Eine Geschichte der Grausamkeit

Franzobel hat einen Roman über »Die Eroberung Amerikas« geschrieben – als postmoderne Groteske und durchaus Hollywood-affin

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 4 Min.

Angst vor komplexen historischen Themen kann dem österreichischen Romancier Franzobel niemand nachsagen. Nach dem Roman über das »Floß der Medusa« (2017), der von Théodore Géricaults legendärem, im Pariser Louvre hängenden Gemälde aus dem 19. Jahrhundert ausging, hat sich Franzobel nun einer Geschichte der Grausamkeit und des Kolonialismus angenommen.

Mit seinem neuen Roman »Die Eroberung Amerikas« schildert er die sogenannte Entdeckungsreise des Spaniers Hernando de Soto im 16. Jahrhundert, den er Ferdinand Desoto nennt. Diese Entdeckungsfahrten waren immer mit Gewalt, Vernichtung und Ausplünderung verbunden und hatten dazu noch die Absolution der Kirche, die auf diesen Schiffen mitfuhr, damit die Zwangschristianisierung gewährleistet war.

Desoto, der bereits zuvor an Kolonisierungs-Expeditionen in Panama, Nicaragua, Honduras und Peru beteiligt gewesen war und sich durch Sklavenhandel finanzierte, ging 1538 nochmals auf eine Tour über Kuba nach Florida, um dort Goldschätze zu finden, die er der indigenen Bevölkerung mordend und plündernd zu entreißen gedachte. Allerdings kam es dann doch etwas anders. Franzobel widmet sich der Vorgeschichte sowie dem Verlauf der Reise mit dem am heutigen Kenntnisstand geschulten Wissen. Dabei hat er aber nicht vor, ausschließlich auf der von ihm historisch recherchierten Zeitebene zu verharren.

Stattdessen beschreibt er mit großer Fabulierfreude facettenreich und übernaturalistisch deutlich den Lebensstil des spanischen Adels wie auch die Niederungen der Gesellschaft und lässt dabei weder Gerüche noch Krankheiten, Hygiene oder den Stuhlgang aus. Anhand eines illustren und erfundenen Figurenensembles – die Gauner Bastardo und Cinquecento, der weiße Elias Plim, ehemals versklavt in Algier und von rätselhafter Herkunft, oder der Anwalt Turtle Julius und Desoto sowie seine Frau Isabella – schildert Franzobel multiperspektivisch Vorgeschichte und Verlauf der Expedition und deren Scheitern.

Aus kolonialistischer Sicht verlief die Expedition fatal. Desoto und die meisten seiner Begleiter ließen ihr Leben, ebenso viele Indigene durch eingeschleppte Krankheiten und den Terror der Eroberer. Von Gold keine Spur – aber der Mississippi wurde entdeckt.
Franzobels derber und drastischer Humor erinnert an den Film »Jabberwocky« des Monty-Python-Mitglieds Terry Gilliam und an Quentin Tarantinos cineastische Gewaltexzesse. Ob das die Gefolgsleute einer rigiden postkolonialistischen Haltung goutieren können, ist eher zu bezweifeln. Zwar werden die Verbrechen der Kolonialisten deutlich beschrieben, doch sind die Repräsentanten der indigenen Stämme bei Franzobel nicht unbedingt Sympathieträger. Durch sein gesamtes Buch zieht sich eine postmoderne Methode permanenter Analogien zur Gegenwart, die anfangs noch amüsant ist, aber mindestens ab der Hälfte des über 500 Seiten starken Romans nicht nur langweilt, sondern in der kalauernden Art nachgerade nervt.

Eine Figur sieht so ähnlich aus wie Brad Pitt, zwei sind regelrechte Imitate von Paul Newman und Robert Redford, einer hat die Stimme David Nivens, und »die Wilden blickten drein wie Bankangestellte bei einem Überfall«. So ziehen sich Hollywood-affine Motive durch das Buch, inklusive einer Terminologie, die auch Begriffe wie »Barbecue« und »Fast Food« umfasst. Selbst die Gender-Debatten und Judith Butler schafften es in diesen Roman. Auf den letzten Seiten erreicht die desolate und schon ausgedünnte Expeditionstruppe ein Dorf mit blonden Menschen, deren Leben wie aus einem Ikea-Katalog inklusive Stecksystemen organisiert ist.

Für den Roman hat Franzobel eigenem Bekunden nach umfangreiche Recherchen und Reisen nach Peru, Kuba und Florida, an die Originalschauplätze unternommen, was dem Buch stellenweise auch anzumerken ist. Die permanenten Gegenwartsreferenzen, die bemühten Witze machen den Roman jedoch zu einer klamaukigen Humoreske. Dieser Stil desavouiert Franzobels politisch hehre Absicht, den permanenten Landraub durch weiße Siedler zu problematisieren. Das gelingt ihm nur mit einer interessanten Rahmenhandlung in der Gegenwart. Der Chef der Anwaltskanzlei Trutz Finkelstein und Partner, die in Wirklichkeit das Einmann-Unternehmen eines eigenbrödlerischen jüdischen Anwalts darstellt, der seine Ehe und das Familienvermögen für eine Klage vor dem State Supreme Court zur Rückgabe allen geraubten Landes an die Ureinwohner geopfert hat, gewinnt am Ende des Romans. Die Rückgabe des Landes hat bis Jahresende zu erfolgen, andernfalls droht eine Zahlung von 600 Billionen US-Dollar.

»Da solch eine Summe nicht aufzubringen sei, solle sich die USA verpflichten, für die nächsten vier Dekaden den aktuell bei 650 Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit 500 Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.«

Zu schön, um wahr zu sein.

Franzobel: Die Entdeckung Amerikas. Zsolnay, 543 S., geb., 26 €.

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