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Die Armut des Wohlstandsdiskurses
Lasse Thiele über die soziale Frage in der Klimadebatte
Die explosiv wachsende Klimabewegung und die immer direkter spürbare Klimakrise haben das Thema höher auf die Wahlkampfagenda gehievt. Doch die Krise wird nach wie vor im politischen Normalbetrieb bearbeitet. Die eigentlich notwendige Transformation taucht als Vokabel in linkeren Wahlprogrammen auf, wird aber im Wahlkampf weiter mit Samthandschuhen, bisweilen auch mit spitzen Fingern angefasst. Beispielhaft ist das Diskursfeld »Klima und Soziales« mit den Konsens-Sprachregelungen: Klimaschutz braucht »sozialen Ausgleich«, es gilt, Soziales und Klima »zusammenzudenken« und »alle mitzunehmen«. Konservative nutzen diese Floskeln schon länger als Vorwand. »Alle mitnehmen« kann eben am besten der Klimaschutz, mit dem man’s nicht so ernst nimmt. Weiter links mag das Anliegen ehrlicher sein, wird aber zu oft ähnlich oberflächlich diskutiert – und damit die konservative Deutungshoheit gestützt.
»Sozial« steht dabei oft nur noch fürs Festklammern an den Überresten eines Wohlstandsmodells aus dem letzten Jahrhundert. Nach Jahrzehnten neoliberaler Vorherrschaft hat davon vor allem noch das Kriterium der individuellen Konsumteilhabe überlebt. Platt ausgedrückt: Sozial ist, wenn ich im eigenen Auto zum billigen Shopping fahren kann. Nach diesem Maßstab bleibt der Kapitalismus zumindest für die deutsche Bevölkerungsmehrheit unschlagbar und ist leider auch die Klimakrise nicht aufzuhalten, von Ansprüchen globaler Gerechtigkeit ganz zu schweigen.
Lasse Thiele arbeitet im Konzeptwerk Neue Ökonomie am Thema Klimagerechtigkeit.
Vereint werden Klima und Soziales dann bestenfalls über technische Korrekturen an technischen Korrekturen: Der CO2-Preis ließe sich als Pro-Kopf-Klimabonus zurückgeben – ärmeren Haushalten gegenüber gerechter als Marktlösungen ohne Ausgleich. Doch der Preis soll auch die Konsumoptionen der Besserverdienenden nicht spürbar schmälern. Der Klimaeffekt dieser sozial-marktwirtschaftlichen Ansätze? Mäßig. »Sozialer« Klimaschutz wird zur quantitativen, niemals transformativen, letztlich konservativen Frage: Damit es so weitergehen kann wie bisher, müssen ein paar Kosten eingepreist und so verteilt werden, dass – unk, unk – die Massen nicht zur AfD überlaufen. Und schützt ja unsere Arbeitsplätze! So verstanden bleiben Klima und Soziales tatsächlich ein Widerspruch. Zu seiner vermeintlichen Auflösung müssen Techno-Fantasien eines ewigen »grünen« Wachstums bemüht werden.
Abgesehen davon, dass dieses spezielle Wohlstandsversprechen nie annähernd für alle galt, auch nicht in Deutschland, ist es ein recht ärmliches. Auch im 20. Jahrhundert waren schließlich Autofahren und Einkaufen bloß glitzernde Oberflächenerscheinungen des Wohlstands. Das Fundament erkämpfte die Arbeiter*innenbewegung: Begrenzung von Arbeitszeiten, die der Mehrheit überhaupt erst Freizeit ermöglichte, Tariflöhne, eine solidarische Krankenversicherung und Zugang zu heute oft kaputtgesparten öffentlichen Infrastrukturen wie (Hoch-)Schulen und Kitas, Bussen und Bahnen, Schwimmbädern und Bibliotheken.
An diese kollektiven Formen müsste klimagerechter Wohlstand anknüpfen, der wirklich dauerhaft ein gutes Leben für alle bieten kann. Statt quantitativer Kompensation für vermeintliche Klima-Zumutungen braucht es eine qualitative Neubestimmung der Wohlstandsidee – als kulturelle Grundlage einer wachstumsunabhängigen, solidarischen Wirtschaft. Mehr freie Zeit durch kürzere Erwerbsarbeit wäre das Aushängeschild. Diverse Bausteine und Ansätze sind in Positionspapieren und Wahlprogrammen (leider oft gründlich) versteckt, viel zu zaghaft kommuniziert und jederzeit durch die nächste Auto-Wutdebatte ertränkbar. Weiß da draußen irgendwer, dass Die Linke eine 30-Stunden-Woche vorschlägt?
Natürlich sind diese Diskurse nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen. Und der Wahlkampf kennt nur kurzfristige Zwänge. Stand heute könnte eine Partei, die konsequent einen postkapitalistischen, klimagerechten Wohlstand vertritt, die Fünf-Prozent-Hürde mutmaßlich nur von unten bewundern. Doch es nützt nichts: Für eine Systemtransformation muss linke Politik diese kulturelle Auseinandersetzung um ein neues gesellschaftliches Wohlstandsverständnis offensiv angehen. Solange das spät-fossilkapitalistische Konsummodell unangetastet bleibt, werden immer die gewinnen, die es ganz unverschämt verteidigen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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