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Die Kräfte lassen nach

Selbstverwaltete Projekte wie die »Potse« kämpfen weiter gegen Verdrängung

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eigentlich heimelig am Sonntagabend im Innenhof des FMP1-Gebäudes in Friedrichshain, in dem auch die nd-Redaktion sitzt - die Lampen leuchten mild in der einsetzenden Dämmerung und die Schwalben halten Abendbrot am Himmel. 50, 60 Leute sitzen in den Liegestühlen, die für eine Freiluft-Kinovorstellung aufgestellt sind.

Aber hier läuft kein unterhaltsames Programm und die hier sitzen, wollen nicht entspannt bei Bier und Film das Wochenende und den Abend ausklingen lassen. Ihnen geht es darum, zu erfahren, wie die Lage bei den unter Druck stehenden selbstverwalteten Berliner Projekten ist, die nach wie vor von Verdrängung bedroht oder schon davon betroffen sind.

Zermürbt und ausgebrannt fühle man sich, berichten dazu Soso vom »Drugstore«- Kollektiv und Paul von der »Potse«. »Wir haben alle Kraft in solidarische Vernetzung gesteckt, unsere Räume verteidigt, neue gefunden.« Trotzdem werden und werden die Ersatzräume für den linken Jugendclub am ehemaligen Tempelhofer Flughafen nicht fertig. Vor drei Monaten sollte die Räumung des ältesten Berliner Jugendclubs in Schöneberg stattfinden. Verhindern konnte diese nur das »Potse«-Kollektiv selbst, weil man beim Bezirk eine Schutzzahlung von 10.000 Euro hinterlegte, mit der garantiert wurde, nach Ablauf von zwei Monaten in den Hangar am Tempelhofer Feld umgezogen zu sein. Nur: Es liegt nicht an den Jugendlichen, dass das noch nicht geschehen ist. Weil es mit der Zollgarage nicht vorangeht, haben sie für den August sogar weitere 5000 Euro Schutzbetrag aufbringen müssen.

Zur Zeit warte man auf ein Schallschutzgutachten, um überhaupt absehen zu können, welche Baumaßnahmen umgesetzt werden müssten. Diese seien absehbar aufwendig, denn in die 480 Quadratmeter große Zollgarage müssten zumindest Wände eingezogen werden. Ein nicht unwesentlicher Teil der Jugendarbeit besteht schließlich darin, Bandprobenräume zu Verfügung zu stellen und unkommerzielle Konzerte zu veranstalten. Auch Sanitäranlagen gebe es derzeit noch keine. Sorgen bereitet auch der auf drei Jahre begrenzte Nutzungszeitraum. Die Befürchtung, dass die Jugendlichen die Zollgarage, kaum dass sie fertig hergerichtet ist, auch schon wieder verlassen müssen, ist nicht von der Hand zu weisen.

»Nach über fünf Jahren Existenzkampf und zweieinhalb Jahren Besetzung, unzähligen Verhandlungsrunden und unzähligen Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen und der alltäglichen Arbeit in der ›Potse‹ ist die Luft raus«, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Erklärung des »Potse«-Kollektivs. Von der Politik sehe man sich mit »Schikane« und »falschen Versprechungen« konfrontiert. Denn trotz der Bekundungen, auch alternative Jugendkultur erhalten zu wollen: Die rot-rot-grüne Koalition hat mit dem Neuköllner »Syndikat«, dem Friedrichshainer Hausprojekt »Liebig34«, aber auch der Kreuzberger Kneipe »Meuterei« etliche Räumungen von zum Teil jahrzehntealten selbstverwalteten Orten zu verantworten. Beim Haus in der Liebigstraße waren zuletzt 5000, beim »Syndikat« in der Weisestraße 56 vor etwas über einem Jahr 2200 Polizist*innen im Einsatz - dazu kamen Maßnahmen im Vorfeld, die vom gesamten Wohnumfeld durchweg als Schikanen wahrgenommen wurden.

»Man kann in Berlin mit Immobilien einfach zu viel Geld verdienen«, erklärt dazu Christian vom Neuköllner Kneipenkollektiv. »Die Stadt gehört euch - dieses Wahlversprechen ging nur an die Investoren«, beklagt der Aktivist und Kneipier die »Rückgratlosigkeit des Berliner Senats«.

Demgegenüber stehen wachsende Bemühungen einiger Bezirke, durch die Ausübung des Vorkaufsrechts in Gegenden, für die Milieuschutzsatzungen erlassen worden sind, einzelne Gebäude und ihre Mieter*innen vor der Luxussanierung beziehungsweise der Umwandlung in Eigentum zu bewahren. Am Samstag meldete der RBB, dass das Neuköllner Bezirksamt einen Antrag des Hauseigentümers der Weisestraße 56 auf Umwandlung der Mietwohnungen in Eigentum abgelehnt habe. Er bezog sich dabei auf die vom Berliner Senat am 4. August beschlossene Rechtsverordnung zum Baugesetzbuch, die den Bezirken neue Möglichkeiten gibt, um Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt zu regulieren. Gewerberäume, wie in dem Fall des ehemaligen »Syndikats« sind allerdings nicht eingeschlossen.

Im Anschluss an die Diskussion zwischen den Vertreter*innen des Jugendclubs »Potse« und der vor einem Jahr geräumten Neuköllner Kollektivkneipe »Syndikat« wird die Dokumentation »Im inneren Kreis« gezeigt. Diese befasst sich mit der Dimension staatlicher Überwachung, die solche Projekte zuweilen erfahren.

Weil es unter anderem auch um das linksalternative Hamburger Kulturzentrum »Rote Flora« geht, ist dessen Sprecher Andreas Blechschmidt eingeladen. Er erklärt an diesem Abend, dass es trotz jahrelangem politischen Druck gelungen sei, für die »Flora« wie sie im Allgemeinen genannt wird, eine Art Status quo zu erreichen, der dafür sorgt, dass das Gebäude und seine unkommerzielle Nutzung seit geraumer Zeit relativ unangetastet bleiben. Kein Vergleich mit den »deprimierenden Berliner Verhältnissen« wie Blechschmidt sagt. Nur eine starke Vernetzung könne da helfen - »die hat auch uns damals den Arsch gerettet«. Davon sollte man nun auch etwas zurückgeben, überlegt der »Flora«-Aktivist.

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