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  • Elektromobilität, Autonomes Fahren, Verkehrspolitik

Fahrerlos mit Tempo 150

China fördert Projekte und Tests bei der Automatisierung des Verkehrs. Ziel ist die weltweite Spitzenposition

  • Fabian Kretschmer, Guiyang
  • Lesedauer: 6 Min.

Mit breitem Lächeln begrüßt Li Hongda - blaue Funktionärsjacke, rotes Parteizeichen am Revers - die ausländischen Journalisten. Wir befinden uns auf dem Firmengelände von Cherry & Wanda, eines staatsnahen Produzenten von Omnibussen. Mit den fensterlosen Hallen, verlassenen Gehwegen und verrosteten Autokarosserien erinnert das Areal ein wenig an ein bankrottgegangenes Filmstudio. Nebel und Nieselregen sorgen für zusätzliche Tristesse, und die unverputzten Häusersiedlungen am Horizont signalisieren tiefste Provinz. Doch genau hier, in der Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt Guiyang im Südwesten der Volksrepublik, locken satte Regierungssubventionen für die fahrerlose Zukunft.

»Steigen Sie ein!«, sagt der Manager und bittet in die neueste Errungenschaft des chinesischen Unternehmens: einen Stadtlinienbus, der eigenständig ohne Fahrer über die Teststrecke manövriert. »Wir können zwar nie wissen, welche Gesetzesregulierungen in der Zukunft kommen werden, aber bis auf Weiteres investieren wir alle unsere Ressourcen in einen möglichst fortgeschrittenen autonomen Bus«, sagt Li selbstbewusst. Doch bislang wirken die Versuche noch etwas schlicht: Der Bus fährt nur eine einfache Teststrecke ohne Verkehr ab, die Geschwindigkeit ist gedrosselt, und zur Sicherheit bleibt stets ein Fahrer hinterm Lenkrad.

Peking ist Zentrum der Entwicklung des autonomen Fahrens

Die wirklich federführenden Entwicklungen im Bereich autonomes Fahren finden anderswo statt, und zwar 3000 Kilometer weiter nördlich: Peking hat bereits im Dezember 2017 als landesweit erste Stadt damit begonnen, selbstfahrende Pkw auf öffentlichen Straßen zu testen. Schon damals wurden Abschnitte mit einer Länge von 105 Kilometern für Testfahrten freigegeben.

Da die Regulatoren den Autobauern eine strenge Dokumentation abverlangen, lässt sich der Fortschritt der Branche gut in empirischen Zahlen widerspiegeln: 2019 fuhren allein in der Hauptstadt fahrerlose Autos über eine Million Kilometer ab. 2020 wurden sie zudem im Kampf gegen die Covid-Pandemie eingesetzt, etwa als Essens- und Medizinlieferanten für das Haidian-Krankenhaus.

Mittlerweile haben insgesamt 27 chinesische Städte Teststrecken freigegeben. Mehr als 70 heimische und internationale Firmen experimentieren hier mit einer Flotte von rund 600 selbstfahrenden Autos. Das Ziel der Regierung ist es, bis 2025 flächendeckend Robotaxis und fahrerlose Lkw kommerzialisiert zu haben. Die für nächsten Februar geplanten Olympischen Winterspiele in Peking sollen als Schaubühne dienen, um der Welt die technologischen Fortschritte aus Fernost zu präsentieren.

Verkehr in China stellt große Herausforderungen

Doch noch steht die Branche vor massiven Herausforderungen. Im »Autonomous Vehicles Readiness Index«, einer jährlich von der Beratungsgesellschaft KPMG herausgegebenen Studie, rangiert China unter den 30 untersuchten Ländern lediglich auf dem 20. Platz. In dem Bericht werden die rasanten Fortschritte der Volksrepublik gelobt, doch gleichzeitig auch auf den chaotischen Verkehr auf chinesischen Straßen hingewiesen: »Das macht es komplizierter und herausfordernder für autonomes Fahren«, wie Philip Ng von KPMG China erläutert. Letztlich bräuchte es wohl auf den Autobahnen eine eigene Spur ausschließlich für fahrerlose Fahrzeuge.

Führender Player auf dem chinesischen Markt ist mit deutlichem Abstand der Internetkonzern Baidu, der zunächst als Online-Suchmaschine à la Google groß geworden ist und zu den drei weltweit am häufigsten aufgerufenen Websites gehört. Bereits im vergangenen Jahr hat Baidu erste Robotaxis auf Pekings Straßen eingeführt.

Zunächst mutete dies mehr wie ein PR-wirksames Technik-Gadget an: Interessierte mussten anfangs jede Fahrt reservieren und wurden stets von einem menschlichen Chauffeur hinterm Lenkrad abgesichert. Seit Mai jedoch ist der Dienst ausgeklügelter: Erstmals werden die Robotaxis als kommerzieller Service für zahlende Kunden angeboten, und statt eines Kontrollfahrers wacht nur mehr ein menschliches Auge via Remote-Zugriff. Allerdings sind die Fahrzeuge bislang nur in einem bestimmten Kiez in der Hauptstadt zugelassen.

Die mittelfristige Vision Baidus ist jedoch durchaus ambitioniert: Derzeit betreibt der Tech-Konzern 200 autonome Fahrzeuge, darunter eine kommerzielle Busstrecke im westchinesischen Chongqing. Bis Jahresende 2023 möchte man 3000 Robotaxis auf die Straßen von 30 chinesischen Städten gebracht haben. Dies fügt sich ein in die von der Zentralregierung in Peking vorgegebene Zielsetzung, dass bis 2025 die Hälfte aller verkauften Autos mit selbstfahrender Technik ausgestattet sein soll.

Die USA sind beim autonomen Fahren führend, China will aufholen

»Wir sehen China eigentlich sehr gut entwickelt beim Thema autonomes Fahren«, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach (Nordrhein-Westfalen). Weltweit sei zwar das Silicon Valley in Kalifornien führend, insbesondere in Form der Google-Tochter Waymo. Doch nach den großen US-amerikanischen Playern folgen schon bald Baidu und das in Guangzhou ansässige Unternehmen Pony.ai.

»Ein großer Vorteil, den chinesische Unternehmen haben, ist die starke Unterstützung der Regierung«, sagt Experte Bratzel. Damit meint er nicht nur die flächendeckenden Subventionen, sondern vor allem eine offene und rasch angepasste Gesetzgebung. Zudem gebe es stets den politischen Druck auf die meist staatsnahen Betriebe, im Dienste der nationalen Interessen untereinander zu kooperieren und Ressourcen zu bündeln.

Außerdem wollen Lokalregierungen ihre Städte bei Zukunftstechnologien als führende Wirtschaftsstandorte präsentieren. »Autonomes Fahren ist die Zukunft«, sagt etwa Sun Wen von der Stadtverwaltung im zentralchinesischen Nanjing: »Wir sind sehr erpicht darauf, die Technologie einzusetzen, um das Leben der Leute zu verbessern.« Man verspreche sich vor allem mehr Verkehrssicherheit sowie eine effizientere Verkehrsplanung. Sun geht davon aus, dass bis 2030 das Gros an Bussen im öffentlichen Nahverkehr voll automatisiert fahren werde.

Unweit von Nanjings futuristischem Stadtzentrum entstand auf einer Insel im Jangtse-Fluss eine der ersten Teststrecken des Landes. Auf Straßenabschnitten von über 15 Kilometern Länge, assistiert von 500 5G-Basisstationen, chauffieren längst unbemannte Busse des Start-ups We Ride täglich Hunderte Angestellte zwischen den gläsernen Bürogebäuden hin und her. Bis zu 40 Stundenkilometer dürfen die himmelblauen Vehikel fahren - sie kommen längst ohne eingebaute Lenkräder oder Gaspedale aus. Im Fachjargon spricht man vom vierten von insgesamt fünf Automatisierungsgraden: Das System fährt bereits komplett selbstständig, nur müssen die Straßen zuvor für die Software kartografiert werden.

»Wir wollen, dass die Regierung unsere Busse einsetzt - etwa in Industrieparks oder an touristischen Sightseeing-Orten«, sagt Wang Yan, die für We Ride Öffentlichkeitsarbeit macht. Eine weitere große Anwendungsnische sieht sie bei den »letzten drei Kilometern zwischen U-Bahn-Station und Haustür«, für die künftig autonome Busse eingesetzt werden sollen. Dass dies bald möglich wird, daran arbeiten bei We Ride insgesamt 400 Angestellte. Fast neun von zehn sind Ingenieure.

Die chinesische Regierung bereitet derweil eine landesweite Gesetzgebung rund um das autonome Fahren vor. Bis dahin sind die einzelnen Lokalverwaltungen implizit dazu angehalten, im rechtlichen Graubereich die Technologie mit aggressivem Testen weiter voranzutreiben - vornehmlich, um im wirtschaftlichen Wettkampf mit den USA die Pole-Position zu erhaschen.

In der ostchinesischen Provinz Zhejiang etwa wird an einem Autobahnabschnitt gearbeitet, auf dem fahrerlose Pkw bis zu 150 Kilometer pro Stunde fahren dürfen und gleichzeitig via Fernladegeräte, die auf der Straßenoberfläche installiert werden, ihre Batterien aufladen können.

Solche Vorstöße werden auch deshalb von der Regierung gefördert, weil sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat: China, der längst mit Abstand größte Automarkt der Welt, konnte bei Verbrennungsmotoren niemals international konkurrieren. Bei der mobilen Zukunft hingegen möchte man ganz vorne mitmischen - so wie man das bei Elektroautos längst praktiziert.

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