• Politik
  • Debatte um Corona-Beschlüsse

Verwirrend, mutlos, kontraproduktiv

Kritik an kostenpflichtigen Coronatests für Ungeimpfte. Gewerkschaft moniert Planlosigkeit bei Schulen

Beim Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder am Dienstagabend wurde letztlich nicht mehr beschlossen als ein Ende der kostenlosen Coronatests für Menschen, die sich nicht gegen das Virus impfen lassen wollen, ab dem 11. Oktober. Auf neue Kriterien zur Einschätzung der von der Pandemie ausgehenden Gefahr konnte sich die Spitzenrunde dagegen nicht endgültig einigen. Mediziner, Landespolitiker und Wirtschaftsvertreter hatten wiederholt verlangt, es müssten neben der Sieben-Tage-Inzidenz auch die Auslastung der Intensivstationen der Kliniken und die Entwicklung der Impfquote in die Lagebewertung einfließen.

Sozialverbände kritisierten mit Blick auf die Beschlüsse, diese kämen der Einführung einer Impfpflicht durch die Hintertür gleich. Sie warnten vor gravierenden Folgen für Pflegeheime und Geringverdiener, wenn kostenlose Coronatests abgeschafft werden. Der VdK forderte, für alle ungeimpften Mitarbeiter und Besucher von Pflegeheimen müsse es über den Oktober hinaus Gratistests geben. Dies sei notwendig, um das Leben der Bewohner zu schützen, erklärte der Verband. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Politik müsse auch Ärmere im Blick behalten. Gesellschaftliche Teilhabe dürfe nicht davon abhängen, ob Menschen sich einen Coronatest leisten können.

Laut den Bund-Länder-Beschlüssen gilt zudem spätestens ab dem 23. August bei Sieben-Tage-Inzidenzen ab 35 die »3G-Regel« (Geimpfte, Genesene, Getestete) für Besucher von Krankenhäusern und Heimen, für Feste, Kultur- und Sportveranstaltungen in Innenräumen sowie für die Innengastronomie, ebenso für Fitnessstudios, Schwimm- und Sporthallen sowie Friseure, Kosmetikerinnen und Hotels.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte dem RBB-Inforadio, die Beschlüsse seien keine Impfpflicht durch die Hintertür, räumte aber ein, der Druck auf Ungeimpfte sei bewusst erhöht worden. Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) verteidigte die Abschaffung der kostenlosen Tests. Die Kosten dürften nicht weiter von der »Solidargemeinschaft« getragen werden, wenn genügend Impfstoff für alle da sei, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk. Impfen sei der Weg aus der Pandemie, nicht das Testen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach sich in der ARD erneut für einen Ausschluss von nicht Geimpften aus vielen Einrichtungen und Veranstaltungen aus an. Seiner Ansicht nach sollte es eine »2G-Regelung« geben, nach der nur Geimpfte und Genesene Zutritt zu bestimmten Bereichen bekommen.

Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, kritisierte gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland, in den Beschlüssen von Bund und Ländern fehle es an »bundesweit einheitlichen und verbindlichen Leitlinien«, in welcher Situation »an Kitas, Schulen und Hochschulen welche Maßnahmen ergriffen werden müssen«. Dies führe dazu, dass in vergleichbaren Situationen unterschiedliche Entscheidungen getroffen würden und damit zu einer sinkenden Akzeptanz von Maßnahmen. Das befürchtet auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Nach seiner Ansicht wäre zumindest eine Einigung auf die Installation so vieler Luftfilteranlagen in Unterrichtsräumen wie möglich notwendig gewesen. »Wir fürchten, dass es weiter Länder geben wird, die ihre Schulen in dieser Frage weitgehend im Stich lassen«, warnt der Verbandsvorsitzende.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) monierte derweil, Bundesregierung und Länderregierungen ließen die Unternehmen »im Dunkeln stehen«. Sie seien »in der Pflicht, zügig Klarheit zu schaffen, ab wann die für die Öffentlichkeit beschlossenen Änderungen auch in den Unternehmen gelten«, erklärte der BDI am Mittwoch. So müsse geklärt werden, ob es für Firmen weiter eine Test- und Maskenangebotspflicht für Ungeimpfte geben solle. Die derzeitige Corona-Arbeitsschutzverordnung bis zum 10. September, Bund und Länder haben angekündigt, diese zügig zu aktualisieren.

Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, zeigte sich ebenfalls enttäuscht von den Beschlüssen. Sie seien äußerst widersprüchlich, sagte er am Mittwoch gegenüber der dpa. Es sei »sehr schade«, dass die Politik sich weiter an der Sieben-Tage-Inzidenz als Kriterium für die Bewertung der Pandemie »entlanghangelt«, anstatt andere mit zu beachten. Es gebe zudem keine Angaben dazu, wie Hotels und Restaurants bei Inzidenzen unter 35 verfahren sollten. Aus seiner Sicht dürfte es in diesem Fall gar keine Restriktionen geben.

Das Robert-Koch-Institut meldete am Mittwoch 5000 positive Coronatests bundesweit und eine Inzidenz von 25,1. Es wurden 14 neue Todesfälle in 24 Stunden verzeichnet. Mit Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.