Oh, Salzburg, schönste Stadt!

Eine bescheidene Eloge zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 6 Min.

In schönen Städten gafft’s sich gut. Sind so schöne Bauten, schöne Berge drum herum, schöne Flüsse schlängeln sich an schönen Kirchen, schöne Mädels und Jungs flanieren, schlängeln sich so schöne Kleider über so schönen Füßen und Hüte an so schönen Köpfen, so schöne Janker und Gamsbärte, gibt’s so schöne Brücken und Geländer. Haben alles der Herrgott und seine Stellvertreter über einige Äonen da zusammengetan, muss man anstarren, beehren, schlafen gehen. Wieder aufstehen, reinsaugen die gute, gute Luft.

Salzburg ist Kurregion. Neben dem Festspielhaus, einer Mehrzweckhalle aus den 50er Jahren, befindet sich eine feudale Pferdetränke unter einer Klippe. Von dieser Klippe stürzen sich regelmäßig Menschen, um auf oder neben der Pferdetränke ihr einsames Trinken zu beenden.

Denn in Städten wie Salzburg wurde die Alkoholkrankheit erfunden. Wer nur noch das Schöne um sich herum mit sich selbst und den Selbigen zu bereden hat, weil zur Kontaktaufnahme mit anderen Menschen unfähig, braucht schon morgens Stigl-Bier. Das Saufen wird zur Volkskrankheit, wenn sich alles Äußere nur nach mehreren Zirbenschnäpsen verhandeln lässt. Wer nicht säuft, wandert aus der Stadt in die schönen Berge und vergewissert sich, wie schön und gesund alles um und mit ihm quillt und fließt.

Seit dem 17. Juli finden die Salzburger Festspiele statt. Die schönen Schieferberge um Salzburg heißen Alpen, sie fangen die schönen Wolken über der Stadt. Hoffnungslos einsam irre ich in Salzburg durch den Regen, aus einer Kunstgalerie kommt ein Mann und schenkt mir einen Golfsportregenschirm von Nike, der kostet bei Amazon 60 Euro. Muss ich nicht zurückgeben, sagt er.

»Haus für Mozart« heißt die Mehrzweckkulturhalle neben der Mehrzweckfestspielhalle neben der Pferdetränke unter der Klippenspringerklippe. Eines Festspielabends spielt dort statt der erkrankten Martha Argerich der Pianist Igor Levit zusammen mit dem Geiger Renaud Capuçon Klaviersonaten von Schubert, Brahms und Beethoven. Ich hoffe, nicht geschnarcht zu haben. Die Menschen neben mir haben die dreistelligen Beträge für diese Musik aus lebenden Menschen von der Steuer abgesetzt. Atemmasken stickstoffen eine Müdigkeit herbei, die unbequemen Sitze sind gewollt, damit man dableibt. Zu Beethoven wache ich wieder auf, den hat Igor Levit wirklich gut und lange geübt, 2019 spielte er alle Sonaten ein – ich klatsche.

Nachts bin ich nicht müde, weil ich, im dunklen Konzertsaal schwitzend und zwerchfellschnappatmend in die gesunde Mikroplastik hechelnd, den Komfort des Kurzschlafes genießen darf. Vergnügensbildung ist Vermögensbildung, sie beginnt, wenn die Eventgastronomie jämmerliche Portionen zum Achtzehnfachen des Einkaufspreises ausgibt.

Teodor Currentzis, ein Dirigent, trägt Skinny Jeans, das sind enge Hosen aus dem späten 20. Jahrhundert. »Mozart spielt er zu energisch, brutal, im ersten Satz an der Grenze zur Unmusikalität tendierend spitze Tempi« – so rezensieren meine Kollegen und werden auch nicht müde. Auf Servus TV, dem Kanal von Red Bull, läuft für die Schlaflosen eine Bergdoku über den Traunstein. Die Schönheit des Berges multiplizieren zwei Extremkletterer: Tolle Aussichten, schöne Natur, mächtig, wunderbar. Und Christoph Ransmayr, Schriftsteller von Welt und Heimat, ergänzt: »Natürlich ist der Berg ein Held!« Der Berg trägt keine engen Hosen.

Im schönen Österreich erhält jeder Bürger zehn Corona-Heimtests im Monat kostenlos, das Ergebnis lädt man via App zum Staat hoch. Ist’s ausgetestet, darf man im Testcenter selbst testen und gilt dann für 48 Stunden als sicher.

Nach der Premiere des »Jedermann« gab es in dieser Saison eine doppelt geimpfte, aber positiv getestete Person. Deswegen hustet man bei den Festspielen in Masken – drinnen und draußen, für die Musiker. Die An- und Abreise aus Bayern begleiten Bundespolizisten in jedem Zugabteil, an der Grenze gehen die Türen zu, sie kontrollieren elektronisch Ausweise und Tests. Die bayerische Ordnungsmacht wacht an jeder Ecke, hier ist man sicher vor Viren, Menschen, Ambivalenzen und sogar Widersprüchen.

In Salzburg ist dagegen Prüffestival; Nachweise, Registrierungen, QR-Codes werden für die Nachwelt sorgsamst archiviert. Meine journalistische Seriosität ist k.u.k-offiziell – ich war tatsächlich, wo ich war, in den Akten.

Selbstverständlich war ich auch in der berühmten Getreidegasse. So heißt eine Altstadtrinne, die es genau so in jedem Disneyland Mitteleuropas gibt, Mozart ward in der Hausnummer 9 geboren. McDonald’s ist da, Douglas, Schmuckläden, billige Folkloreartikel, Pralinen und dazwischen die Karawanen aus leeren Blicken, die schmiedeeiserne Ladenschilder angaffen. Man sollte zum »Sporer« abbiegen, eine winzige Budike und Spirituosenmanufaktur, die hier seit mehr als 100 Jahren überlebt. Den besten Americano (Wermut, Bitter, Sprudel) meines Lebens trinke ich hier und am Tresen stehen nur alte Einheimische. Ein pensionierter Aufzugsmonteur erzählt, wie seine Mutter ihn als Kind mit dem Gürtel schlug, er trat deswegen aus der Kirche aus. Stolz zeigt er seine Eintrittskarte, heute Abend geht er zu Red Bull Salzburg gegen FC Barcelona.
Und nur 15 Euro hat er dafür bezahlt, knappe 450 Euro kostet meine Karte für »Così fan tutte« im Freiverkauf. Mozarts Operettenbums mit schönen Liedern darf ich nachmittags zur Generalprobe begutachten. Stark gekürzt wegen Pandämonium sind zweieinhalb Stunden immer noch zu lang. Weil die Inszenierung irgendeines berühmten Einflugregisseurs so schäbig ist, kleben meine Augen an der unglaublich schönen Lea Desandre, weil sie gut singen kann – so machen es alle. Sie gibt das verruchte Dienstmädchen Despina nach den Regeln der Commedia dell’arte. Noch schöner singt das Restensemble. Und der »Sporer« hat auch schon auf und es gibt Sommerpunsch.

Dauernd regnet es in Strömen, in Salzburg erfand man dafür das Wort »Schnürlregen«. Merke: Alles muss besonders sein, von der eigenen Identität der bayerischen Österreicher. Die originalen Mozartkugeln sind von der Salzburger Konditorei Fürst, die besten gibt’s aber von Reber aus Bad Reichenhall (Bayern). Abends ist Presseempfang, 18 Uhr ist annonciert, ich bin um 19 Uhr da, die Kollegen nicht. »Das ist unser Festspielwein« – den trinke ich, gucke auf der Dachterrasse des Toskanini-Hofes übers Altstadtpanorama, scherze mit der Videocrew einer anstehenden Händel-Oper.

Irgendwann kommt doch noch ein Kollege vom Bayerischen Rundfunk, der keinen Regenschirm dabei hat. Ob er auch immer nach der Pause geht, frage ich ihn im Scherz, er findet das unprofessionell. Ob er keinen Regenschirm hat, frage ich ihn und bringe ihn zum Konzertsaal. Ich sage: »Da hat Sie der Sozialismus noch mal ins Trockene gebracht!« Er ist sichtlich angeekelt.

»Il trionfo del Tempo e del Disinganno« hat der kanadische Regisseur Robert Carsen Händel auf das Mittelmaß süddeutscher Landestheater runtergerechnet. »World’s Next Topmodel« leuchtet in Lettern über der Bühne – ein Modelwettbewerb illustriert die Noten.

Es fallen Kostüme und auch Sätze. Unter guter Musik kann jede Mode präsentiert werden. Vielleicht verstehen Geringverdiener ja auf diesem Wege ein 300 Jahre altes Singspiel, das sie niemals zu Gesicht bekommen werden. 450 Euro kostet so eine Karte in der ersten Kategorie, wenn man die Augen schließt, ist sie das auch wert. Leute gehen, Leute schlafen ein, so geht’s zu im Klub der Hochkulturträger.

Lärmschutz, Verkehrsberuhigung und Umweltsorgen waren der Grund für die Errichtung von elektronisch versenkbaren Pollern an allen Grenzen der Altstadt Salzburgs. Niemand fährt da einfach rein, nur die Reichen.

Sitzen sechs weitäugige Jurastudenten aus Hamburg in einer Cocktailbar. Haben in einem Sprühfläschlein Kokain in Wasser gelöst, lassen es rumgehen. Man lässt am besten noch einen Rest Schnupfenspray drinnen, meint der eine, mit geöffneten Nebenhöhlen ballert’s besser. Die anderen frage ich, wieso sie nach Salzburg kamen: »Naja, ist halt schön hier!«

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