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Neue Hoffnung für die RB 110

Sachsen will einige stillgelegte Regionalbahnstrecken wiederbeleben

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 12. Dezember 2015 war Schluss für die Regionalbahn 110 zwischen den sächsischen Kleinstädten Döbeln und Meißen. 147 Jahre lang waren hier Züge gerollt. Nun aber sei der Betrieb der Bahnstrecke zu unrentabel geworden, sagten die Betreiber, zwei Verkehrsverbünde. Zuletzt hätten im Schnitt nur noch 13 Fahrgäste in den Zügen gesessen. Die mussten fortan Busse nutzen – oder in den Pkw umsteigen. Das war kein Einzelfall im Freistaat: Seit 1994 wurde auf 47 Strecken mit 680 Kilometern Länge der Schienenpersonennahverkehr abbestellt.

Knapp sechs Jahre nach dem Aus allerdings werden die Signale für die RB 110 und einige wenige andere stillgelegte Bahnstrecken wieder vorsichtig auf grün gestellt. Der zuständige Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) stellte ein Gutachten vor, das für 22 Strecken Chancen einer Wiederbelebung geprüft hat. Sechs davon, darunter die zwischen Döbeln und Meißen, sind als »vielversprechend« eingestuft. Bis dort wieder Züge rollen, dürften freilich noch Jahre vergehen. Vorerst sind weitere Planungen und Analysen notwendig.

Zuletzt war die Bahn über Jahrzehnte auf dem Rückzug – nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland. Laut einer soeben vorgelegten Analyse des Ifo-Instituts Dresden schrumpfte das Bahnnetz seit 1955 um fast 15 000 Kilometer, gut jeder vierte Streckenkilometer wurde stillgelegt. Der Anteil ist mit etwas über 28 Prozent in Ost und West gleich groß. Allerdings gingen im Westen viele Strecken bereits während des Wirtschaftswunders vom Netz, im Osten erst nach 1990. Dort werden die verschwundenen Bahnstrecken deshalb vielerorts noch schmerzlicher vermisst.

Die Stilllegungen haben aus heutiger Sicht fatale Folgen, sagt Felix Rösel, Mitautor der Analyse: »Die jahrzehntelange Ausdünnung des Bahnnetzes erschwert uns heute die Verkehrswende, vor allem auf dem Land.« Inzwischen sorgen mehrere Probleme für ein Umdenken. Der anhaltend hohe Anteil des Individualverkehrs verursacht hohe Emissionen von Kohlendioxid und steht den deutschen Klimazielen entgegen. Der Bund hat deshalb das Ziel ausgegeben, bis 2030 die Fahrgastzahl im Bahnverkehr zu verdoppeln. Dafür können nicht nur Hochgeschwindigkeitszüge sorgen, es bedarf auch eines flächendeckend dichteren Netzes.

Zudem führt die Abkopplung ländlicher Regionen auch in Verkehrsfragen zu Frust und Zulauf für Rechtspopulisten. In Sachsen wurde die AfD bei der Bundestagswahl 2017 stärkste Kraft. Es ist kein Zufall, dass seitdem Verkehrsprobleme in der Fläche verstärkt im Fokus stehen. Die sächsische Koalition aus CDU, Grünen und SPD will Dörfer und Kleinstädte besser anbinden und bis 2030 den Anteil der mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegten Wege verdoppeln. Die 2020er Jahre, sagt Dulig mit einem gewissen Pathos, sollten »ganz im Zeichen des Verkehrsträgers Schiene« stehen.

Die Renaissance ist bundesweit zu beobachten. Im Juni stellte die Deutsche Bahn AG (DB) Planungen vor, wonach gemeinsam mit den Ländern und den Verkehrsträgern bundesweit 20 stillgelegte Bahnstrecken wieder in Betrieb genommen werden sollen. Ziel sei es, mehr Menschen für die Bahn zu gewinnen und mehr Güter auf die Schiene zu bringen, sagte der zuständige DB-Vorstand Jens Bergmann. Die 20 konkret benannten Strecken haben eine Länge von 245 Kilometern. In Sachsen lag keine davon. Bundesweit sieht die Bahn für 1300 Streckenkilometer »verkehrliches Potenzial«.

Der Freistaat hat nun eigene Planungen vorgelegt. Für das Gutachten wurden der Aufwand zur Reaktivierung der Strecken, die Betriebskosten und die mögliche Nachfrage geprüft. Verwiesen wird dabei auch auf bessere Möglichkeiten zur Finanzierung etwa durch die kürzliche Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, dank derer der Bund die Reaktivierung von Bahnstrecken mit 90 Prozent fördert. Bis 2025 soll der entsprechende Topf auf zwei Milliarden Euro jährlich wachsen. Die Bedingungen seien also »derzeit sehr gut«, sagt Marco Böhme, Verkehrsexperte der Linken im Landtag. Er fordert, für die sechs favorisierten Strecken nun schnell konkrete Planungen zu beginnen und dabei nicht ausschließlich »auf die Fahrgastzahlen und Wirtschaftlichkeit des Betriebs« zu blicken, denn: »Das greift zu kurz.« Dulig dagegen betont, um Strecken wieder in Betrieb nehmen zu können, »benötigen wir auch und vor allem die ausreichende Anzahl von Fahrgästen«.

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