Blicke ins Innere des roten Planeten

Die Marsmission »InSight« liefert überraschende Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte des Himmelskörpers

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Mars, der rote äußere Nachbarplanet der Erde, genießt derzeit viel öffentliche Aufmerksamkeit. Spektakuläre Landeaktionen der USA und Chinas haben die Zahl von Forschungsrovern auf dem Mars weiter vergrößert. Drei davon sind derzeit aktiv. Im kommenden Jahr will auch die Europäische Weltraumorganisation Esa erstmals einen Rover absetzen. Doch sie alle fokussieren sich mehr oder weniger auf die Oberfläche des Planeten. Aber wie sieht es darunter aus? Wie ist unser Nachbarplanet im Inneren aufgebaut? Dieser schwierigen Frage hat sich die Nasa-Mission »InSight« verschrieben - ein stationärer Lander, der im November 2018 die Oberfläche des Mars erreichte. An dem Projekt sind außer den USA Forschergruppen aus Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Großbritannien beteiligt, die nicht nur entscheidende instrumentelle Ausrüstungen bereitstellten, sondern auch die entsprechenden Auswertungen vornehmen.

Doch wie kann der Blick ins Innere des Mars gelingen? Das Naheliegendste scheidet offensichtlich aus. Man kann nicht einfach beliebig tief mit Bohrgeräten in die Marsoberfläche eindringen. Das ist selbst auf der Erde nur in sehr bescheidenem Maße gelungen. Die tiefste Bohrung auf unserem eigenen Planeten, auf der Halbinsel Kola, erreichte gerade mal 12 262 Meter - ein Kratzer in der Erdkruste, gemessen am Erdradius von rund 6380 Kilometern. Hingegen liefert die Seismologie, die Erdbebenkunde, eine unschlagbare Methode, die innere Struktur von Festkörpern zu studieren.

Die von Erdbeben ausgelösten Erschütterungen breiten sich nämlich als seismische Wellen aus und zwar mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten - je nach der Beschaffenheit der Schichten, auf die sie treffen. Die Laufzeiten solcher Wellen, aber auch ihre Reflexionen, Dämpfungen und Streuungen lassen somit Schlüsse auf den inneren Aufbau unserer Erde zu. Dieselbe Methode verwendet »InSight« nun erstmals zum Studium des inneren Aufbaus eines anderen Planeten, in diesem Falle des Mars. Das zweifellos wichtigste Instrument an Bord des Landers ist deshalb das SEIS (Seismic Experiment for Interior Structure), das von der französischen Raumfahrtagentur CNES unter Mitwirkung deutscher, schweizerischer und britischer Institute beigesteuert wurde. Jetzt sind die ersten Ergebnisse der Messungen in drei Studien im Fachblatt »Science« veröffentlicht worden.

Ursprünglich hatte man angenommen, dass der innere Aufbau des Mars dem Schalenmodell unseres Heimatplaneten sehr ähnlich sei, weil beide Planeten nach vorherrschender Meinung auf ähnliche Art entstanden. Die äußere Kruste der Erde hat eine mittlere Mächtigkeit von 35 Kilometern, woran sich ein oberer Mantel anschließt, der bis 660 Kilometer Tiefe reicht. Der folgende untere Mantel grenzt in 2900 Kilometern an den äußeren Erdkern, der seinerseits in 5100 Kilometern den inneren Erdkern mit einem Durchmesser von 1271 Kilometern umschließt. Kruste und Mantel sind silikatisch geprägt, der Erdkern vor allem durch Eisen.

Die Forschungen mit »InSight« haben einen vermuteten ähnlichen Aufbau des Mars zwar bestätigt, doch auch überraschende Abweichungen gefunden. Demnach ist die Kruste des Mars zwischen 15 und 47 Kilometer dick, weniger, als man erwartet hatte. Sie muss einen hohen Anteil an radioaktiven Elementen enthalten und besteht möglicherweise aus unterschiedlichen Schichten. Die Dicke des silikatischen Mantels von 400 bis 600 Kilometern wiederum fügt sich in die erwarteten Werte ein.

Hingegen überrascht der Kern des Planeten: Der ist mit 1840 Kilometern Radius deutlich größer als angenommen. Daraus folgt, dass seine mittlere Dichte geringer sein muss, als wenn er - wie bei der Erde - nur aus Eisen und Nickel bestünde. Das würde jedoch bedeuten, dass er einen erheblichen Anteil leichterer Elemente, wie z.B. Schwefel, Kohlenstoff und andere enthält. Simon Stähler von der ETH Zürich, der Hauptautor der Studie zum Kern, fragt sich nun, wie diese dorthin gelangt sein könnten. Vermutet wird, dass Mars vielleicht schon früher als die Erde und aus anderem Ausgangsmaterial entstand.

Merkwürdig ist auch der Umstand, dass der Mars einen flüssigen Kern besitzt, aber trotzdem kein globales Magnetfeld aufweist. Der flüssige äußere Erdkern gilt als Quelle des Magnetfelds unseres Heimatplaneten. Magnetisiertes Marsgestein verrät uns, dass der Mars vor Jahrmilliarden ebenfalls ein Magnetfeld besessen haben muss. Warum es verschwand, zählt zu den letztlich noch ungeklärten Fragen der Marsforschung, ungeachtet verschiedener kursierender Hypothesen zu diesem Problem. Ohne Magnetfeld kann der von der Sonne ausgehende starke Teilchenstrom, der sogenannte Sonnenwind, ungehindert auf die Oberfläche treffen. Auf diese Weise wurde auch die einst vorhandene viel dichtere Atmosphäre in den interplanetaren Raum hinausgeblasen. Alles in allem zeigen die bisherigen Erkenntnisse von »InSight« nach Ansicht des Seismologen Domenico Giardini von der ETH Zürich, der an den Studien führend beteiligt ist, dass die Entwicklungsgeschichte des Mars anders verlaufen sein muss als jene der Erde.

Noch sind die Untersuchungen nicht abgeschlossen. »InSight« sammelt weitere Daten von Beben auf dem Mars. Wie lange das noch möglich ist, bleibt leider unklar. Die Sonnenkollektoren des Roboters verstauben nämlich zusehends, so dass sich die Energieversorgung zunehmend verschlechtert. Nachdem insgesamt schon mehr als 1000 Beben unterschiedlicher Stärke registriert wurden, hoffen die Forscher nun noch auf ein besonders starkes Ereignis, das ihnen weitere aussagekräftige Daten liefern könnte.

Vom Autor erschien gerade das Buch »Erde an Mars. Wie die Menschheit das Weltall besiedeln wird«. Langen Müller, 320 S. geb., 26 €.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.