Anachronismus Abschiebehaft

Flüchtlingshelfer Martin Link über Symbolpolitik, Knastkosten und die Aufgaben der Zivilgesellschaft

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Gibt es nachvollziehbare Argumente für die Maßnahme Abschiebehaft? Alle rechtspolitischen Restriktionen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland zur Aufnahme von Geflüchteten grund- und völkerrechtlich verpflichtet ist. Und wie man mit Geflüchteten umgeht, ist ein Gradmesser für die soziale Empathie und interkulturelle Kompetenz staatlicher Stellen wie der Gesellschaft. Aus meiner Sicht sind Einrichtungen wie das neue Abschiebegefängnis in Glückstadt auch angesichts des Mangels an Arbeitskräften ein Anachronismus. Deutschland ist dringend auf Einwanderung – nicht nur der von Geflüchteten – angewiesen. Da müsste man doch im ureigensten Interesse Möglichkeiten für Leute schaffen, hier zu bleiben und ihre Integration fördern. Mittlerweile reden gerade Wirtschaftsvertreter, die ja sonst nicht gerade durch Solidaritätskundgebungen für Ausgegrenzte auffallen, regelmäßig von den positiven Erfahrungen bei der Integration von Geflüchteten in Beschäftigung. Auch deshalb muss es endlich das rechtspolitische Instrument eines »Spurwechsels« geben. Das wäre eine Alternative zum Regime der Aufenthaltsbeendigung und der Abschiebehaft. Abschiebehaft ist ein Instrument rückwärtsgewandter nationalistischer Migrationskontrollpolitik, das abgeschafft gehört.

Wird in Glückstadt nicht reine Symbolpolitik betrieben?
Ja. Besonders in Krisenzeiten lassen sich Menschen, die aus der Perspektive der Politik in erster Linie Wähler*innen sind, leicht verunsichern. In der Gesellschaft nimmt jener Teil zu, der sein persönliches und das Heil der Gesellschaft insgesamt in der Externalisierung von Zugewanderten sieht. Dabei erhält eine Politik, die solches mit möglichst drastischen Mitteln – koste es was es wolle – umzusetzen verspricht, erhöhte Sympathiewerte. In diesem Flow argumentiert die an Regierungsverantwortung beteiligte politische Klasse über alle Parteigrenzen hinweg und – je nach parteipolitischer Couleur – für das »unausweichlich opportune« oder »alternativlose« Instrument der Abschiebehaft.

Interview
Martin Link ist Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein.

Über welche Zahl von sich ihrer Abschiebung widersetzender Personen in den drei Bundesländern reden wir hier?
Die von der Ordnungspolitik regelmäßig behaupteten Vollzugsdefizite bei der Aufenthaltsbeendigung haben insbesondere propagandistische Qualität und sind regelmäßig nicht materiell hinterlegt. Die Planungsgrundlagen, zum Beispiel die überteuert eingekauften Hochrechnungen der Unternehmensberatung McKinsey (1,86 Mio € für 678 Beratertage zu je 2700 €), die im Dezember 2016 die Zahl von bundesweit 485.000 ausreisepflichtigen Geflüchteten für Ende 2017 prognostizierte, hätte für Schleswig-Holstein nach dem Königsteiner Schlüssel immerhin die Zahl von 16.441 Ausreisepflichtigen für 2017 bedeutet. Tatsächlich sind von 2018 bis 2020 in Schleswig-Holstein insgesamt gerade 1000 Personen in ihre Herkunftsländer oder in EU-Mitgliedsstaaten abgeschoben worden. Leider dienten die Fantasiezahlen von McKinsey und Innenministerium auch dem Landesinnenministerium und den Kommunen als Grundlage, als diese 2017 die Aufrüstung der Externalisierungsbürokratie in den Ausländerbehörden und die Etablierung eines Abschiebegefängnisses beschlossen haben. Wie viele Betroffene sich der zwangsweisen Abschiebung widersetzen werden, bleibt Spekulation. Sicher ist aber davon auszugehen, dass die drei beteiligten Länder vorhaben, den Vollzug von Abschiebungen zu intensivieren.

Was ist von den schönfärberischen Aussagen des schleswig-holsteinischen Innenministeriums zu dem Gefängnis zu halten?
Freiheitsentzug bei Menschen, die keine Straftäter*innen sind, ist politisch durch nichts zu rechtfertigen. Das Einpferchen von Menschen hinter Unmengen von Nato-Draht und einer acht Meter hohen Betonmauer als »Wohnen minus Freiheit« zu verniedlichen, ist nur noch geschmacklos.

Wie glaubhaft ist die Rolle der Parteien? Die SPD in Schleswig-Holstein hat sich gegen die Einrichtung ausgesprochen, die Genoss*innen in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern tragen sie dagegen mit. Auch Grüne müssen Widersprüche aushalten.
Als in der Migrations-, respektive der Flüchtlingspolitik, solidarisch Engagierte haben wir lernen müssen, dass parteipolitische Überzeugungen und Parteiprogramme spätestens dann relativ werden, wenn eine Regierungsbeteiligung ihren Tribut an »Kompromissbereitschaft« einfordert.

Wie realistisch erscheint das Versprechen, die Glückstädter Haftplätze nicht anderen Bundesländern zur Verfügung zu stellen? Muss nicht eine Vollauslastung aus finanziellen Erwägungen angestrebt werden?
Eine Vollauslastung steht vor dem Hintergrund der künftigen Ausrichtung der Flüchtlingsabwehrpolitik in Deutschland auch in Glückstadt kaum in Frage. Allerdings hat es Amtshilfe immer gegeben. Auch Schleswig-Holstein hat seitdem 2014 die alte Anstalt in Rendsburg geschlossen wurde weiter Betroffene aus dem Land in Abschiebehaft in anderen Bundesländern nehmen lassen. Amtshilfeersuchen aus anderen Bundesländern bringen Geld, können aber auch abgelehnt werden.

Wie wichtig ist im Hinblick auf Glückstadt der die Einrichtung begleitende Beirat für den Abschiebevollzug?
Der Landesbeirat für die Abschiebungshafteinrichtung in Glückstadt ist der kleine Fuß der solidarischen Zivilgesellschaft in der Tür des Vollzugs. Neben Abgeordneten, dem Flüchtlingsbeauftragten und dem Innenministerium sind auch der Flüchtlingsrat und andere NGOs in dem Gremium vertreten. Über dieses Instrument lässt sich – das haben die Erfahrungen in Rendsburg gezeigt – tatsächlich transparent machen, was da hinter Gittern und Mauern passiert, wer die Betroffenen sind und zu welchen etwaigen dramatischen Einzelfällen es kommt.

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