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Irgendwann macht es rums

In seinem Regiedebüt erzählt Viggo Mortensen die Geschichte eines demenzkranken Vaters, der seinen schwulen Sohn nicht akzeptiert. Im Interview spricht er über Filmbusiness und menschliche Beziehungen

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Mortensen, Sie haben viele Talente, sind Schauspieler, Maler, Musiker, Fotograf, Autor - und nun haben Sie bei dem Drama »Falling« auch Regie geführt. Wie bekommen Sie all Ihre Begabungen unter einen Hut?

Ich mache jeden Job für sich. Ich wollte schon immer einen Film als Regisseur drehen, weil es eine recht umfassende kreative Arbeit ist. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto interessanter fand ich es, wie man mit Menschen unterschiedlicher Begabungen am Set einen Film kreiert. Es beginnt damit, dass man etwas zu Papier bringt. Wie transportiert man das auf die Leinwand - mit Musik, Tonmischung, Schnitt? Wenn alles gut klappt und sich alle für das gemeinsame Ziel einbringen, ist es wie in einem Orchester. Dann arbeiten alle im selben Rhythmus.

Interview

Viggo Mortensen wurde Anfang der 2000er Jahre als Waldläufer Aragorn in Peter Jacksons »Herr der Ringe«-Trilogie international berühmt. Seitdem glänzte der amerikanisch-dänische Schauspieler und Allroundkünstler auf der Leinwand in zahlreichen Filmen. Für seine Hauptrollen in »Captain Fantastic« (2016) und »Green Book« (2018) wurde Mortensen für den Oscar nominiert. Mit »Falling«, der Geschichte eines demenzkranken Vaters, der seinen homosexuellen Sohn nicht akzeptiert, legt Mortensen nun sein Regiedebüt vor. Mit ihm sprach Kira Taszman.

Ist das Drehbuch für »Falling« Ihr erstes?

Nun, es ist das erste Drehbuch, das verfilmt wurde. Ich habe viele Drehbücher geschrieben. Bereits vor 23, 24 Jahren versuchte ich, Geld für eines meiner Drehbücher aufzutreiben - ohne Erfolg. Diese Erfahrung musste ich öfter machen. Sogar bei »Falling« brauchte ich mehrere Anläufe. Einmal hatte ich genügend Geld zusammen, der Hauptdarsteller Lance Henrikson, der den Vater spielt, und der Produktionsdesigner standen parat, Drehorte waren bereits gescoutet. Doch dann sprang der Investor ab. Zwei Jahre später sagte ich zu Lance Henrikson: »Ich hoffe, du bist noch im Boot.« Und dann habe ich es noch einmal versucht.

Ist das nicht frustrierend?

Doch. Aber so ist das Filmbusiness - und das Leben. Man bekommt auch in Beziehungen nicht immer das, was man will. Dann muss man einfach etwas anderes ausprobieren. Oder, wenn es einem sehr wichtig ist, es weiter versuchen. So ist das auch mit Kommunikation. Wo liegen ihre Grenzen? Wie viele Beleidigungen kann man ertragen? Doch egal, ob du dich in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung befindest: Wenn du sie abbrichst, kommst du nicht weiter. Wenn du sie nicht abbrichst - egal, wie sehr du beleidigt wurdest -, besteht immer noch die Möglichkeit für ein Weiterkommen.

Apropos Grenzen: Der Vater im Film akzeptiert nicht, dass sein Sohn John, den Sie spielen, homosexuell ist. Warum lässt sich John so viel von seinem Vater gefallen, warum lässt er sich anschreien und beleidigen? Weil auch das eine Form von Interesse oder Zuwendung ist?

Teilweise. Aber es geht vor allem um das Geschichtenerzählen. Warum erträgt er all die Beschimpfungen? Warum sagt nicht jemand dem Typen, dass er endlich den Mund halten soll? Der Sohn merkt einfach, dass sein Vater geistige und körperliche Hilfe benötigt. Ich persönlich würde mir das nie gefallen lassen. Aber im Film ist es eine Erzähltechnik, ein Mittel, um Spannung zu erzeugen. In einem Drama gibt es Konflikte. Es ist wie bei der Sehne eines Bogens, die man immer weiter spannt: Irgendwann macht es rums!

Warum mobbt der Vater Willis seinen Sohn, seine Tochter, die Leute in seiner Umgebung?

Mobber suchen sich die Schwachpunkte der Leute aus und reiten darauf herum. Etwas in den Mobbern ist beschädigt. Sie sind unsicher. Sie tun es aus Angst. Willis ist definitiv jemand, der zuerst schießt und erst danach Fragen stellt. Er mag es nicht, wenn eine seiner Routinen gestört wird. Das sieht man auch in den Rückblenden. Er wird einfach kein Teamplayer mehr. Langfristig werden sich Menschen in so einer Art von Beziehung trennen. Da prallen zwei Gesinnungen aufeinander. Die eine lautet: Alles muss so sein, wie ich es sehe. Und die anderen Menschen sind offener für das, was um sie herum geschieht.

Willis leidet auch an Demenz. Ist das für Sie eine beängstigende Krankheit? Einige Ihrer Familienmitglieder litten daran.

Ich habe diese Krankheit viele Jahre hautnah erlebt. Meine Eltern haben daran gelitten, und ich habe mich darum gekümmert, dass sie gepflegt und versorgt werden. Das war heftig. Meine Großeltern, Onkel und Tanten und mein Stiefvater litten daran. Nach einem Test, habe ich herausgefunden, dass ich offenbar nicht die Veranlagung dazu habe. Aber alles kann jederzeit überall geschehen, schauen Sie sich nur diese Pandemie an. Diese Zeit erleben die Menschen viel bewusster als »normale« Zeiten. Ihnen wird bewusst, wie fragil das Leben ist.

Steht die Demenz im Film vielleicht auch für Verdrängung per se?

Nein, die Demenz in meinem Film ist nicht symbolisch aufgeladen. Es geht vielmehr darum, dass ich bereits viel über Beziehungen und Kommunikation nachgedacht habe. Wie wir uns anderen gegenüber benehmen, wie wir die Welt sehen, hat direkt mit unseren subjektiven Erinnerungen zu tun. Deshalb gibt es im Film viele Rückblenden. Man versucht, die Vergangenheit durch die Erinnerungen irgendwie zu ordnen und sie dadurch zu beherrschen. Wenn man das auf die Gesellschaft übertragen will: Wir sollten wenigstens versuchen, uns daran zu erinnern, dass es eine Möglichkeit gibt, ein wenig Harmonie herzustellen.

Warum haben Sie Ihren Film Ihren Brüdern gewidmet?

Mein Film handelt von fiktionalen Begebenheiten, aber es gibt ein paar Momente in den Rückblenden, Fragmente von Gesprächen, die in meiner wahren Familie stattgefunden haben. Und obwohl ich mir die Geschichte ausgedacht und dadurch freier geschrieben habe, habe ich kleinere persönliche Elemente eingebaut. So konnte ich meine Gefühle erforschen. Da meine Brüder aber die Dynamik und Teile der Geschichte erkennen würden, habe ich ihnen den Film aus Respekt gewidmet.

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In »Falling« haben Sie David Cronenberg, der einer Ihrer Stammregisseure ist, eine kleine Rolle als Schauspieler gegeben. Er ist ja vor allem für seine Genre- und Horrorfilme bekannt. War es lustig für Sie, ihn ausgerechnet einen Arzt spielen zu lassen?

Es hat sehr viel Spaß gemacht. Er sollte mir keinen Gefallen tun und keine Nummer abspulen. Ich fand es nur schön, ihn an Bord zu haben, und er mochte die Story und wollte es gerne machen. Er ist ein sehr gut vorbereiteter, sehr professioneller Schauspieler. Die meisten Zuschauer werden ihn gar nicht erkennen. Er ist einfach eine glaubhafte Figur. Aber für Kinoliebhaber, die visuelle Assoziationen zu Cronenbergs Werk haben, gibt es noch eine weitere Dimension, die auf eine verstörende Weise lustig sein kann. Dann denken einige vielleicht: Der ist der Letzte, dessen Finger ich in meinem Körper haben will! (lacht)

»Falling«. Kanada, Vereinigtes Königreich, Dänemark 2020, Regie und Buch: Viggo Mortensen. Mit Viggo Mortensen, Hannah Gross, Laura Linney, Lance Henriksen, 112 Min.

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