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  • Hilfe für afghanische Flüchtlinge

Verantwortung für 20 Jahre Exodus

Kava Spartak vom Verein Yaar fordert würdige Aufnahmebedingungen für Menschen, die aus Afghanistan fliehen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 6 Min.

Wir alle haben die Bilder gesehen vom Flughafen in Kabul, den Demonstrationen gegen die Taliban, bei denen Menschen erschossen wurden. Sie stehen in Kontakt mit Leuten vor Ort. Wie ist die Lage?

Man muss die Situation aus der Sicht der Menschen in Afghanistan betrachten. Die Leute sind in Panik, seit mehr als einer Woche. Und in den letzten Tagen ist die Panik noch viel größer geworden, da sie einfach nicht wissen, was auf sie zukommt. Sie wissen nicht: dürfen sie raus, dürfen sie nicht raus, werden sie von Nachbarn oder Bekannten verpfiffen, weil sie mit Ausländern zusammengearbeitet haben.

Interview
Kava Spartak ist Geschäftsführer von Yaar e.V., einem Verein in Berlin, der seit 2012 in der Geflüchtetenhilfe für Menschen aus Afghanistan engagiert ist. Yaar unterstützt Afghan*innen bei Fragen zum Asylantrag und Problemen mit den Sozialbehörden. Außerdem hilft der Verein beim Erwerb der deutschen Sprache und nimmt Stellung zu politischen Entscheidungen, die Geflüchtete betreffen, namentlich mit der Forderung nach einem Abschiebestopp.

Gleichzeitig sehen wir diese Demonstrationen in Dschalalabad und anderen Städten. Das ist etwas sehr Mutiges und eine Art Hoffnungsschimmer, weil ich zum ersten Mal das Gefühl habe, dass da etwas Unabhängiges und Authentisches entsteht. Die afghanische Bevölkerung ist so jung, und eigentlich kennen die die Taliban nicht und wollen sie auch nicht. Diese junge Generation, junge Frauen und junge Männer, gehen auf die Straße, ethnisch und religiös durchmischt, das alles spielt keine Rolle. Sie nehmen die Nationalflagge, zeigen ihren Widerstandswillen und riskieren ihr Leben. Das verspricht eine Art letzte Hoffnung, die wir noch haben.

Was erwarten Sie sich von der deutschen Regierung?

Hier in Deutschland sind die Leute in Schockstarre. Die wollten Afghanistan eigentlich nicht vor dem Wahlkampf besprechen und hatten gedacht, Kabul wird danach fallen. Jetzt wissen sie nicht, was sie machen sollen. Auf einmal reden alle davon, dass wir die Ortskräfte retten und sogar unsere Verantwortung eingestehen müssen. Es wird politisiert, aber wichtig dabei ist, dass wir daraus jetzt nicht irgendwas Lächerliches machen und das ständig ausdiskutieren, sondern handeln. Und die Bundesregierung muss noch schneller handeln.

Was fordert Ihr Verein Yaar in der derzeitigen Lage von der Politik?

Wir schließen Bündnisse und starten Petitionen mit Verbündeten, damit diese Druck ausüben auf die Bundesregierung. Menschen, die für Deutschland gearbeitet und ihr Leben riskiert haben in den letzten Jahren, müssen gerettet und ausgeflogen werden. Damit sind nicht nur die gemeint, die für die Bundeswehr tätig waren, sondern auch alle, die für andere Institutionen und Ministerien, Stiftungen, NGOs etc. gearbeitet haben, Menschen aus der Zivilgesellschaft, deren Leben in Gefahr ist: Journalist*innen, Frauenrechtsaktivistinnen, Jurist*innen, Wissenschaftler*innen, LGBTQI-Community, Angehörige religiöser Minderheiten. Alle diese Leute müssen evakuiert werden. Wenn Kanada schon 20 000 Menschen evakuieren will, müsste Deutschland sich an einer viel höheren Zahl orientieren, denn das Bundeswehrmandat war viel größer als das kanadische. Das ist es, was Yaar und Verbündete momentan fordern.

Zusätzlich fordern wir, wie andere Organisationen auch, umgehend eine Resettlement-Konferenz auf EU-Ebene zu starten. Das sollte jetzt nicht aufgeschoben werden, sondern da muss sofort und verantwortlich gehandelt werden. Auf deutscher Ebene wollen wir eine Art interministerielle Arbeitsgruppe, die genau zu diesem Thema ständig zusammenarbeitet mit der afghanischen Diaspora und auch mit der deutschen Zivilgesellschaft in Verbindung bleibt.

Und als Drittes fordern wir von der neuen Bundesregierung eine Art überparteiliche Afghanistan-Taskforce. Es ist wichtig, dass das Ganze aufgearbeitet und analysiert wird: Wo waren die Fehler, und was können wir tun, um spätere Katastrophen zu vermeiden? Wie sieht unsere zukünftige Planung und unser Engagement Richtung Afghanistan aus? Wie kümmern wir uns um die Menschen aus Afghanistan, die nicht in Afghanistan sind? Das sollte alles dazu gehören. Dieses Drama, das in Afghanistan seit 40 Jahren vor sich geht und an dem Deutschland seit mindestens 20 Jahren beteiligt ist, muss aufgearbeitet werden.

Haben Sie auch Forderungen an internationale Gremien?

Das Mandat der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) muss gestärkt, die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der Taliban müssen dokumentiert werden. Außerdem muss transparent gemacht werden, was eigentlich in den letzten 20 Jahren passiert ist, auch seitens der afghanischen Regierungen. Da sind viele offene Fragen zu den ehemaligen Regierungen Afghanistans. Viele Leute sind verschollen oder wurden umgebracht, Journalisten mundtot gemacht.

Wie geht es den evakuierten Personen, die jetzt in Deutschland angekommen sind?

Wir haben mit einer Person gesprochen. Sie war so fertig und konnte nicht ein Wort sagen, ohne zu schreien und zu weinen. Sie hat Menschen gesehen, die direkt neben ihr erschossen wurden. Diese Menschen, die jetzt hier ankommen, sehen Bilder, das muss man sich mal überlegen: die Fahrt zum Flughafen Kabul, dann die Situation am Flughafen selbst. Bis die nicht oben in der Luft und dann irgendwo sicher gelandet sind, machen die Menschen Gefühle durch, das kann man sich gar nicht vorstellen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht sofort mit den Kameras da hinrennen und um Interviews bitten. Diese Menschen brauchen jetzt Geborgenheit, einen sicheren Ort und Begleitung. Die dürfen nicht einfach irgendwohin verfrachtet werden.

Ich habe mitbekommen, dass die jetzt Evakuierten für drei Tage in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain (Elbe-Elster) in Brandenburg gebracht worden sind. Das ist eine absolute Katastrophe – auch, wenn es nur für drei Tage sein sollte. Das ist ein umzäuntes, abgeschlossenes Lager mitten im Nirgendwo. Einige von ihnen sollen dort längerfristig bleiben. Es gibt Berichte darüber, dass in Brandenburg die Busse an den Haltestellen manchmal nicht anhalten, wenn sie Geflüchtete sehen. Oder die Taxizentrale, wenn sie einen Akzent hören, aha, kein Deutscher, wahrscheinlich ein »Flüchtling«, wieder auflegt. Diese Realitäten in Brandenburg muss man doch berücksichtigen. Ich finde das nicht durchdacht und sehr unsensibel, dass Menschen, die gerade diese Erlebnisse in Afghanistan hatten und hier ankommen, erst mal für drei Tage nach Doberlug-Kirchhain kommen. Eine einfache und viel bessere Lösung wären Orte mit Anschluss an Gemeinden, an unterstützende Strukturen, an die afghanische Community.

Vertreter der Regierungsparteien, auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet, wollen die afghanischen Flüchtlinge nicht in Deutschland haben; sie sollen in der Region bleiben. Was sagen Sie dazu?

Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen: Erst mal geht es um die Evakuierung der Menschen, die mit uns zusammengearbeitet haben und in akuter Lebensgefahr sind. Dann geht es auch um Menschen, die ein Anrecht darauf haben, Familienmitglieder über den sogenannten Familiennachzug nachzuholen. Diese Menschen muss Deutschland bei sich aufnehmen und nirgendwo anders.

Dann müssen natürlich auch auf internationaler Ebene für Menschen aus Afghanistan Programme entwickelt werden, damit diese Menschen in jedem Land unterstützt werden. Vorher, im Kontext des Kalten Kriegs, haben wir das Thema der afghanischen Geflüchteten in den Nachbarländern einfach ignoriert, aber für die letzten 20 Jahre Exodus aus Afghanistan sind wir doch verantwortlich. Auf internationaler Ebene muss alles dafür getan werden, dass diese Menschen würdig behandelt werden und egal, wo sie sind, ein Leben in Würde führen können: sei es in Pakistan, sei es im Iran, sei es in der Türkei und vor allen Dingen innerhalb der europäischen Grenzen. Wir sehen noch die Bilder und die Zustände auch vor Corona auf den griechischen Inseln oder auf der Balkanroute, oder die Behandlung von Menschen an den Grenzen Ungarns, Polens, Bulgariens etc.. Die meisten Menschen, die dort so unmenschlich behandelt wurden, waren Afghan*innen. Gerade, weil man die Verantwortung für diese 20 Jahre trägt, muss dafür etwas unternommen werden.

Es reicht, was in Afghanistan passiert, 40 Jahre lang Stellvertreterkriege. Es reicht, was mit den Geflüchteten passiert. Es reicht, dass im Namen der afghanischen Frauen Kriege geführt werden. Und es reicht auch mit diesem Narrativ: Die Afghanen sind selbst schuld an ihrer Misere, denen ist nicht zu helfen. Die wollten nicht die Briten, die wollten nicht die Sowjets, und jetzt wollen die nicht mal uns. Das Narrativ muss endlich dekonstruiert werden.

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