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Töne auf der Bühne
Ab Donnerstag gibt das Berliner Hörspielfestival einen Einblick in die freie Hörspielszene
Wir hatten dieses Jahr über 250 Einsendungen», freut sich Jochen Meißner, Hörspielkritiker und seit 2008 Mitorganisator des Berliner Hörspielfestivals, «das sind etwa 100 mehr, als in den letzten Jahren». Von diesem Donnerstag an bis Sonntag widmet sich das Festival, das erstmals in der Berliner Akademie der Künste stattfindet, der nationalen und internationalen Radiokunst. Ein Genre, das gerne in seiner Akzeptanz auf Kinderhörspiel oder die Nachtprogramme der öffentlich-rechtlichen Radiosender reduziert wird. Dass aber in der Reduktion der Mittel - nur Ton - auch eine Kraft liegen kann, scheinen dieses Jahr viele der Einsender*innen zu sehen.
«Die ersten zehn Festivals waren eher Selbstausbeutung, aber seit letztem Jahr haben wir erstmals eine finanzielle Förderung», so Meißner. Nachdem das Festival 2020 wegen der Corona-Einschränkungen nur online stattfinden konnte, besteht dieses Jahr die Möglichkeit, durch die Förderung und die neuen Räume - bisher fand das Festival im Theaterdiscounter in der Klosterstraße statt - die Breite des Genres auszukosten.
Nachdem ursprünglich geplant war, die Veranstaltung aus Infektionsschutzgründen draußen durchzuführen, wird es nun im Großen Saal der Akademie der Künste stattfinden. «Draußen hätten nur 76 Besucher*innen am Festival teilnehmen dürfen, im Saal sind es 250», sagt Meißner. Ein Sachverhalt, der widersinnig erscheint, aber mit einer besonders leistungsfähigen Lüftungsanlage erklärt werden kann.
Herausgekommen ist - neben insgesamt fünf Wettbewerben - ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Audioinstallationen, Werkstattgesprächen, einem Audio-Walk, einem Geräusche-Live-Hörspiel und der Möglichkeit, eigene kleine Hörstücke zu produzieren. So werden unter anderem die Hörspielautoren Hermann Bohlen und Felix Kubin ein Gespräch über «Große, erzählerische Bögen und kleine musikalische Gelenke» führen und der Hörspielregisseur Ulrich Gerhardt über seine mehr als 50-jährige Hörspielpraxis und die aktuelle Lage der freien Autoren berichten.
Autor Paul Plamper wird in einem begehbaren Klangbild aus 20 Lautsprechern ein «vielstimmiges Panorama der aktuellen gesellschaftlichen Fliehkräfte» anhand einer realen Begebenheit aufgreifen. Dabei geht es um das Theaterstück «Hauptmann von Köpenick», das 2017 in Altenburg in Thüringen (von Plamper «Leerstadt» genannt) aufgeführt wurde und mit dem Schauspieler Ouelgo Téné aus Burkina Faso besetzt wurde, wogegen ein Bürgerbund damals mit rassistischen Anfeindungen mobil machte. Plamper stellt sich die Frage, wie wir aus dieser Situation den «Absprung» finden - so zumindest der Titel des Stücks.
Auch unter den Einreichungen für die Wettbewerbe finden sich einige Stücke, die sich mit gesellschaftlichen Fliehkräften auseinandersetzen. «Viele setzen sich mit Corona auseinander. So habe ich zum Beispiel eine Unterströmung ausgemacht, die sich mit dem Unheimlichen befasst. Aber es gibt auch einiges an Unterhaltung», sagt Meißner.
So geht Maria Antonia Schmidt mit ihrem Stück «Ich bin Siri» der Künstlichen Intelligenz auf den Grund oder Simone Halder greift mit bitterem Humor in dem Stück «Die Grausamkeit des vermeintlichen Wohlwollens» die teilweise skurrile Situation nach einem Schlaganfall auf. In «Tollhaus» von Mark Kanak spricht Blixa Bargeld (Einstürzende Neubauten) als Patient einer psychiatrischen Klinik zu uns, der versucht, sich daran zu erinnern, was der Grund für seine Einweisung sein könnte. Begleitet werden die Hörstücke - wie auch in den letzten Jahren - durch Visualisierungen von Josef Maria Schäfers.
Im Gegensatz zu der übergroßen Resonanz unter den Einsendern zum diesjährigen Hörspielfestival steht, dass die Situation und Perspektive der meisten Hörspielautor*innen alles andere als rosig ist. Sendeplätze im Radio werden gestrichen, Redakteursposten nicht neu besetzt. Durch die Digitalisierung des Radios - grundsätzlich wichtig und richtig - droht durch die geplante Reduzierung der Wiederholungshonorare, ein wesentlicher Teil der Einkünfte der Autor*innen wegzufallen.
Das Geschäft der Rache. Blinder Kampf: Heinrich von Kleists «Michael Kohlhaas» an der Berliner Schaubühne
In einem im Juni veröffentlichten Offenen Brief einer Großzahl namenhafter Autor*innen und Regisseur*innen heißt es: «Unsere Werke stehen für jeden verfügbar auf allen digitalen Plattformen, ohne dass aus diesen Verwertungen eine für uns angemessene Honorierung entsteht. Gleichzeitig aber löst sich der alte Sendebetrieb auf und damit die bisherige Einkommensstruktur für unser Schreiben.» Am Sonntag wird es dazu eine Diskussionsveranstaltung geben.
Hörspielfestival vom 12. bis 15. August an der Akademie der Künste Berlin
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