Gegen den soziopathischen Egoismus

Bei der diesjährigen Metropolen-Konferenz in Berlin ging es vor allem um Gemeinschaft und Nachhaltigkeit

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Den wohl stärksten Auftritt auf dem Podium der diesjährigen Metropolen-Konferenz unter dem Titel »The new now« (»Das neue Jetzt«) hatte Charlotte Malterre-Barthes. Die junge Architektin und Stadtplanerin mit Assistenzprofessur für Urban Design an der Harvard-Universität plädierte in ihrer Präsentation für einen weitgehenden Stopp von Neubauten in Metropolen. »Schauen wir uns zum Beispiel dieses Gebäude hier an«, verwies sie am Mittwoch auf den Veranstaltungsort, das alte Elektrizitätswerk in Berlin-Mitte. »Es ist über 100 Jahre alt, und wir halten hier unsere Zukunftskonferenz ab.«

Nach diesem programmatischen Einstieg fragte Malterre-Barthes, wer uns denn eigentlich sage, dass wir ständig neu bauen müssten. Die Antwort lieferte sie selbst gleich hinterher, indem sie kritisierte: »Das Diktum der kapitalistischen Gesellschaften ist auch beim Bauen grenzenloses Wachstum.« Dabei gehe es oft schon längst nicht mehr um Wohnraum für die Menschen der großen Städte, sondern um Investitionen ein paar weniger Reicher. So komme es auch, dass es oft nicht notwendige Abrisse von Gebäuden gebe. »Dabei ist Wiederaufbau sinnvoller als Neubau, das können wir von Nachkriegsgesellschaften lernen«, verglich Malterre-Barthes.

Dementsprechend sollten auch wir den weitgehenden Stillstand des Lebens während der Corona-Pandemie nutzen, um unser Zusammenleben zu reflektieren und neue Wege zu suchen und zu finden, so die Architektin weiter. »Wir nennen vieles nachhaltig, was überhaupt nicht nachhaltig ist, sondern vielmehr ignoriert, was wir brauchen«, mahnte sie an. Sie schloss ihren Vortrag mit dem paradox-griffigen Slogan: »Wir müssen den Neubau stoppen, um mit dem Bauen beginnen zu können.«

Was die Menschen brauchen, gibt Chris Lehane vor, genau zu wissen. Er ist der Chef-Lobbyist von Airbnb, einer US-amerikanischen Online-Plattform für die Buchung von Unterkünften, die weltweit mittlerweile mehr Tourist*innen unterbringt als alle großen Hotelketten. Bei der Metropolenkonferenz wird Lehane per Video aus Los Angeles ins E-Werk zugeschaltet und kann dann ohne kritische Nachfrage Werbung für den Online-Riesen machen. So bleibt im Konferenzsaal unwidersprochen, dass Airbnb ein Treiber gesünderen und sinnvolleren Reisens sei. Zudem subsumiert Lehane das Reisen mit Airbnb unter den Stichwörtern »lokal, authentisch und nachhaltig«.Dass aber in Berlin wie auch in vielen anderen Metropolen durch das Airbnb-Vermietungsmodell eine Vielzahl angestammter Mieter*innen aus ihren Wohnungen verdrängt wird, thematisierte Lehane selbstredend nicht.

Mittlerweile sind ganze Innenstadtviertel von dieser speziellen Verdrängung betroffen, weil längst nicht mehr nur private Gastgeber*innen auftreten, sondern sich inzwischen auch umfangreiche kommerzielle Strukturen entwickelt haben. Diese entziehen dem Wohnungsmarkt Raum, wodurch gerade in den von Tourist*innen bevorzugten Innenstädten die Mieten extrem unter Druck geraten. Darüber hinaus wurde zuletzt bekannt, dass fast 30 Prozent der Vermietungen auf Airbnb professionelle Ganzjahresvermietungen kompletter Wohnungen sind.

Dass man Lehane bei der Metropolenkonferenz eine solche Plattform bot, gibt den teils progressiven Ideen, die dort auch zur Sprache kamen, einen bitteren Beigeschmack. Als sei das Airbnb-Modell Teil des Fortschritts bei der Städteentwicklung.

Die meisten der sonstigen Präsentationen waren nämlich durchaus an tatsächlich nachhaltigen und kommunitaristischen Ansätzen orientiert. Dabei nahmen die Teilnehmer*innen auch immer wieder Bezug auf die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie. So sagte beispielsweise die Künstlerin Hito Steyerl: »Was ich aus der Pandemie gelernt habe, ist: Gemeinschaften sind keine kommunistische oder anarchistische Utopie, sondern schlicht ein Fakt des menschlichen Lebens.« Mit bissigem Humor sprach Steyerl von einem weit verbreiteten »soziopathischen Egoismus« in liberalem Sinne, den es immer wieder zu überwinden gelte. »Sonst verlieren wir alle«, betonte sie.

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nahm bei seinem Besuch bei der Konferenz einen Trend der Coronakrise auf, die Wörter »kommunistisch« und »anarchistisch« jedoch nicht in den Mund. »Wir sehen, dass sich die Menschen auch nach der Pandemie vermehrt im öffentlichen Raum und unter freiem Himmel begegnen wollen«, sagte Müller stattdessen. Und: »Wir müssen diese Räume für Begegnungen zurückgewinnen, jenseits des Autoverkehrs.« Er bekam den Applaus der Zuhörer*innen für diesen Satz, worauf er wohl spekuliert hatte.

Als er jedoch auf die Kosten für die Stadtumgestaltungen zu sprechen kam, wurde es wieder still im Auditorium. »Wir bekommen das nicht zum Nulltarif. Und doch müssen wir die Menschen für diese Veränderungen gewinnen, zum Beispiel indem wir ihnen sagen, dass die Folgekosten eines Weiter-so viel höher wären«, so Müller gewohnt nüchtern.

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