»Nicht so viel Fame, mehr Spaß«

Musik als Raum der Begegnung: Penji Palmacotta und Cia Carbonelli sind das DJ-Duo Krawalle & Liebe

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 8 Min.

Wieso nennt ihr euch Krawalle & Liebe?

Penji Palmacotta: Das passt ganz gut zu uns, weil wir beides in uns haben. Wir haben eine Seite, die sich ein bisschen mehr Raum nehmen will, die krawalliger und lauter ist. Aber wir haben auch eine liebevolle Seite. Das ist unser Ansatz, wie wir leben und Politik machen wollen: nicht nur hart und laut, sondern auch weich und mit Herz. Als wir angefangen haben, waren wir beide gerade in einer ähnlichen Phase. Wir kamen aus Kontexten, die damit zu tun hatten, empathisch zu sein, zuzuhören und sich zurückzunehmen. Aber wir haben gemerkt: Da ist etwas, was raus möchte.

Interview

Seit 2018 treten Cia Carbonelli und Penji Palmacotta (Künstlernamen) als DJ-Duo »Krawalle & Liebe« auf. Im Interview berichten sie, warum die Techno-Szene weniger Ego und mehr Weichheit braucht – und warum es auch wichtig ist, loszulassen und laut zu sein. Mehr: https://www.facebook.com/krawalleundliebeberlin/

FLINTA*: Frauen*, Lesben, inter, non-binary und trans* Personen
cis-Mann: Ein Mann, dessen Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihm bei der Geburt zugewiesen wurde.

Cia Carbonelli: Wir machen beide viel Care-Work, Penji arbeitstechnisch als Heilpraktikerin mit Körperarbeit, Massagen und Akupunktur und ich mit meiner Familie. Aber dann gibt es noch dieses DJ-Life. Für uns gehört beides zusammen.

Wie spiegelt sich das in eurer Musik?

Carbonelli: Da gibt es auch beide Seiten. Die Musik ist sehr laut und präsent. Wir spielen in Clubs mit großen Anlagen. Andererseits achten wir schon darauf, dass keine fiesen Texte dabei sind. Wir wollen zu Sisterhood und zum gemeinsamen Tanzen einladen. Wir sind beide in unterschiedlichen Netzwerken aktiv. Mit unserer Musik wollen wir eine Brücke zwischen Menschen schlagen und einen Raum schaffen, in dem sie sich begegnen können. Für uns ist dabei wichtig, dass es um Spaß geht.

Palmacotta: Wir stehen da vorne und spielen protzige Musik, die eine ganz andere Wirkung auf Leute haben kann. Oft sind die Menschen dann ganz weichgespült und dankbar und sagen: »Ich habe lange keinen Raum mehr gehabt, in dem ich mich so austoben konnte.« Wenn FLINTA* Personen sich vor dem DJ-Pult Raum nehmen und voll in ihren Körper reingehen, löst das manchmal ganz schön viel aus - auch bei uns.

In Clubs sind die Zuhörer*innen oft sehr auf die DJ fokussiert. Wie fühlt sich das an?

Palmacotta: Unterschiedlich. Es passt nicht immer. Es gab schon Momente, in denen wir uns ganz anders gefühlt haben und dachten: Es gibt jetzt Erwartungen, die wir erfüllen sollen. Aber dadurch, dass wir zu zweit sind und uns bei Unsicherheiten unterstützen, ist es okay. Es macht ja auch Spaß.

Carbonelli: Für uns beide ist es die erste Bühnenerfahrung. Wir haben Ende 2018 angefangen, machen das also noch nicht so lange. Das ist auf jeden Fall eine Challenge für uns.

Wie seid ihr dann auf die Idee gekommen, euch so zu exponieren?

Palmacotta: Es war die Herausforderung, aus unserer Komfortzone rauszugehen. Aber auch einfach Neugier. Außerdem haben wir uns gefragt: Warum gibt es so viele cis-männliche DJ?

Carbonelli: Es war schon eine Motivation, dass wir gesehen haben: Unsere Kumpel stehen da immer vorne. Da haben wir gesagt: Wir machen das jetzt auch.

Ist die Techno-Szene immer noch sehr männlich dominiert?

Carbonelli: Das ist schon so. Ich habe dazu keine Zahlen, aber den Eindruck, dass es sich langsam verändert und mehr und mehr FLINTA* Personen an den Decks stehen. Unser Eindruck ist, dass sich die Typen, die auflegen, ganz schön viel Raum nehmen. Vielleicht fühlt es sich darum oft so an, als sei die Szene so männlich dominiert.

Palmacotta: Es ist schon ein sehr hartes und ego-dominiertes Terrain. Manchmal fehlt mir etwas Weicheres, Liebevolleres. Nicht so viel Fame, mehr Spaß - und sich selbst nicht so ernst nehmen.

Muss man sich im eigenen Auftreten angleichen, um sich durchzusetzen?

Carbonelli: Leider schon.

Palmacotta: Wir gehen einen Mittelweg und versuchen, uns nicht total zu verbiegen. Aber ich glaube, in Momenten, in denen wir merken, dass wir nicht ernst genommen werden, ist es für uns wichtig, »stopp« zu sagen. Zum Beispiel, wenn irgendwer kommt, uns einfach in die Decks reingreift und den Lautstärkeregler runterdreht, ohne mit uns zu sprechen - so wie es letztens passiert ist …

Carbonelli: Den Typen haben wir ganz schön rund gemacht.

Wie sieht es denn mit der Besetzung von Positionen abseits vom DJ-Pult aus?

Palmacotta: Da gibt es schon Diversität, aber es mangelt oft an Sichtbarkeit.

Carbonelli: Aber wie in ganz vielen anderen Bereichen sitzen in Verantwortungspositionen oft Kerle. Die Club- und Techno-Welt hat auf vielen Ebenen Potenzial, diverser gestaltet zu werden - nicht nur, was das Thema Gender angeht. Aber es gibt Gruppen, die sich dafür einsetzen, dass sich etwas verändert. Viel passiert aus Unwissenheit. Anderseits sollten wir auch nicht zu geduldig sein. Es ist 2021, da kann man vieles schon verstanden haben und Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen.

Ihr habt von Sisterhood gesprochen. Geht es euch also auch darum, Solidarität unter Frauen zu stärken?

Carbonelli: Frauen ist mir zu binär gedacht, ich würde auch andere Geschlechtsidentitäten einbeziehen.

Palmacotta: Anfangs haben wir uns darüber nicht so viele Gedanken gemacht. Aber mit der Zeit haben wir gemerkt, dass wir uns viel wohler fühlen, wenn wir bei Gigs viele nicht cis-männliche Personen sehen, die auch mal den inneren Macker freilassen.

Carbonelli: Es macht ja Spaß, sich Raum zu nehmen. Das ist grundsätzlich nichts Falsches. Uns geht es darum, nicht nur unser Ding zu machen, sondern auch zu gucken, was bei den Leuten ankommt. Ein Set, das mir viel bedeutet, ist im letzten Herbst entstanden: »Find your inner Gangster«. Dabei haben wir uns gefragt: Was brauchen die Leute gerade im Lockdown, kurz vor dem Winter? Wir sind auch Teil eines Kollektivs »Non plus Ultras«, wo regelmäßig Sets hochgeladen werden. Jetzt haben wir eine Podcast-Reihe gestartet, in der wir anderen Themen wie Traurigkeit oder Wut Platz geben wollen.

Was haltet ihr von dem Begriff D-Jane für weibliche DJ?

Palmacotta: »DJ« ist für uns ein Wort, das alle möglichen Geschlechtsidentitäten einschließt. Wenn wir davon ausgehen, dass es nur Männer meint, müssen wir wieder so ein Wort wie »DJ-Jane« erfinden, in das auch nicht alle reinpassen. Das ist viel komplizierter, als das Wort »DJ« so zu verstehen, dass alle darin einen Platz finden.

Carbonelli: »Jane« klingt für mich auch irgendwie nach Dschungelbuch und Urwald. Außerdem kommt der Begriff »DJ« aus dem Englischen von »Disc Jockey«, was genderneutral ist.

Wie verortet ihr euch musikalisch?

Palmacotta: Uns interessiert total viel. Ich persönlich höre das, was wir auflegen, gar nicht so viel zu Hause, weil es auf Dauer ganz schön stresst. Wenn wir gefragt werden, was wir auflegen, kommen wir ins Straucheln, weil es kein Genre gibt, in das die Musik richtig reinpasst. Vielleicht am ehesten ein eher selbst ernanntes Genre Riot Bounce, mit Anteilen von Hip-Hop und House und ganz viel Bass.

Carbonelli: Was ich cool finde, ist, dass wir als Duo so gut funktionieren. Wir hören beide einen Song und wissen: Der ist es. Wir haben oft ein ähnliches Gefühl. Neulich haben wir bei einer Veranstaltung einen Song gehört und sind fast aus den Latschen gekippt, weil der so sexistisch war. Das geht uns öfter so. Deshalb haben wir jetzt angefangen, selbst Musik zu produzieren und nehmen eigene Vocals auf.

Wie fühlt es sich an, dass Club-Besuche im Moment wieder möglich sind?

Palmacotta: Da sind verschiedene Gefühle. Ganz viel Freude, aber auch Unsicherheit: Kann ich mich darauf verlassen, oder ist es morgen wieder vorbei? Menschen fühlen sich unterschiedlich wohl mit der Situation. Einige freuen sich, wieder rauszukommen, für andere ist es auch überfordernd.

Carbonelli: Seit der Coronakrise stehe ich schon manchmal auf der Bühne und denke: Krass, dass wir jetzt gerade so eine Party feiern können, wenn es eigentlich ums Existenzielle geht. Aber das ist natürlich immer schon so gewesen, es ist jetzt nur bewusster geworden.

Ist es für euch ein Widerspruch, zu feiern und andererseits politisch zu sein und zu wissen, was auf der Welt passiert?

Palmacotta: Manchmal fühlt es sich sehr widersprüchlich an. Einmal hatten wir einen Gig, kurz nachdem wir das Theaterstück »Die Mittelmeer-Monologe« angeguckt hatten. Danach gute Laune abzuliefern, hat sich total falsch angefühlt. Auf der anderen Seite gibt es diese Widersprüche die ganze Zeit - auch wenn wir gerade nicht feiern.

Carbonelli: Ich habe das Gefühl, Clubs sind gut zum Akku-Aufladen. Es sind auch Orte, an denen Begegnung stattfindet und an denen - zumindest in einer linken Blase - Themen diskutiert werden können. Einige Clubs in Berlin versuchen, ihren politischen Anspruch in die Organisationsstrukturen einfließen zu lassen. Das kann aber natürlich nicht die Welt verändern. Wir müssen die Räume nutzen, in denen wir auftanken und loslassen können - aber dann auch rausgehen und andere Dinge machen, die wichtig sind.
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