtsnachfolger Jacques Chirac nahm sie unverzüglich wieder auf und sie wurden erst im folgenden Jahr nach massiven internationalen Protesten definitiv eingestellt und durch Computersimulationen ersetzt.

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Seit Jahren fordern viele Polynesier vorbehaltlose Offenheit, eine klare Entschuldigung des Staates und angemessene Entschädigungen. Diese Erwartungen wurden jetzt von Präsident Macron nur zum Teil erfüllt. »Die Nation trägt eine Schuld gegenüber Französisch-Polynesien«, schätzte er in seiner Rede ein. Um Pardon hat er nicht gebeten, aber er versprach »Wahrheit und Offenheit« und sagte: »Viel zu lange hat der Staat dieses Problem mit Schweigen übergangen.« Das habe Wunden und Misstrauen hinterlassen. »Es steht außer Zweifel, dass diese Versuche ganz bestimmt nicht in der Region Creuze oder in der Bretagne durchgeführt worden wären.« Nach den ersten 17 Atombombenversuchen, die es zwischen 1960 und 1966 in der Sahara gab, wollte das inzwischen unabhängige Algerien eine Fortsetzung auf seinem Territorium nicht länger tolerieren. Ersatz fand Paris im dünn besiedelten Überseeterritorium Polynesien. »Man ist seinerzeit hierher ausgewichen, weil das weit entfernt war, auf verlorenen Inseln fern im Pazifik«, räumte Macron jetzt ein. 25 Jahre nach dem letzten Versuch sicherte Macron jetzt zu, dass die Archive für Historiker zugänglich gemacht werden - mit Ausnahme der auch heute noch militärisch sensiblen Daten.

Gegenüber Léna Normand, der Vizepräsidentin der nach der Zahl der Versuche benannten Vereinigung 193, die massive individuelle und kollektive Entschädigungen und eine Beschleunigung der Antragsverfahren forderte, sagte Macron zu, dass es mehr und schneller Wiedergutmachung geben werde. In den zurückliegenden Jahren wurden kaum mehr als 60 Opfer entschädigt und dies nach Verfahren, die sich oft über viele Jahre hinzogen und bei denen immer wieder versucht wurde, die Beweislast den Opfern zuzuschieben und den Zusammenhang der Erkrankungen mit den Versuchen infrage zu stellen.

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