Göttlich gewürdigt

Eine war’s 276

  • Stefan Raguse
  • Lesedauer: 3 Min.

Trotz ihrer beeindruckenden Biografie war ihr Name der Welt lange unbekannt - während anderer Figuren des Widerstands durchaus gedacht wurde. Hat die Nachkriegsgesellschaft ihr die gebührende Ehre nicht zuteilwerden lassen, weil diese junge, schlaue und erfolgreiche Frau nicht dem Stereotyp von Juden entspricht?

Geboren wurde sie 1924 in Minsk. Auf dem Gymnasium hatte sie gute Noten. Als überzeugte Kommunistin leitete sie eine Pioniereinheit und war Mitglied des Schulkomitees »Komsomol«. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 war sie gezwungen, mit ihrer Mutter im Minsker Ghetto zu leben. Von dort wechselte sie heimlich auf die deutsche Seite, färbte sich die Haare blond, nahm den Namen ihrer Mutter an und gab sich als »Arierin« aus. Wenige Wochen nach der Besatzung schloss sie sich dem Minsker Widerstand an. Als Krankenschwester kümmerte sie sich um verwundete sowjetische Soldaten und half ihnen bei der Flucht. Dafür schmuggelte sie zivile Kleidung, Medikamente und - um gefälschte Ausweise zu erstellen - eine Kamera ins Krankenhaus. Als die von ihr Versorgten genesen waren, brachten andere Widerstandskämpfer sie durch die Wälder zur Partisanenbewegung.

Mit Mitgliedern ihrer Widerstandsgruppe wurde sie am 14. Oktober 1941 verraten, verhaftet und gefoltert. Am 26. Oktober 1941 wurde sie, im Alter von 17 Jahren, öffentlich gehängt. Zuvor hatten deutsche Soldaten die junge Frau mit einem Schild durch die Minsker Straßen getrieben, auf dem stand: »Wir sind Partisanen und haben auf deutsche Soldaten geschossen«. Noch am Galgen leistete sie Widerstand. So berichtete ein Zeuge ihrer Hinrichtung: »Die Henker wollten, dass sie zur Menge schaut, aber sie hat sich immer wieder umgedreht - und das war’s. So sehr sie auch an ihr gedrückt und gedreht haben, sie blieb mit dem Rücken zu den Zuschauern stehen.« Ihr würdevolles Auftreten bis in den Tod wurde zu einem wichtigen Symbol für den antifaschistischen Widerstand.

Anders als kapitalistische oder sozialistische Staaten hat die US-amerikanische Künstlerin, Feministin und Aktivistin Nancy Spero der mutigen Frau ein Andenken gewidmet. Eines ihrer Werke, »Vulture Goddess«, ist eine Collage auf Papier. Sie zeigt die junge Frau bei ihrer Hinrichtung zwischen zwei Geiern aus der ägyptischen Mythologie, die auf die Himmelsgöttin Nechbet hindeuten. Diese geleitet die Toten ins Jenseits und ist zugleich die Schutzpatronin der Mutterschaft, also des neuen Lebens. Durch die göttliche Darstellung wurde die Widerstandskämpferin symbolisch von der männlichen Dominanz und Gewalt, die sie zu Lebzeiten ertragen musste, befreit - und zur Heldin erhoben.

Rätselantworten an: nd.DieWoche, Steckbrief, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, oder an: steckbrief@nd-online.de. Einsender*innen erklären sich bei Gewinn zur Veröffentlichung ihres Namens bereit.

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