Chinas Städte zwischen Hitze und Fluten

Ein »Jahrtausendregen« hat in der Schwammstadt Zhengzhou schwere Schäden angerichtet

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Montag haben die Behörden sowohl die Todesfälle als auch den wirtschaftlichen Schaden der Flutkatastrophe in der zentralchinesischen Provinz Henan noch einmal deutlich nach oben korrigiert: Mindestens 302 Menschen sind ums Leben gekommen, weitere 50 gelten als vermisst. Der Sachschaden beläuft sich auf umgerechnet rund 15 Milliarden Euro.

Das tragische Kapitel hat der chinesischen Öffentlichkeit noch einmal vor Augen geführt, welches Leid Wetterextremereinisse in Millionenstädten anrichten können. In Zhengzhou, der Provinzhauptstadt von Henan, verwandelten sich unzählige Straßenzüge in reißende Flüsse, auch das erst wenige Jahre alte U-Bahn-System wurde flächendeckend geflutet.

All dies hat einer Grundsatzfrage, die ohnehin schon im Raum stand, neue Dringlichkeit verliehen: Wie klimaresistent ist die chinesische Infrastruktur? Denn die Volksrepublik arbeitet seit gut zwei Jahrzehnten an der wohl größten baulichen Modernisierung in der Geschichte der Menschheit: Das Gros an Städten wurde in Windeseile großflächig eingerissen und mit neuen Hochhaussiedlungen, modernen Straßenbelägen und U-Bahn-Systemen neu aufgebaut.

Ein paar Eckdaten verdeutlichen die Dimension: Chinas meist staatliche Bauunternehmen haben in den vergangenen 15 Jahren mit rund 38 000 Kilometern das längste Netz für Hochgeschwindigkeitszüge errichtet, weitere 70 000 Kilometer befinden sich noch im Bau. Jedes Jahr errichtet oder renoviert das Land nahezu zehn Flughäfen. Mittlerweile gibt es mehr als 90 chinesische Städte mit mehr als einer Million Einwohnern.

Als Chinas neue Millionenstädte sprichwörtlich wie Pilze aus dem Boden schossen, war Klimaresilienz noch kein Thema für die Behörden. Der Impetus, sich aus der bitteren Armut zu schuften, wog stärker. Die Urbanisierung des Landes erfolgte komprimiert in wenigen Jahrzehnten, wofür Europa ein ganzes Jahrhundert benötigte.

»Wenn sie heute noch mal die Chance hätten, die Städte neu zu planen, dann, denke ich, würden sie das ausgewogener machen«, sagte jüngst der Geologe Fatih Chan vom Ningbo-Campus der Universität Nottingham in einem Interview mit der »New York Times«. Stattdessen waren Chinas Städte lange Zeit wortwörtliche Betonwüsten aus Apartmentsiedlungen und Fabrikanlagen, wo noch vor wenigen Jahren Reisfelder lagen.

Xi Jinping, seit fast zehn Jahren an der Macht, gilt als erster Staatspräsident, der das Problem wirklich zur Chefsache erklärt hat – und regelmäßig von nachhaltiger Entwicklung und Stadtplanung spricht. Nicht zuletzt versprach er der internationalen Gemeinschaft, die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bis 2060 klimaneutral zu machen. Er hat erkannt, dass der Klimawandel wie ein Damoklesschwert über vielen anderen Problemen kreist.

Und für die Volksrepublik sind die Bedrohungen durch den Klimawandel noch akuter als für Mitteleuropa. Laut einer im Dezember vergangenen Jahres im medizinischen Fachmagazin »The Lancet« veröffentlichten Studie habe sich die Anzahl an Toten infolge von Hitzewellen in den letzten 30 Jahren vervierfacht. Und wie eine aktuelle Studie vom Ostasien-Büro der Umweltorganisation Greenpeace skizziert, zählt China zu denjenigen Ländern, die besonders vom Klimawandel getroffen werden – und dort insbesondere die urbanen Zentren. Peking würde demnach den größten Hitzeanstieg mit 0,32 Grad alle zehn Jahre erfahren, in Shanghai hingegen werde sich die Gefahr extremer Regenfälle um 25 Prozent erhöhen. Wie die Studienautoren festhalten, seien die Städte nicht ausreichend auf die kommenden Gefahren vorbereitet – etwa mit Frühwarnsystemen oder Schutzmaßnahmen gegen extreme Wetterlagen.

Dabei galt das von den Fluten getroffene Zhengzhou eigentlich als Musterbeispiel. Dort wurde die urbane Infrastruktur auf das Modell der sogenannten Schwammstadt angepasst – ein vornehmlich in China umgesetztes Konzept der Stadtplanung, anfallendes Regenwasser durch Grünflächen und urbane Feuchtgebiete aufzunehmen, statt lediglich in Kanäle zu leiten. Zudem sollen Dach- und Fassadenbegrünung zur Kühlung der Stadt beitragen. Mittlerweile wird das Konzept auch in Europa umgesetzt, etwa in Hamburg oder in der Seestadt Aspern in Wien.

In Zhengzhou wurden über 5000 Kilometer an Kanalisation gebaut und Hunderte Hektar an Parkanlagen mit Seen geschaffen. Doch den Wassermassen konnte die Schwammstadt trotz allem nicht standhalten. Dies hatte auch mit der schieren Dimension zu tun: Zu Hochzeiten fielen 200 Millimeter Niederschlag in einer Stunde – fast ein Drittel wie in einem durchschnittlichen Jahr. Laut chinesischen Experten hätte wohl keine Stadt mit solch einem »Jahrtausendregen« fertig werden können.

Wer sich durch das Archiv chinesischer Medien wühlt, findet seit Jahren Rufe von Wissenschaftlern, die mehr integrierte »Klimaresilienz« beim Bau neuer Infrastruktur fordern. Die Fluten in Henan könnten nun als Wendepunkt dafür sorgen, dass auf jene kritischen Stimmen mehr gehört wird.

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