Stauseen am Indus als saubere Energiespeicher?

Forschungsteam sieht in dem südasiatischen Flussgebiet enormes Potenzial für energetische Herausforderungen der Zukunft

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Klimawandel schreitet voran, zugleich steigt der Energiebedarf. Beim notwendigen Abschied von fossilen Quellen und der Hinwendung zu regenerativen Energien ist auch Wasserkraft im Blick. Die Wissenschaft schaut mit neuem Interesse auf die Indusregion.

Der Indus hat eine stolze Gesamtlänge von über 3100 Kilometern - das sind noch einmal gut 500 mehr als der mächtige Ganges und macht ihn zum längsten Strom Südasiens. Hinzu kommen mehrere Nebenflüsse, die ebenfalls im westlichen Himalayagebiet entspringen und sich im Oberlauf mit ihm vereinigen. Der gesamte Einzugsbereich umfasst mehr als eine Million Quadratkilometer und erstreckt sich über den größten Teil Pakistans, den indischen Teil Kaschmirs sowie einige angrenzende Gebiete Afghanistans und Chinas.

Die linke Zeitung zur rechten Zeit

Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.

 

Rund 300 Millionen Menschen leben in enger Wechselwirkung mit diesem Flusssystem. Dass ein Forschungsteam des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Österreich jetzt dessen Eignung hinsichtlich energetischer Herausforderungen der Zukunft näher untersucht hat, verwundert darum nicht. Die Wissenschaftler*innen kamen dabei zu dem Resultat, dass die Energiespeicherung mittels Wasserkraftanlagen nirgendwo auf dem Erdball so kostengünstig umsetzbar wäre wie dort. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Teammitglieder in einem Beitrag für das Fachmagazin »Journal of Energy Storage« aufbereitet.

Verwiesen wird von den Autoren der Studie darauf, dass die zum Abbremsen des Klimawandels notwendige Energiewende ohne Wasserkraft nicht zu erreichen ist. Allerdings zeichne sich global bei deren Ausbau in den nächsten zehn Jahren eine Verlangsamung ab. Zugleich gebe es Pläne für Tausende neue Staudämme. Daraus leiten sich Prognosen ab, die in der kommenden Dekade einen Ausbau der weltweiten hydroelektrischen Kapazität von derzeit 1200 auf 1700 Gigawatt sehen. Gerade Pakistan wird in diesem Zusammenhang ebenso wie der Balkan oder Äthiopien genannt. Noch sei ein immenser Teil des Potenzials, welches das Indussystem biete, aber gar nicht erschlossen, heißt es. Die großen Höhenlagen und immensen Wassermengen machten das Gebiet nicht nur für die »klassischen« Staustufen mit Wasserkraftwerken interessant, sondern auch für die Energiespeicherung. Während die Erstgenannten üblicherweise direkt am Fluss liegen, könnten die saisonalen Speicheranlagen auch in einiger Entfernung angelegt werden, sofern dort ein hinreichender Höhenunterschied existiert.

Eben das »Saisonale« ist ein wichtiger Aspekt in den Betrachtungen. Jahreszeitlich gibt es bedeutende Schwankungen der Wassermenge, die der Fluss durch das Gebiet bringt. Während er durch die Schneeschmelze im Himalaya zum reißenden Strom wird, nimmt seine Mächtigkeit im Winter und den Wochen vor dem Monsun deutlich ab. In der Regenzeit schwillt er dafür wieder an. Der fortschreitende Klimawandel wird diese Dürre- und Flutperioden teilweise noch verstärken. Erst ein Jahrzehnt ist es her, dass weite Teile Pakistans in katastrophalem Ausmaß unter Wasser standen.

Julian Hunt, leitender Autor der Studie, sieht beim Indusbecken »gute Lösungen für langfristige Energiespeicherung«, was er vor allem an den geringen Kosten festmacht. Mit im Schnitt einem US-Dollar pro Megawattstunde für konventionelle Wasserkraft und zwei Dollar bei den saisonalen Pumpspeicheranlagen sei das so preiswert umsetzbar wie nirgendwo sonst. Zugleich würden diese Ausgaben nur bei einem Bruchteil dessen liegen, was die Energiespeicherung mittels Batterien koste - da müssen im Schnitt 100 Dollar pro MWh aufgewendet werden.

Hohes Bevölkerungswachstum, fortschreitende Urbanisierung, veraltete Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft, ökologische Probleme und zu geringe Kapazitäten für Wasserspeicherung kommen entlang des Indus zusammen, merkt das Autorenteam an. Was aber ebenso hineinspielt, ist eine politische Komponente - Wasser ist, wie in vielen Gegenden weltweit, in Südasien Konfliktstoff. Gerade beim Indus, der sich zwischen den verfeindeten Nachbarn Pakistan und Indien schlängelt. Gleich nach der Teilung des früheren Britisch-Indien 1947 hatte Indien den Pakistanis temporär die Wasserzufuhr weitgehend gekappt. Die pakistanische Regierung schaltete die Weltbank als Mittler ein, im Ergebnis entstand ein Abkommen: Der Indus Water Treaty (IWT) wurde am 19. September 1960 vom indischen Premier Jawaharlal Nehru und dem pakistanischen Militärmachthaber Ayub Khan unterzeichnet. Laut IWT hat Pakistan Anspruch auf das Wasser aus dem Hauptarm des Indus und den nordwestlichen Zuflüssen Jhelum und Chenab, während Indien sich bei den östlicher gelegenen Zuflüssen Ravi, Beas und Sutlej bedienen darf. Auch die Wasserspeichermengen sind festgeschrieben. Dass der IWT drei Kriege und weitere militärische Konfrontationen überdauert hat, sei bemerkenswert, würdigte nach 60 Jahren Spannungen das indische Nachrichtenportal »The Wire« im vorigen September. Gleichwohl sei in jüngster Zeit ein verstärkter »Wasser-Nationalismus« auf beiden Seiten zu spüren - mit vereinzelt schrillen Tönen. In diesem größeren Kontext würde absehbar auch die konkrete Umsetzung dessen, was das IIASA-Team jetzt angedacht hat, nicht ganz einfach werden. Zumal mit China, das am Oberlauf des Indus in Tibet ein erstes Wasserkraftwerk errichtet hat, eine weitere Partei in den Konflikt eingetreten ist.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.