»Das hier ist unser Land«

Die Bauern eines Agrarbetriebs im Südwesten Syriens zeigen sich einfallsreich: Weil der Strom häufig ausfällt, haben sie Solarmodule gekauft. Mit der erzeugten Energie betreiben sie eine Pumpe, um ihre Olivenbäume zu bewässern

  • Karin Leukefeld, Bassir
  • Lesedauer: 9 Min.
Hussam Al Ayazra, Makram Saloum und Hisham Al Ayazra (von links nach rechts) stehen auf ihrem Feld bei Bassir. Die fruchtbaren rötlichen Böden in der Region sind auf vulkanische Tätigkeit zurückzuführen.
Hussam Al Ayazra, Makram Saloum und Hisham Al Ayazra (von links nach rechts) stehen auf ihrem Feld bei Bassir. Die fruchtbaren rötlichen Böden in der Region sind auf vulkanische Tätigkeit zurückzuführen.

»Hier, das werden Sie brauchen.« Hisham Al Ayazra hält mir eine Schirmmütze hin und zwinkert vergnügt mit den Augen. »Es ist heiß da draußen auf den Feldern.« Rasch wechselt er noch ein paar Worte mit seiner Mutter und seiner Schwester, die das Mittagessen vorbereiten wollen. Mindestens zwei Stunden werde man auf den Feldern sein, sie sollten sich Zeit lassen. Dann verlässt der kleine Trupp den elterlichen Hof. Das einfache Haus mit dem großen Garten liegt in Bassir, etwa 80 Kilometer südlich von Damaskus im Hauran, der zur Provinz Deraa gehört. Das Thermometer zeigt 38 Grad.

EU-Sanktionen, Energiemangel und Solaranlagen

Der Rat der Europäischen Union hat 2011 erstmals Sanktionen gegen Syrien »als Reaktion auf die gewaltsame Unterdrückung der Zivilbevölkerung« verhängt. Sie richten sich auch gegen Unternehmen und bekannte Geschäftsleute. Aktuell gibt es 283 Personen, deren Vermögenswerte eingefroren und gegen die Reisebeschränkungen verhängt wurden, und 70 Organisationen, deren Vermögenswerte eingefroren wurden, so der EU-Rat in einer Pressemitteilung. Am 27. Mai 2021 wurden »die restriktiven Maßnahmen der EU gegen das syrische Regime« um ein weiteres Jahr verlängert. 

Der EU-Begriff »restriktive Maßnahmen« wird bei den Vereinten Nationen auch als »Straf- oder Beugemaßnahmen« übersetzt. Auch der Begriff »Sanktionen« wird für dieses Mittel der Außenpolitik benutzt, das in der UN-Charta ausschließlich dem UN-Sicherheitsrat vorbehalten ist.

Von den westlichen Industrienationen in der EU und den USA werden einseitige Strafmaßnahmen eingesetzt, vor allem wenn andere Staaten sich deren Forderungen nicht beugen wollen. Die wirtschaftlichen Folgen seien gleichbedeutend mit den Folgen eines Krieges, heißt es bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Vorteil sei, dass der Staat, der die Sanktionen verhänge, nicht seine Soldaten schicken müsse, um die Zerstörung eines Landes zu erreichen. Die Sanktionen aus dem Jahr 2011 richteten sich unter anderem gegen die syrische Ölindustrie. Syrien hat geringe Vorkommen an Öl und Gas, die vor allem der Versorgung der Bevölkerung mit Strom und Kochgas, Benzin und Diesel dienten. Nur einen geringen Teil des Öls konnte Syrien verkaufen. 

Die syrischen Ölquellen im Nordosten wurden mit Beginn des Krieges zunächst von der »Freien Syrischen Armee«, dann vom »Islamischen Staat«, den kurdisch geführten »Syrischen Demokratischen Kräften« und schließlich der US-Armee besetzt. Die meisten Anlagen sind ganz oder teilweise zerstört. Der Krieg und der Verlust der Ressourcen führen im ganzen Land zu einer enormen Energieknappheit. 

In Idlib und den von der Türkei besetzten Gebieten sorgen ebenso wie im Nordosten des Landes ausländische Hilfsorganisationen und Solidaritätsgruppen für die Verteilung von Solaranlagen. Solarlampen sind in privaten Haushalten und Flüchtlingslagern im Einsatz. Im Auftrag der Bundesregierung hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Kooperation mit deutschen Firmen und den UN das Flüchtlingslager Zaatari in der jordanischen Wüste mit einem Solarkraftwerk ausgestattet. kl

Hisham ist 48 Jahre alt und Agraringenieur. 18 Jahre hat er für das syrische Agrarministerium gearbeitet, bevor er 2016, nach seiner Pensionierung, Partner in einem Unternehmen für landwirtschaftliche Geräte wurde. »Wir hofften auf ein Ende des Krieges und viele Bauern brauchten neue Geräte und Maschinen«, erklärt er seine Entscheidung, sich mitten im Krieg selbstständig zu machen. Er habe Syrien nie verlassen wollen, seine Frau arbeite bei einer ökumenischen Hilfsorganisation, und außerdem wollte er das Land bearbeiten, das sein Vater und dessen Bruder ihm und seinem Bruder überlassen hatten. Vater und Onkel hatten vor 40 Jahren mit der Landwirtschaft begonnen. Heute liefert der anerkannte Betrieb sein Gemüse bis in die arabischen Golfstaaten.

Felderwirtschaft auf dem Hauran

Der Weg zum Land der Familie Al Ayazra führt über eine Landstraße, die rechts und links von Weizenfeldern gesäumt ist. Ein Schild weist auf eine Militärbasis hin, die sich irgendwo hinter den Feldern verborgen hat. Kurz vor der Autobahn, die Damaskus mit Deraa und dem Grenzübergang Nassib/Al Ramtha nach Jordanien verbindet, biegt der Wagen rechts auf einen Feldweg ein. Weiter geht es durch Felder, bis Hisham den Wagen rechts in einen Olivenhain einweist.

»Das hier ist unser Land«, sagt er und blickt sich um. »Auf diesen 15 Dönüm stehen nur Olivenbäume.« Ein Dönüm umfasst etwa 1000 Quadratmeter und ist eine Maßeinheit für Grundbesitz, die aus dem Osmanischen Reich stammt. Bis heute wird damit Grund und Boden in der Levante bis in die arabischen Länder Nordafrikas gemessen. »185 Dönüm haben wir dazugepachtet«, fährt Hisham fort. Nicht der Staat, sondern Privatleute besäßen den Boden in Deraa. »Viele Landbesitzer wollen ihren Boden nicht selbst bebauen, also verpachten sie ihn für ein oder auch mehrere Jahre.«

Auf dem gepachteten Boden wird vor allem Gemüse angebaut: Grüner Paprika, Kartoffeln und Auberginen, Kichererbsen und Linsen, auch Weintrauben gibt es. Im nächsten Jahr werde die Frucht geändert, erklärt Hisham: »Dann bauen wir Weizen und Gerste an, oder wir säen nur Gras aus, damit sich der Boden erholen kann. Und die Schafherden haben zu fressen.«

»Außerdem prüfen wir den Markt«, wirft Hussam, der jüngere Bruder, ein. »Wir prüfen die Nachfrage und die Preise und entscheiden, ob wir Gurken und Tomaten, Mais oder etwas anderes in der aktuellen Saison anbauen.«

Lange vor dem Krieg hat Hussam französische Literatur studiert und wollte Touristenführer werden, erzählt er. Dann arbeitete er im Informationsministerium der syrischen Regierung und begleitete französischsprachige Journalisten und Delegationen. Die aber sind rar geworden, sodass er die frei werdende Zeit nutzte, um eine Zusatzausbildung als Touristenführer zu absolvieren.

»Vielleicht kommen die Touristen ja einmal wieder«, lacht er. »Die Geschichte von Bassir geht bis in die vorrömische Zeit zurück«, erklärt Hussam. »Unsere Wurzeln sind in Byzanz, zwei Kirchen gab es hier, die zerstört wurden. Dann wurde Bassir eine römische Militärbasis, die den Weg von Bagdad durch den unwegsamen Hauran zum Mittelmeer sicherte.« Die meiste Zeit verbringt Hussam inzwischen mit seinem Bruder Hisham auf dem Familiengrund und -boden. Neuerdings versucht er sich an der Veredelung von Obstbäumen und Beeren, um bessere Qualität und spezifische Sorten zu züchten.

Sonne gibt es genug

Die Olivenbäume der beiden Brüder sind 25 Jahre alt und bringen gute Ernte, sagt Hisham. Auf die Frage, wie sie die Oliven und Felder bewässern, weist der Bauer nach Nordwesten, wo sich am Horizont stolz der Jbeil Scheich erhebt. Wasser gäbe es genug, denn Jbeil Scheich, der Berg des Scheich auf dem Golan, sei nicht weit. Der Berg trägt den Namen, weil die Spitze bis in den Sommer mit Schnee bedeckt ist und das Weiß an die weiße Kopfbedeckung eines muslimischen Predigers erinnert. Der Schnee sei zwar in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, doch im Frühling gebe es noch immer reichlich Schmelzwasser, das den Golan und die fruchtbaren Felder auf dem Hauran bewässere, erklärt Hisham. Im Olivenhain befinde sich ein Brunnen, der gut 200 Meter tief sei. Der sei immer gut gefüllt, doch müsse das Wasser mit einer Pumpe aus dem Boden geholt werden.

Mit der Energie aus den Solarmodulen auf den Olivenbaumfeldern wird in Bassir die Pumpe angetrieben, die das Wasser aus der Tiefe auf die Gemüsefelder bringt.
Mit der Energie aus den Solarmodulen auf den Olivenbaumfeldern wird in Bassir die Pumpe angetrieben, die das Wasser aus der Tiefe auf die Gemüsefelder bringt.

»Vor dem Krieg hatten wir immer Strom, 24 Stunden, sieben Tage die Woche«, erklärt Hisham. »Nun haben wir oft gar keinen Strom und bräuchten einen Generator, um das Wasser aus dem Brunnen zu pumpen.« Es gebe aber auch kaum »Masud« (Heizöl), um den Generator anzutreiben. Öl sei extrem knapp, da die syrischen Ölquellen im Nordosten des Landes von den US-Amerikanern besetzt seien. Hisham weist auf große Gerüste, die zwischen den Olivenbäumen stehen und Sonnenpanelen tragen. »Im letzten Jahr haben wir Solarmodule gekauft, was sehr teuer war. Vor dem Krieg hat der Staat den Kauf von Solaranlagen unterstützt, die viele Häuser für die Warmwasserbereitung angeschafft haben. Doch nun hat der Staat kein Geld mehr dafür, also haben wir die Module selbst bezahlt.« Zwölf Gerüste mit jeweils 28 Panelen à ein mal zwei Meter stehen im Olivenhain verteilt. »Sonne gibt es genug, und jetzt können wir unseren eigenen Strom erzeugen, um die Pumpe zu betreiben und das Wasser zu den Olivenbäumen und auf die Felder zu leiten.«

Hisham winkt einen jungen Mann herbei, den er als Marwan vorstellt. Marwan studiert an der Universität von Damaskus Agrarwissenschaften und verbringt ansonsten jede freie Zeit auf den Feldern. »Er hat die Gerüste so konstruiert, dass die Paneelen sich nach der jeweiligen Sonneneinstrahlung neigen«, erklärt er, während Marwan eine Kurbel betätigt und die Sonnenpanelen auf einem der Gerüste hin und her neigt. Der Längsseite nach sind die Panelen zwischen Nord und Süd ausgerichtet. »Morgens werden sie nach Osten ausgerichtet und nachmittags nach Westen. Mittags stehen sie waagerecht und fangen die volle Sonnenenergie ein.« Die so entstehende Energie treibt eine Pumpe an, die das Wasser aus 200 Metern Tiefe hervorpumpen kann.

Sparsame Wasserzufuhr

»Wir benutzen Tröpfchenbewässerung«, erklärt Hisham und läuft mit großen Schritten voraus in den Olivenhain. Der Boden ist von einem Netz schwarzer, dünner Schläuche bedeckt. Die gerade verlegten Schläuche transportieren das Wasser vom Brunnen von einer Baumreihe zur nächsten. Um jeden Baumstamm wiederum ist ein Schlauch im Kreis gelegt, der winzige Öffnungen hat. Die Wasserzufuhr ist so eingestellt, dass durch je eine der kleinen Öffnungen pro Stunde ein Liter Wasser in das Wurzelwerk tropft. Pro Baum sind acht Öffnungen freigegeben, so dass das Wurzelwerk während des Tages mit insgesamt acht Liter Wasser versorgt wird. Je nach Witterung, ob Sommer oder Winter, verändert sich die Wassermenge, erklärt Hisham. Wichtig sei auch, die Wasserzufuhr früh am Morgen zu öffnen.

Weiter geht es bis an das Ende des Olivenhains. Hinter einem aufgeschütteten Erdhügel breiten sich weite Felder mit langen Reihen niedrig wachsender Pflanzen aus. Dawischen ziehen sich jeweils die schwarzen Bewässerungsschläuche entlang. »Gurken«, sagt Hisham, während sein Bruder Hussam schon unter dem Blattwerk nach Früchten sucht und kurz darauf zwei Hände voll kleiner, schmackhafter Gurken verteilt. Auf dem hinteren Feld ernten Frauen und Männer die Gurken ab, die in einem Zelt nach drei Größen sortiert und dann in Kartons verpackt werden. »Die großen und mittleren Gurken sind für den lokalen Markt«, erklärt Hussam und beißt herzhaft in eine Gurke. »Die kleinen Gurken sind für den Export in die Golfstaaten.«

Gemüse für die arabischen Golfstaaten

Export in die Golfstaaten? Wie kann das gehen, wo Syrien Sanktionen unterliegt und sämtliche Grenzübergänge in Richtung der Golfstaaten von US-Truppen blockiert sind? »Wir verkaufen die kleinen Gurken für den Export auf dem ›Souk al Hal‹, dem Großmarkt in Damaskus«, sagt Hisham. »Die Händler senden das Gemüse mit Kühlwagen über Homs, Tadmor, Deir Ez-Zor durch die Wüste zur Grenze Al Bukamal am Euphrat.« Dort stünden keine US-Truppen. »Die wird von Syrien und dem Irak kontrolliert und von dort fahren die Lastwagen weiter nach Bagdad, Basra oder nach Saudi-Arabien.« Ein großer Umweg.

Ein Mann mit tief sitzendem Sonnenhut kommt herüber und begrüßt die beiden Brüder mit freundschaftlichem Schulterklopfen. »Das ist Makram Saloum, mein Partner«, stellt Hisham den Mann vor. Beide beginnen unmittelbar darauf ein lebhaftes Gespräch und stapfen in den tiefen Bodenrillen voraus auf die andere Seite des Feldes. Die 14 Arbeiter und Arbeiterinnen kämen täglich, bis auf das Wochenende, um die Felder abzuernten, erzählt Hussam. »Sie kommen aus Kisweh, das liegt auf dem Weg zwischen Bassir und Damaskus.« Ein Minibus bringe die Arbeiter früh am Morgen aus Kisweh zu den Feldern und hole sie am Nachmittag wieder ab. »Sie ernten alles und arbeiten gut - das ganze Jahr hindurch«, sagt Hussam. Nur der Weizen wird mit Maschinen geerntet, die die Bauern bei zentralen Maschinenhöfen des Agrarministeriums ausleihen können.

Kompost statt Dünger vom Weltmarkt

Hussam nimmt das Motorrad vom Partner seines Bruders und verschwindet zwischen den Feldern. Hisham und Makram führen mich weiter zu einer Mulde, aus der es heftig riecht. Es handelt sich um eine Kompostmulde, die Makram Saloum angelegt hat. Die Mulde ist mit schwarzen Plastikplanen ausgelegt, darin steht etwas Wasser, über dem unzählige Insekten kreisen. Vom Wasser halb bedeckt liegen einige Säcke mit Grünabfall, der unter der heißen Sonneneinstrahlung langsam vergärt. Natürlicher Dünger entsteht.

»Früher haben wir den Dünger vom Agrarministerium bekommen«, erklärt Hisham. Doch die Sanktionen verhindern, dass Syrien auf dem internationalen Markt Dünger einkaufen kann. »Einerseits gibt es keine US-Dollar, die man auf dem internationalen Markt braucht. Dann steht die syrische Zentralbank unter Sanktionen und kann im Handel nicht tätig werden. Und drittens kann man aus Ammoniumnitrat, einem wesentlichen Bestandteil von Dünger, auch Sprengstoff machen. Dünger steht auf der Sanktionsliste, also stellen wir unseren eigenen Dünger her.«

Makram und Hisham lachen: »Wir finden immer eine Lösung, um unsere Arbeit machen zu können«, sagt Hisham. »Wir produzieren Nahrungsmittel, die nicht nur unser Dorf, sondern auch Damaskus und den ganzen Mittleren Osten ernähren.« Dann schultert er eine Kiste mit Gurken und geht zurück in Richtung Olivenhain. Sein Bruder Hussam, der mittlerweile zurückgekommen ist, trägt einen großen Sack mit Kichererbsen auf dem Kopf, den er von einem anderen Feld geholt hat. Die runden Bohnen werden zermahlen und zu Hummus verarbeitet, eine traditionelle Speise, die - mit einem Löffel Ölivenöl - auf keinem arabischen Speisezettel fehlt.

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